Fehlinformationen und Desinformationen werden zunehmend als Hauptursachen für überraschende politische Erfolge gesehen. So wurde die rumänische Präsidentschaftswahl 2024 auf Anordnung des obersten Gerichts annulliert, nachdem Geheimdienstberichte darauf hindeuteten, dass Russland die Social-Media-Kampagne des Wahlgewinners unterstützt hatte. Auch in anderen westlichen Ländern wird oft behauptet, dass die Erfolge rechter Parteien hauptsächlich das Resultat von Fehl- und Desinformation seien.
Die andere Gefahr
Die Annahme, Fake News würden Wahlen entscheiden, ist weit verbreitet. Dieses irreführende Narrativ schürt Misstrauen und schadet der Demokratie.
Diese Debatte ignoriert jedoch leider meist die zahlreichen wissenschaftlichen Studien, welche die Wirkung von Fehl- und Desinformationen auf das Wahlverhalten untersuchen. Stattdessen wird oft auf Basis von plausibel klingenden, aber ungetesteten Hypothesen argumentiert. Höchste Zeit also, den aktuellen Kenntnisstand empirischer wissenschaftlicher Studien zu betrachten.
Um die kausale Wirkung sozialer Medien auf politische Einstellungen und Wahlen zu untersuchen, haben Wissenschaftler zahlreiche Experimente durchgeführt. Dabei werden Nutzer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe wird dafür bezahlt, ihr Konto für mehrere Wochen bis Monate – unmittelbar vor einer wichtigen Wahl – zu deaktivieren. Die andere Gruppe nutzt soziale Medien weiter und dient als Kontrollgruppe. Aus einem Vergleich der beiden Gruppen lässt sich dann der Effekt sozialer Medien errechnen.
Laut einem Übersichtsartikel führender Forscher in der Fachzeitschrift Nature zeigen diese Experimente keine signifikanten oder robusten Auswirkungen der Deaktivierung sozialer Medien auf das Wahlverhalten oder auf politische Einstellungen.
Soziale Medien sind jedoch nur ein Kanal, über den Falsch- und Desinformationen verbreitet werden können. Ein weiterer wichtiger Faktor sind parteinahe Medienunternehmen. Beobachter mit unterschiedlichen politischen Einstellungen bewerten deren Einfluss oft unterschiedlich: Linke kritisieren rechtsgerichtete Medienimperien, während Rechte dasselbe von linken Medien behaupten. Tatsächlich zeigen Studien, dass Menschen, die rechtsgerichtete Nachrichten konsumieren, häufiger rechte Parteien wählen. Doch diese Beobachtung allein beweist nicht, dass solche Medien die Ursache für Wahlerfolge rechter Parteien sind.
Fox News, der mit Abstand größte Nachrichtensender der USA, gilt als Paradebeispiel für ein rechtsgerichtetes Medienimperium.
Folgender Vergleich kann dies verdeutlichen: Die Tatsache, dass Krankenhäuser voller kranker Menschen sind, bedeutet nicht, dass Krankenhäuser die Menschen krank machen. Ebenso könnte der Konsum rechtsgerichteter Nachrichten lediglich zeigen, dass Personen mit entsprechenden Überzeugungen gezielt solche Medien nutzen.
Um diese Kausalitätsfrage zu klären, analysieren Wissenschaftler sogenannte „natürliche Experimente“. Dabei werden vergleichbare Personengruppen durch Zufall mit unterschiedlichen Umwelteinflüssen konfrontiert, ähnlich wie in Laborexperimenten – nur in der „natürlichen“ Welt.
Eine der validesten Untersuchungen in dieser Kategorie hat die Auswirkungen von Fox News auf Wahlergebnisse in den USA analysiert. Fox News, der mit Abstand größte Nachrichtensender des Landes, gilt als Paradebeispiel für ein rechtsgerichtetes Medienimperium und ist stark zugunsten der Republikanischen Partei ausgerichtet. Die Studie schätzt, dass der Stimmenanteil der Republikaner bei den Präsidentschaftswahlen 2000 um lediglich 0,46 Prozentpunkte niedriger gewesen wäre, wenn Fox News nicht existiert hätte.
Aber was ist mit den Kampagnen der Populisten selbst? Die Nationalsozialisten gelten als Paradebeispiel für Populisten, die Propaganda erfolgreich genutzt haben. Doch wie groß war der tatsächliche Einfluss ihrer Propaganda auf die Wahlergebnisse?
Eine Untersuchung aus dem Jahr 2018 analysierte die Auswirkungen von Hitlers Reden auf den Wahlerfolg der NSDAP und fand vernachlässigbare Effekte. Eine andere Studie aus dem Jahr 2015 beschäftigte sich mit dem Einfluss des Radios, des damals wichtigsten Massenkommunikationsmittels. Vor Hitlers Machtübernahme war das Radio stark gegen die NSDAP eingestellt, und die Partei durfte es nicht für ihre Botschaften nutzen. Ab 1933 jedoch dominierte die NSDAP das Radio und setzte es gezielt für ihre Propaganda ein. Die Studie ergab, dass in der Anti-NSDAP-Zeit die Stimmenanteile der Nationalsozialisten ohne das Radio 4,1 Prozentpunkte größer gewesen wären. Nach der Machtübernahme hätte die Abschaltung des Radios den Stimmenanteil der NSDAP hingegen um 2,9 Prozentpunkte reduziert. Diese Ergebnisse zeigen, dass selbst ein stark einseitiges Medium nur begrenzte Auswirkungen auf die Wahlergebnisse hatte und die Dominanz der Medieninhalte nur einen kleinen Teil der Popularität der NSDAP erklären kann.
Die meisten Wähler haben zumindest eine grobe Vorstellung von den Positionen der Parteien zu wichtigen Themen.
Wenn Medien, Fehlinformationen oder Desinformationen also nicht die entscheidenden Faktoren für den Erfolg von Populisten sind, was bringt dann so viele Menschen dazu, für sie zu stimmen? Eine mögliche Antwort sind die politischen Positionen der Parteien.
Die meisten Wähler haben zumindest eine grobe Vorstellung von den Positionen der Parteien zu wichtigen Themen und entscheiden sich für die Partei, die ihrer eigenen Meinung am nächsten kommt. Neuere Untersuchungen zeigen, dass es gerade bei Themen wie Einwanderung und Integration erhebliche Diskrepanzen zwischen den Einstellungen vieler Bürger und den Positionen etablierter Parteien gibt. Die meisten Bürgerinnen und Bürger sind in diesen Fragen konservativer, als es von den Mainstream-Parteien vertreten wird, während rechtspopulistische Parteien diese Meinungen oft gut repräsentieren.
Dieser Einklang scheint ein zentraler Grund zu sein, warum viele Bürger Rechtspopulisten wählen – trotz der bekannten negativen Aspekte dieser Parteien. Die Fähigkeit der Rechtspopulisten, die Einstellungen der Bürger zu Einwanderung und Integration besser zu vertreten als andere Parteien, überwiegt offenbar andere Bedenken.
Warum ist das Narrativ vom großen Einfluss der Fake News so weit verbreitet, obwohl es nicht durchweg stichhaltig ist? Ein möglicher Grund liegt darin, dass Fehl- und Desinformationen eine bequeme Ausrede für eigenes politisches Scheitern bieten. Es ist schmerzhaft, sich einzugestehen, dass die politischen Maßnahmen, an denen man lange gearbeitet hat, und die oft auf den eigenen moralischen Überzeugungen fußen, schlicht unbeliebt oder ineffektiv sein könnten. Stattdessen ist es einfacher, die Erfolge der Gegenseite auf unfaire Propaganda zurückzuführen. So lässt sich die eigene Niederlage als unrechtmäßig darstellen und sich selbst kann man als moralisch überlegenen „eigentlichen Sieger“ positionieren, der lediglich Opfer eines unfairen Spiels geworden sei.
Dieses Narrativ findet sich auf allen Seiten des politischen Spektrums. Linke wie Rechte glauben oft, dass die Medien die Gegenseite bevorzugen oder dass viele Nichtwähler ihre eigene Partei unterstützen würden – ein psychologisches Phänomen, das eng mit Selbstüberschätzung verknüpft ist. In diesem Sinne sagt die Verbreitung des Fake-News-Narrativs möglicherweise mehr über die Menschen aus, die ihm Glauben schenken, als über die tatsächliche gesellschaftliche Realität. Insbesondere scheint es von Personen mit ausgeprägter Selbstüberschätzung verstärkt verwendet zu werden.
Das größere Problem besteht jedoch darin, dass das Fake-News-Narrativ als Grundlage für antidemokratische Argumentationen dienen kann. Wenn man annimmt, dass Fake News die Wahlergebnisse entscheidend verfälschen, warum sollte man diese Ergebnisse dann noch ernst nehmen? Und wenn jede politische Niederlage nur durch unfaire Propaganda der Gegenseite erklärt wird, warum sollte man die Legitimität des politischen Gegners anerkennen?
Diese Denkweise untergräbt das Vertrauen in demokratische Prozesse und wird zunehmend zu einer Normalität in westlichen Demokratien. Ironischerweise könnte genau diese Entwicklung – das wachsende Misstrauen in demokratische Institutionen und Verfahren – eine größere Gefahr für die Demokratie darstellen als die Fake News selbst.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im IPG-Journal.