Editorial

Die (Anti)Demokraten

| 17. Januar 2025
Colin Lloyd / Unsplash

Liebe Leserinnen und Leser,

eine blasphemische Frage: wie demokratisch sind die selbsternannten „Demokraten“? Gemeint sind jene Politiker, Medienschaffende, Kulturkrieger und Faktenchecker, die sich die Verteidigung der Demokratie auf die Fahnen schreiben und selbstgerecht zwischen den „demokratischen“ und „antidemokratischen“ Parteien unterteilen. Die moralisch abgehoben entscheiden, was sagbar und wählbar ist und was der Zensur anheim zu fallen hat. Was „illiberal“, „rechts“, „populistisch“ oder „faschistisch“ ist – und irgendwie alles das Gleiche meinen soll.

Und was ist das unentwegte Gerede von „Toleranz“ und „Vielfalt“ noch wert, wenn die Boten dieser abgenutzten Wörter – kommt es hart auf hart – genau das sind, was sie ihren Gegnern vorwerfen zu sein: autoritär?

Wenn von „Vielfalt“ gesprochen wird, kann Meinungsvielfalt jedenfalls kaum gemeint sein. Das gilt auch für die Vielfalt des „zulässigen“ Parteienspektrums. Wer sich abseits einer immer enger werdenden Definition „liberaler Demokratie“ positioniert (von sozialer oder Christdemokratie ist ohnehin schon längst keine Rede mehr), wird zum politischen Paria. Was keinesfalls sein darf: Souveränität und „Nationalismus“, traditionelle Werte, Elitenkritik, Gegnerschaft zu EU und NATO.

Die Sache hat nur zwei Haken: Erstens verbietet keine Verfassung eine derartige Positionierung. Zweitens werden die populistischen Parias für eine wachsende Zahl der Wähler zunehmend attraktiv.

Für die „Demokraten“ ein unhaltbarer Zustand, für den es eine bequeme und einfache Erklärung braucht: die Erfolge rechter Parteien seien hauptsächlich das Resultat von Fehl- und Desinformation. Also muss man die Demokratie vor sich selbst retten. Notfalls, indem Wahlen durch das oberste Gericht annulliert werden, wie zuletzt in Rumänien, oder unliebsame Politiker vor Gericht kaltstellt werden, wie gerade in Frankreich. Dieser Lawfare ist in der EU fast schon zur politischen Norm geworden, wie Martin Höpner schon in der letzten Ausgabe des vergangenen Jahres konstatierte.

Das ist bemerkenswert: Man wirft Vertretern der „illiberalen Demokratie“ wie Victor Orban zu Recht vor, den Rechts- und Verfassungsstaat auszuhöhlen, schränkt aber in der sogenannten liberalen Demokratie diese zunehmend durch eben jenen den Rechts- und Verfassungsstaat ein, um illiberale Parteien – oder solche, die man dafür hält – von der Regierung fernzuhalten.

Der Preis ist hoch, schreiben Günther Laurenz und Frank Furedi. Denn dieses Vorgehen untergräbt das ohnehin schon erschütterte Vertrauen in demokratische Prozesse weiter. Ironischerweise könnte genau diese Entwicklung – das wachsende Misstrauen in demokratische Institutionen und Verfahren – eine größere Gefahr für die Demokratie darstellen als Fake News oder böse Populisten selbst.

Man kann es aber auch so formulieren wie der Politologe Philip Manow in seinem Buch Unter Beobachtung. Die vermeintliche Krise der Demokratie, sagt Manow, ist eigentlich eine Krise einer spezifischen Spielart: der „liberalen“ Demokratie, die durch nicht-majoritäre Institutionen dergestalt „unter Beobachtung“ gestellt und gezügelt wird, dass der politische Prozess nicht mehr wirklich offen ist. Allein den Talk zwischen Alice Weidel und Elon Musk auf X sollen bis zu 150 EU-Beamte "überwacht" haben. Noch Fragen?

Alle Themen dieser Ausgabe:

  • Verwaltung am Limit: Überforderung ist das neue Normal Bund und Länder bringen Städte und Gemeinden mit immer neuen Aufgaben in finanzielle Bredouille. Das liegt nicht zuletzt an schlechter Gesetzgebung. Die neue Bundesregierung muss längst überfällige Reformen durchsetzen. Eine Analyse. Vincent Tandler-Schneider
  • Die versandete Zeitenwende Die Militärausgaben der europäischen NATO-Staaten steigen rapide – und liegen weit über den russischen. Dennoch klingen die Rufe nach weiteren Erhöhungen nicht ab. Ein Grund: Ineffiziente Rüstungspolitik und nationale Egoismen. Michael Brzoska
  • Die andere Gefahr Die Annahme, Fake News würden Wahlen entscheiden, ist weit verbreitet. Dieses irreführende Narrativ schürt Misstrauen und schadet der Demokratie. Laurenz Günther
  • Der technokratische Feldzug gegen die Demokratie Im Kampf gegen den Populismus instrumentalisiert die EU zunehmend das Recht. Für die politischen Eliten mag der Preis gering sein – umso höher ist er für die Demokratie. Frank Furedi
  • „Ich erwarte einen ‚Klima-Minsky-Moment‘ im nächsten Jahrzehnt.“ Am 20. Januar wird Donald Trump der 47. Präsident der USA. Seine wirtschaftspolitischen Ankündigungen sorgen weltweit für Irritationen und Unsicherheit. Steve Keen spricht über die Ursachen und möglichen Folgen des trump‘schen Triumphs in der größten Volkswirtschaft der Welt. Hans-Peter Roll
  • Rudolf Dreßler – der Letzte seiner Art Am 8. Januar ist der Sozialdemokrat Rudolf Dreßler gestorben. Die Leitmedien stellen seine großen Verdienste um die deutsch-israelischen Beziehungen in den Vordergrund. Aber vor allem war er ein geradliniger und fachlich versierter Sozialpolitiker, der in der Agenda 2010 der SPD-Parteiführung einen verhängnisvollen Weg sah. Hartmut Reiners
  • Ein Putin-Versteher als Präsident der Ukraine? Selenskyjs ehemaliger Spin Doctor Oleksij Arestowytsch outet sich als „Putin-Versteher“ und ärgert Kiew. Ausgerechnet er will nun Präsident der Ukraine werden – und das Land auf einen anderen Weg bringen. Ulrike Simon
  • Blackrock statt Deutschland AG Im Februar werden mit der Wahl neue Weichen für die Bundespolitik gestellt. Doch wie groß sind die Chancen, die Vermögenskonzentration und den damit verbundenen politischen Einfluss einzudämmen? Herbert Storn