Knappe Kommunen

Verwaltung am Limit: Überforderung ist das neue Normal

| 14. Januar 2025
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Bund und Länder bringen Städte und Gemeinden mit immer neuen Aufgaben in finanzielle Bredouille. Das liegt nicht zuletzt an schlechter Gesetzgebung. Die neue Bundesregierung muss längst überfällige Reformen durchsetzen. Eine Analyse.

Es ist Wahlkampfzeit in Deutschland und so langsam laufen die Spitzenpolitiker der deutschen Parteien warm. Und obwohl die Zeiten außergewöhnlich sind, halten sich manche Phrasen und Dauerbrenner hartnäckig: Jede Partei trägt das Thema Bürokratieabbau vor sich her.

Und es stimmt: Unternehmen und Bürger werden in Deutschland mit Dokumentationspflichten, Papierbergen und überfüllten Ämtern besonders stark belastet. Doch ein Player wird in der Diskussion um die überbordende Bürokratie in der Regel übersehen: Die Verwaltung selbst.

Jüngst hatte der Nationale Normenkontrollrat, der seit 2006 die Regierungsarbeit der Bundesregierung kritisch begleitet, im Jahresbericht gewarnt, die Belastungsgrenze der Verwaltung sei nun überschritten. Hinsichtlich der Staatsfinanzen und des Fach- und Arbeitskräftemangels müsse die Frage im Vordergrund stehen, ob der Staat die Aufgaben, die er sich gibt, überhaupt noch erfüllen kann.

Die drastischen Worte des Expertengremiums lassen sich mit Zahlen untermauern. Die Kosten, die Gesetze und Vorgaben in Deutschland einzuhalten, der sogenannte Erfüllungsaufwand, sind für die Verwaltung auch zuletzt wieder deutlich gestiegen. Ein Trend, der seit 2011 kontinuierlich anhält. 

Doch noch scheint die Hiobsbotschaft nicht in den ersten Reihen der Politik angekommen. Dabei hat die Verwaltungsüberlastung in Deutschland nicht nur Folgen für effektives Regieren und die Handlungsfähigkeit des Staates, sondern auch makroökonomische Bedeutung: Einschlägige Studien zeigen, dass ineffiziente Verwaltungen das Wachstum und die Gründung von Unternehmen stärker hemmen, als die eigentliche Regulierungsdichte. Mit Blick auf die Investitionslücke in öffentliche Infrastrukturen in Deutschland verzögert eine überlastete Verwaltung die Planung und Umsetzung der Infrastrukturprojekte und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Die indirekten Folgen der Lage in den Amtsstuben ließen sich endlos beschreiben. 

Eine zentrale Rolle spielt dabei die Verwaltung der kommunalen Ebene: Landkreise, Städte und Gemeinden ächzen unter immer mehr Aufgaben, komplexeren Regelungen, weniger Personal. Meist beschließen Bund oder Länder neue Gesetze, die Verwaltungen in den Kommunen müssen dies schlussendlich umsetzen. Städtetags-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy wurde vor einigen Tagen deutlich:

"Der Kern des Problems ist, dass Bund und Länder immer mehr Aufgaben auf die Kommunen übertragen: Digitalisierung von Schulen, Integration geflüchteter Menschen, der Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule. Wir bekommen die Aufgabe und müssen dafür sorgen, dass es irgendwie finanzierbar wird, und das schaffen wir nicht mehr.” 

Kommunen: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Das Kernproblem der Kommunen ist: Die Ausgaben der Städte und Gemeinden steigen weiter massiv durch Aufgaben, die sie selbst kaum beeinflussen und nicht mehr durch dynamisch steigende Einnahmen kompensieren können. Dabei wirken sich Regelungen, die Bund und Länder treffen, entweder direkt oder indirekt auf die Haushalte der Kommunen aus, wenn beispielsweise Gesetze eine verschärfte behördliche Kontrolle vorsehen oder ein soziales Leistungsangebot gesetzlich ausgeweitet wird. 

Dabei überrascht eins: Direkt darf der Bund laut Grundgesetz nämlich den Kommunen gar keine Aufgaben zuteilen. Beschließt der Bundestag ein neues Gesetz mitsamt neuen Aufgaben, werden diese zuerst an die Bundesländer adressiert. Fallen den Ländern zur Erfüllung Kosten an, muss der Bund diese kompensieren. Die Länder geben Aufgaben dann wiederum an die Landkreise, Städte und Gemeinden weiter. Unter anderem durch diesen Mechanismus entstehen Finanzierungslücken bei den Kommunen. 

Die sogenannte Finanzverantwortung für die eigenen Kommunen liegt laut Grundgesetz bei den Ländern. Die finanziellen Unterstützungen an die Kommunen reichen aber oft nicht aus. Die Länder unterstehen aber einer strikteren Schuldenbremse als der Bund. Einer weiterer Grund für die Finanzschwierigkeiten der beiden Ebenen. 

Die Kosten, die durch Mehraufgaben entstehen, unterscheiden sich zwischen den Ländern und den Kommunen selbst zum Teil enorm. Das liegt nicht zuletzt an den regionalen Ungleichheiten auf der Einnahmenseite. 

Einnahmen vs. Ausgaben

Zwar steigen nominal die Einnahmen der Kommunen ebenfalls, zum Teil auch bedingt durch die Inflation. Die Ausgaben aber deutlich stärker. Über die Steuereinnahmen der Kommunen entscheiden dabei oft Bundes- und Landesgesetze, die Einnahmenautonomie ist gering. Auch die gescheiterte Ampelregierung war hier am Werk: Durch Vorhaben wie das Wachstumschancengesetz aus dem Wirtschaftsministerium und das Inflationsausgleichgesetz aus dem Finanzministerium verringern sich die Einnahmen der Landkreise, Städte und Gemeinden in den nächsten Jahren zum Teil drastisch. 

Zum vollständigen Bild gehört aber auch, dass der Bund die Kommunen durchaus unterstützt. Über die sogenannten Bundesergänzungszuweisungen, kurz BEZ, hat der Bund im Jahr 2021 24,6 Milliarden Euro für Aufgaben der Länder und Gemeinden ausgegeben, mithin 6,6 Prozent seines jährlichen Steueraufkommens. 

Und dennoch: Angesichts der Finanzierungslücken bei Ländern und Kommunen besteht Handlungs- und Reformbedarf. 

Von München bis Gelsenkirchen: Regionale Disparitäten

Die regionalen Unterschiede der Finanzlage der Kommunen sind zum Teil enorm. Hier liegt laut den meisten Experten das zentrale Problem: Kommunen müssen dieselben Aufgaben erfüllen - unabhängig von Schuldenstand und Steuereinnahmen. Auch innerhalb der einzelnen Bundesländer und zwischen den Kommunen gibt es erhebliche Unterschiede. 

Um die Haushaltslage einer Kommune zu analysieren, werden in der Regel das Finanzierungssaldo eines Jahres, die Summe der Sachinvestitionen und die Kassenkredite am Jahresende pro Einwohner zurate genommen. Letzteres sind kurzfristige Kredite, um einen Liquiditätsengpass zu überbrücken. Insbesondere hohe dauerhafte Kassenkreditniveaus sind ein typischer Indikator für eine finanzielle Krisensituation. 

Besonders kritisch ist die Lage der Kommunen im Saarland und in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz. 

Die angespannte Finanzlage mancher Kommunen ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Zum einen zementieren sich zunehmend strukturelle und wirtschaftliche Ungleichheiten.. Denn Kommunen, die unter Aufgabendruck durch Bund und Länder und steigenden Sozialausgaben leiden, sparen häufig an Zukunftsinvestitionen und öffentlicher Infrastruktur. Auf 177 Milliarden Euro schätzt das arbeitgebernahe IW Köln allein den Sanierungsstau in Städten und Gemeinden. 

Zum anderen hat die Situation auch makroökonomische Implikationen: Die Kommunen tätigen knapp die Hälfte aller öffentlichen Investitionen in Deutschland und stellen Infrastruktur bereit, die für die Wirtschaft essentiell ist. Fallen diese Investitionen weg, leidet auch die gesamte Volkswirtschaft. 

Fehlende Datengrundlage, fehlende Debatte 

Die Frage nach den Kosten, die durch Gesetze des Bundes und der Bundesländer entstehen, ist also zentral. Nicht nur für die Handlungsfähigkeit des Staates auf allen Ebenen, sondern auch die Volkswirtschaft im Allgemeinen. Und dennoch gibt es keine umfassende Datengrundlage, die die Kosten von Bundes- und Landesgesetzgebung für die Kommunen beziffert. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund konnte auf MAKROSKOP-Anfrage keine Aussage zu den Kosten machen, Daten dazu lägen nicht vor. 

Einen Einblick in die Folgekosten von Bundesgesetzen gab nun die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der AfD-Fraktion im Bundestag. Diese wollte in mehreren Fragen die Kommunalen Aufgaben und Ausgaben durch Entscheidungen des Bundes erfragen. Aufgrund der offiziellen Aufgabenzuweisung durch die Länder an die Kommunen sind das nur grobe Schätzungen. Eine Auflistung der Ausgleichszahlungen an die Kommunen liegt auch dem Bund selbst nicht vor. 

Ein Beispiel zeigt jedoch die Dimensionen: Durch das Bürgergeld-Gesetz entstehen laut Bundesregierung für Länder und Kommunen über vier Jahre 1,16 Milliarden Euro Kosten.

Aber nicht nur Gesetze aus Berlin und den Landeshauptstädten führen zu hohen Folgekosten in den Verwaltungen: Die Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen EU-Recht melden, entsteht bei den den Kommunen nur für die Einrichtung von internen Meldestellen ein Aufwand von gut 46 Millionen Euro. Für den Betrieb der Meldestellen rechnet die Bundesregierung mit Kosten von gut 169 Millionen Euro jährlich. 

Besonders die Umstellungskosten bei neuen Regelungen sind zum Teil im dreistelligen Millionenbereich. Die Liste solcher Beispiele ließe sich lange fortführen. 

Das Problem der Folgekosten von Gesetzen besteht also schon eine ganze Weile, spitzt sich aber in den letzten Jahren weiter zu und wird in Zukunft noch dringender. 

Gesetzgebung im Eiltempo

Neben den strukturellen Gründen in der Kommunalfinanzierung ist die aktuelle Situation der Verwaltungsüberlastung auch durch die Art der Gesetzgebungsverfahren begründet. Die Probleme prangert der Normenkontrollrat schon seit Jahren an: Gesetzestexte werden zu kompliziert formuliert und sollen jeden Einzelfall abdecken, im Gesetzgebungsverfahren fehlt eine Einbindung der Praxis, sowohl aus der Wirtschaft als auch und vor allem den ausführenden Behörden. Nicht zuletzt werden vorgesehene Fristen für die Beteiligung von Wirtschaft, Kommunen und Zivilgesellschaft in vielen Fällen nicht eingehalten. Mehrere Landräte in Sachsen und Rheinland-Pfalz berichten MAKROSKOP von regelmäßigen Fristen für Stellungnahmen von 24 Stunden. 

Eigentlich sieht die Geschäftsordnung der Bundesregierung dafür eine Frist von vier Wochen vor. Doch das scheint die Ministerien nicht zu zügeln. Bei zwölf Gesetzen des Finanzministeriums und 13 Gesetzen des Wirtschaftsministeriums betrug die Rückmeldefrist gerade einmal fünf Tage oder weniger. 

Es wundert also nicht, dass es der Bundesgesetzgebung häufig an Praxistauglichkeit fehlt und die Finanzlage der Gemeinden und Städte kaum Berücksichtigung finden. Es fehlt schlicht die Zeit, dies zu artikulieren. 

Reformen und Lösungskonzepte

Expertengremien und Wissenschaftler haben eine Reihe von Reformideen und Konzepten entwickelt, die die Probleme angehen. Diese reichen von der Altschuldenhilfe belasteter Kommunen bis zur Reform des kommunalen Steuersystems.

Zur Verbesserung der Gesetzgebung schlägt der Nationale Normenkontrollrat unter anderem einen verpflichtenden Praxischeck für alle Bundesgesetze vor. Außerdem sollten, so der Expertenrat, Städte, Gemeinden und Landkreise intensiv in die Gesetzgebung eingebunden werden. Ein Anfang wäre schon einmal gemacht, würde sich die Bundesregierung mit ihren Fristen an die eigene Geschäftsordnung halten. 

Bei den wichtigen Wahlkampf-Debatten um den Bürokratieabbau muss in Zukunft die Verwaltungsüberlastung immer mitdiskutiert werden. Die neue Bundesregierung, unabhängig von der Konstellation, muss in der nächsten Legislaturperiode tätig werden, um den Reformstau der letzten 20 Jahre endlich abzuräumen. Denn sonst droht, was der Normenkontrollrat schon jetzt mahnt: die Handlungsunfähigkeit des Staates.