Big Government – und die Gefahr von 'Stranded Assets'
Klimakrisen und damit verbundene soziale und politische Umwälzungen werden staatliche Eingriffe erfordern, die zu einem neuen „Minsky-Moment“ führen könnten: dem systemischen Platzen globaler fossiler und finanzieller Vermögenswerte.
Im November 2024 kam es in dem spanischen Städtchen Paiporta zu beispiellosen Szenen. Der spanische König Felipe VI., Repräsentant des Staates, wurde von einer wütenden Menge attackiert und beschimpft. Hintergrund: bei Überschwemmungen in der Region Valencia waren 200 Menschen ums Leben gekommen. Die BBC berichtete, dass das Königspaar bei seinem Gang durch Paiporta – eine der am schlimmsten betroffenen Städte der Region – mit „Mörder“- und „Schande“-Rufen bedacht wurde. Premierminister Pedro Sánchez erging es nicht besser, er wurde zügig evakuiert, nachdem Gegenstände auf ihn flogen.
Spanien leidet besonders unter dem Klimawandel. Laut Experten von Medecc werden das Land und die Region einer anhaltenden Erwärmung ausgesetzt sein, die über den globalen Durchschnittswerten der Atmosphäre und des Meeres liegt. Es bedarf keiner großen Phantasie, dass durch den Klimawandel verstärkte heftige Regenfälle die sozialen Unruhen weiter verschärfen und die Forderungen nach einer politischen Reaktion lauter lassen werden.
Die menschlichen Tragödien und die Biodiversitätskosten des globalen Temperaturanstiegs im Jahr 2024 sind unermesslich. Das zeigen auch die jüngsten Auswirkungen des Zyklons Chido auf die kohlenstoffbindenden Wälder von Mayotte, einer Inselgruppe im Indischen Ozean. Die Menschen auf den Inseln haben wenig politische Einflussmöglichkeiten: Mayotte ist das ärmste Gebiet Frankreichs (und der Europäischen Union). Seine 326.000 Einwohner werden von nur einem Abgeordneten in der französischen Nationalversammlung und von zwei Senatoren vertreten.
Doch auch die großen nationalen Parlamente in Westeuropa, Indien oder China werden durch die sozialen und politischen Kosten des Klimawandels zu politisch bedingten Veränderungen gezwungen werden: zunächst auf nationaler und regionaler Ebene, dann auf der Ebene der weltweiten Energie-, Politik- und Wirtschaftsordnung. Dies wiederum könnte die Bewertung von Vermögenswerten, einschließlich fossiler Assets gefährden, die derzeit einen hohen Preis haben. Sie drohen stattdessen zu „gestrandeten Vermögenswerten“ zu werden.
Was sind gestrandete Vermögenswerte?
Die kontinuierliche und genaue Bewertung von Vermögenswerten ist das nervenaufreibende Herzstück des heutigen Finanzkapitalismus. Inwieweit ein Kreditnehmer oder Investor zusätzliche Finanzmittel (Schulden) aufnehmen kann, hängt fast ausschließlich vom Wert des Vermögenswerts oder der Sicherheit ab, die die Kreditaufnahme absichert. (Ähnlich wie die Fähigkeit eines Hausbesitzers, eine größere Hypothek aufzunehmen, von der Bewertung seines bestehenden Hauses oder seiner Sicherheit durch den Kreditgeber abhängt.)
„Stranded Assets“ sind Vermögenswerte, die unerwartete oder vorzeitige Abschreibungen bzw. Abwertungen hinnehmen müssen oder sogar in Verbindlichkeiten umgewandelt werden, wie Andreas Malm und Wim Carton in ihrem neuesten Buch Overshoot erläutern. Wie „Milchkühe, die getötet werden, bevor ihre Zeit abgelaufen ist.“ Solche fehlerhaften Bewertungen können auf globaler Ebene die Ursache für systemische Krisen sein (wie 2007 geschehen) – und zu Verlusten für globale Investoren und Vermögensverwalter führen.
Malm und Carton glauben nicht, dass Vermögenswerte aus fossilen Brennstoffen (definiert als Vermögenswerte, die zur Finanzierung der Exploration, Ausbeutung, Verteilung – einschließlich Transport, Raffination usw. – von Öl, Gas und Kohle sowie zur Stromerzeugung aus diesen Quellen beitragen) spontan überflüssig werden. Sie werden auch nicht durch den Wettbewerb oder eine epochale Krise zu Stranded Assets. Stattdessen, so argumentieren sie, wird der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen durch politische Akteure zu einem erzwungenen Vermögensverlust führen.
Die politische Zerstörung des fossilen Kapitals
Mark Campanale, Gründer der Carbon Tracker Initiative, bringt den von Malm und Carton vorgebrachten Gedanken auf den Punkt: „Wenn wir bei einer Erwärmung um 1,5 Grad extreme Wetterereignisse erleben, könnten die politischen Entscheidungsträger umschwenken und sagen: Okay, alles wird geschlossen. Niemand fährt heute Auto. Kohlekraftwerke sind abgeschaltet. Die Ölförderung wird eingestellt.“
Entscheidungen wie die von Campanale genannten könnten zu einem sogenannten „Minsky-Moment“ führen – einem Ereignis, dessen Auswirkungen nicht auf eine einzelne Branche oder einen einzelnen Staat beschränkt sind, sondern systemisch werden. Mit anderen Worten: ein Ereignis, das ein globales System zerstört oder transformiert. „Die Strandung von Vermögenswerten wäre dann eine politisch induzierte Wertvernichtung, die auf eine Valorisierung innerhalb der Kreisläufe des fossilen Kapitals wartet oder diese durchläuft“, schreiben Malm und Carton. Es wäre „die politische Zerstörung des fossilen Kapitals.“
Europäische und amerikanische Autohersteller, die auf fossile Brennstoffe setzen, sehen sich bereits durch die Politik einer Bedrohung ausgesetzt: die Subventionen der chinesischen Regierung für die Autoindustrie und die niedrigeren Lohnkosten – alles eine Folge einer bewussten Regierungspolitik. Diese und andere Bedrohungen betreffen sowohl die Autoindustrie der EU als auch die der USA. Chinesische Hersteller haben technologisch die Nase vorn und verdrängen ausländische Konkurrenten auf einem Markt, auf dem im Juli die Hälfte aller verkauften Fahrzeuge Elektrofahrzeuge oder Plug-in-Hybride waren. Chinas Emporkömmlinge profitierten von enormen staatlichen Subventionen und niedrigeren Lohnkosten. Laut Financial Times begriffen sie jedoch schneller, dass der Wert von Elektrofahrzeugen eher in raffinierter Software und Elektronik als in der Mechanik liegt.
Die Folgen für die Automobilindustrie in der EU und den USA: die Vermögenswerte der Branche werden „stranden“.
Mit Eingriffen in die Ordnung hat der Staat Erfahrung
Indes haben staatliche Eingriffe in die Umgestaltung von Branchen und Volkswirtschaften eine lange Geschichte. Nur einige davon seien genannt:
- Die Abschaffung der Sklaverei von 1807 bis 1833: Die Auswirkungen politischer Entscheidungen zur Änderung der Bewertung des Vermögenswerts, der die schwarze Plantagenarbeit darstellte, waren sowohl in Großbritannien als auch in den Vereinigten Staaten immens. Obwohl unter anderem vom britischen Staat großzügig entschädigt, wurde der plutokratische Reichtum der Sklavenhalter durch die Abschaffung gemindert.
- Der Zusammenbruch des Goldstandards 1933, unterstützt durch die Regierung Roosevelt: Wie der Historiker Eric Rauchway in seinem Buch „The Money Makers“ erklärt, löste Präsident Roosevelt die Vereinigten Staaten fast unmittelbar und einseitig nach seiner Wahl im Jahr 1933 vom Goldstandard. Die Befürworter des Goldes waren Plutokraten aus der Großindustrie, während die Befürworter eines neuen Währungsmodells politische Progressive waren, die für die Bedürfnisse von Landwirten und Arbeitern offen waren. Die Entscheidung der Regierung Roosevelt sollte sowohl die US-Wirtschaft als auch letztendlich die Weltwirtschaft verändern.
- Der Nixon-Schock von 1971: Richard Nixons Entscheidung, den Dollar vom Gold abzukoppeln, wurde im August 1971 ohne Vorwarnung verkündet und veränderte das globale Währungssystem im Handumdrehen. Die Yale-Fakultät sprach mit dem Autor Jeffrey E. Garten über die drei Tage des Dramas, die der Ankündigung vorausgingen: „Am Sonntagabend trat Nixon im Fernsehen auf und brachte sehr deutlich zum Ausdruck, was beschlossen worden war. Der Dollar würde nicht mehr durch Gold gedeckt sein. In den USA sollte es einen 90-tägigen Lohn- und Preisstopp geben, um die Inflation einzudämmen. Und er führte einen 10-prozentigen Zoll auf alle Importe ein, der erst nach Abschluss eines neuen internationalen Währungsabkommens aufgehoben werden sollte. Damit wurde allen anderen Ländern eine Pistole auf die Brust gesetzt. Dies geschah nicht nur einseitig, sondern auch mit enormer Wucht. Die Vereinigten Staaten konnten damit nie wieder durchkommen – es war ein einzigartiger Moment. Diese politischen Veränderungen hatten enorme Auswirkungen. Es ist schwer, sich ein größeres Maßnahmenpaket vorzustellen, das in einem Zug angekündigt wurde.“
Weitere große staatliche Interventionen sind die großen Rettungsmaßnahmen von 2007–2009 und vom März 2020 sowie die Rolle von Big Government während der COVID-Pandemie 2019–2023. Und vielleicht auch die Wahl von Donald Trump?
Zumindest wartet die Welt auf die möglichen Auswirkungen der Amtseinführung von Donald Trump. Für ihn ist der Klimawandel eine Lüge. Aber er und sein Team sind, wie die New York Times berichtet, entschlossen, dass die US-Regierung in die globale politische Ordnung eingreifen sollte, um zwei Länder zu erwerben, die stark vom Klimawandel betroffen sind: Grönland und den Panamakanal.
Das schwindende Eis in Grönland hat bereits Gebiete für den Abbau kritischer Mineralien und für Öl- und Gasbohrungen durch amerikanische Unternehmen von selbst erschlossen. Wie Trumps ehemaliger nationaler Sicherheitsberater Robert C. O'Brien der New York Times mitteilte, ist Grönland „das entscheidende Schlachtfeld der Zukunft“, da es einerseits Schifffahrtsrouten eröffnet und die Abhängigkeit vom Panamakanal verringert. Andererseits aber auch, weil die globale Erwärmung US-Unternehmen Möglichkeiten zur Exploration von Öl, Gas und Mineralien bietet.
Dies wiederum könnte „das Risiko von Umweltkatastrophen erhöhen“, so Amanda Lynch, Professorin an der Brown University, die sich seit fast 30 Jahren mit dem Klimawandel in der Arktis befasst.
Unter den vielen Bedrohungen, die die Regierung von Donald Trump für die Weltwirtschaft darstellt, könnten seine imperialen Ambitionen, Land zu erwerben, das unabhängigen souveränen Staaten gehört, die Art von staatlicher Intervention sein, welche, wenn sie erfolgreich ist, sowohl die globale politische als auch die Klimaordnung stören könnte.
Wäre Machiavelli hier, um Ratschläge zu erteilen, hätte er gewarnt, dass „nichts schwieriger durchzuführen, erfolgsloser und gefährlicher zu handhaben ist, als eine neue Ordnung der Dinge zu initiieren.“
Die Originalversion dieses übersetzten Artikels hat Ann Pettifor auf Substack veröffentlicht.