Braucht Deutschland das BSW?
Der einzige Outlaw im Lande ist das BSW: Eine Partei, die mit ihren Positionen überfordert, die sich nicht in ein simples Rechts-links-Schema einordnen lassen. Aber vielleicht braucht es genau das.
Bei der diesjährigen Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst gab es zum Schluss noch eine Überraschung. Vertreter von SPD, CDU und FDP, von Grünen und Linken tanzten und sangen gemeinsam. Von Strack-Zimmermann bis Gysi: alle zusammen auf einer Bühne! Singen und tanzen können sie nicht. Das war zum Fremdschämen. Strack-Zimmermann weiß sich immerhin gekonnt bis zur Unkenntlichkeit zu verkleiden. BSW und AfD waren nicht dabei. Sind dies die beiden Outlaws der Politik?
Das Bild trügt. Auch wenn Tag und Nacht die Brandmauer zur AfD beschworen wird: Spätestens seit Friedrich Merz‘ Versuch, mit der AfD Migrationsgesetze durchzubringen, weiß jeder, dass es diese Brandmauer mindestens zwischen der CDU und der AfD nicht mehr gibt.
Der einzige Outlaw im Lande ist das BSW.
Wahrscheinlich werden wir nach der Wahl am 23. Februar eine schwarz-rote Koalition unter einem Kanzler Merz bekommen. Werden SPD und CDU zusammenarbeiten können? Werden sie das Land nach vorne bringen? Es ist zu befürchten, dass dies nicht der Fall sein wird. Die nächste Bundestagswahl wird dann noch einmal die AfD stärken und wir werden eine schwarz-blaue oder gar ein blau-schwarze Regierung haben.
Diese beiden Parteien haben viel gemein. Als die größten Probleme unseres Landes werden von diesen beiden das zu hohe Bürgergeld, die faulen Deutschen und die „Ausländer“ erkannt. Der Sozialstaat wird geschliffen und der Buhmann ist der Migrant. Und je mehr geschliffen wird, desto mehr leiden die unteren Schichten der Bevölkerung und desto hässlicher wird die Haltung gegenüber Migranten. Deutschland wird mehr denn je gespalten. Und diejenigen, die im linksliberalen Lager sind (SPD, Grüne und die Linke), begreifen nicht, dass sie mit ihrem unreflektierten Kampf für Demokratie und eine liberale Migrationspolitik das Ungeheuer säugen, das sie vorgeben zu bekämpfen: den Rassismus.
Natürlich müssen wir unsere Demokratie retten, eher noch richtig aufbauen. Und natürlich brauchen wir eine Migrationspolitik, die frei ist von Ressentiments gegenüber „anderen“. Doch die Demokratie wird nicht dadurch gerettet, dass man mit bunten Fahnen für Freiheit, Vielfalt und Demokratie demonstriert – die Demonstrationen werden eher die Spaltung vorantreiben -, sondern indem man konsequent eine Politik betreibt, die dafür sorgt, dass die Menschen in unserem Land sich sicher fühlen, dass sie sich keine Sorgen um ihre Zukunft und insbesondere keine Sorgen vor einem sozialen Abstieg machen müssen. Nach Brechts bekanntem Diktum kommt erst das Fressen und dann die Moral. Sicherheit – innere, äußere und soziale – ist die unabdingbare Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Auf diesem Boden kann Vielfalt gedeihen und auf diesem Boden können die Deutschen sich gegenüber Fremden öffnen.
Nur eine geordnete Migration bringt eine geglückte Integration mit sich
Kommen wir zur Migrationspolitik und damit zum BSW. Das BSW war 2024 der Shootingstar in der deutschen Parteienlandschaft. Nun droht nach dem beeindruckenden Start das Scheitern an der 5-Prozent-Hürde am 23. Februar. Wie kommt es, dass diese Partei plötzlich so um das politische Überleben kämpfen muss? Sind es die internen Querelen? Sind es die Medien, die das BSW in ein zu schlechtes Licht stellen? Motzt die spröde Sahra zu viel? Ist der Kuschelbär Robert am Küchentisch einfach die wärmere Option?
Oder überfordert das BSW uns mit seinen Positionen, die sich nicht in ein simples Rechts-links-Schema einordnen lassen? Die Position des BSW zur Migration – aber sicherlich auch zum Ukrainekrieg – macht die Zeitgenossen meist wütend, manchmal ratlos.
Ich würde mich als moralischen Universalisten bezeichnen. Alle Menschen haben ein Recht auf ein gutes Leben. Wie immer eine präzise Formulierung dieses moralischen Postulats aussieht, es lässt sich wenig daraus unmittelbar für politische Institutionen und politisches Handeln ableiten. Wenn Ideal und Real aufeinanderprallen, gehen das Denken und der Diskurs erst los. Man kann sich zum Beispiel darüber streiten, ob ein Weltstaat oder gar eine staatenlose Welt der beste Ort für ein gutes Leben aller Menschen ist. Oder könnte es sein, dass kleinere staatliche Einheiten mit Grenzen und staatlich durchsetzbaren Regeln – als notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung – erst ein friedliches Zusammenleben der Menschen und Völker ermöglichen?
Moderne Migrationspolitik bewegt sich in einem Spannungsfeld: Unsere Demokratie hat einen humanitären Auftrag gegenüber den Verfolgten und Gefährdeten dieser Welt. Sie achtet aber genauso auf den Bedarf an Arbeitskräften für unser Land und sie muss im Blick haben, dass der Zuzug von Menschen – oft aus anderen Kulturen – das Gemeinwesen und dessen Infrastruktur nicht überfordert. Deutsche sind den Fremden gegenüber aufgeschlossen, wenn sie sich keine Sorge um ihre Existenz machen müssen. Was wir auch nicht vergessen sollten: Fachkräfte, die wir hier gerne aufnehmen, fehlen in den Ursprungsländern, die sie womöglich ausgebildet haben.
Eine moderne Migrationspolitik muss ihren Weg in diesem Spannungsfeld finden. „Ausländer raus“ und „No Border“ sind keine Optionen. Eine geordnete Migration bringt eine geglückte Integration mit sich. Das BSW ist sich dieses Spannungsfeldes bewusst. Das unterscheidet es wesentlich von einem völkischen Chauvinismus à la AfD. Das BSW ist humanistisch.
Geldforderungen für Rüstung ohne sachliche Analyse sind Aktionismus
Auch das BSW weiß, dass Deutschland verteidigungsfähig sein muss. Aber bevor Deutschland entscheidet, wieviel es für Rüstung ausgibt, brauchen wir eine Gefährdungsanalyse und eine Bestandsaufnahme der Schwächen der Bundeswehr. Jeder Euro, der in die Rüstung fließt, fehlt für andere staatliche Aufgaben. In der politischen Debatte überbieten sich die Parteien mit Rüstungsausgaben. Die Forderung der Grünen frisst zum Beispiel rund 30 Prozent des Bundeshaushaltes auf. Geldforderungen ohne sachliche Analyse sind Aktionismus. Diplomatie muss immer Vorrang haben. Sie ist human, billig und umweltfreundlich. Und: Die Deutschen wollen keine Teilnahme an Stellvertreterkriegen oder Kriegen in fernen Regionen.
In einem Artikel der Taz kurz nach dem Einmarsch der Russen in die Ukraine forderte ein Autor von den Deutschen wieder Kriegermentalität. Er glaubte allerdings, dass die Deutschen das nicht schaffen. Ich dachte nur: „Gott sei Dank!“ Es gehört zu den Paradoxien dieses Wahlkampfes, dass die Deutschen kein kriegstüchtiges Volk sein wollen, dass sie lieber Frieden – am besten ihre Ruhe – haben wollen, aber die einzige Partei, die Diplomatie für wichtiger hält als Waffen, keine rechte Chance hat.
Die Entwicklung der Grünen, die als pazifistische Partei antraten, haben wir alle in den letzten Jahren mit Erstaunen zur Kenntnis nehmen müssen. Der letzte grüne Pazifist ist wohl der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann. Es ist von trauriger Symbolik, dass Antje Vollmer, die ich erst in den letzten Jahren schätzen lernte, 2023 verstorben ist.
Das BSW bekennt sich zum Pariser Klimaabkommen, es setzt dabei auf Erneuerbare. Gleichzeitig betont es, dass wir bezahlbares Gas – auch aus Russland – brauchen, bis eines Tages dieses natürliche Gas durch Gas ersetzt wird, das von Erneuerbaren erzeugt wurde. Für das BSW steht die Ökologie sicher nicht an erster Stelle – zum Teil auch weil man sich manchmal etwas krampfhaft von den Grünen absetzen will –, aber vielleicht ist das BSW ungewollt die Partei mit dem größten Umweltpotential. Wenn ich die Verteidigungsausgaben auf vernünftigem Niveau halte, habe ich Geld und Ressourcen für den ökologischen Umbau: Je weniger Stahl ich für Panzer brauche, desto mehr steht mir für den Netzausbau zur Verfügung.
Der Schock nach Trumps Kehrtwende in der Ukrainepolitik sitzt tief in Europa. Die Amerikaner haben eiskalte Interessenspolitik serviert. Da stören Europa und die Ukraine am Verhandlungstisch. Europa scheint nun zur Souveränität aus Trotz entschlossen. Dumm wäre es, wenn diese Souveränität sich als Kampf gegen alles Böse inszeniert. Europa im Kampf gegen die USA, China und Russland. Können wir da gewinnen? Wohl kaum, insbesondere wenn es Trump schafft nicht nur mit Russland, sondern auch mit China einen modus vivendi (einen „Deal“) zu finden.
Wo ist die ruhige Stimme der Vernunft?
Aber für Trump gilt: Nichts Genaues weiß man nicht. Wie wichtig wäre es, wenn es in diesem Europa der aufgescheuchten Hühner und schmalbrüstigen Hähne eine ruhige Stimme der Vernunft gäbe – in diesem Europa, in dem so viel Nebel den klaren Blick verstellt. Willy Brandt, Egon Bahr und Hans Dietrich Genscher sind tot. Wir bräuchten sie. Ob das BSW die Chance bekommt und die Fähigkeit hat, in diese großen Fußstapfen der Verstorbenen zu treten, wird die Zukunft zeigen.
Das BSW will die Partei der kleinen Leute sein, aber auch des unternehmerischen Mittelstandes, der zu Deutschland gehört. Das kann funktionieren. Eine möglichst umfassende Tarifbindung zum Beispiel erhöht den Lohndruck. Dies kann zu Innovation und Produktivitätssteigerungen führen. Makroökonomisch ist dies sinnvoll. Der einzelne Unternehmer, solchermaßen unter Druck gesetzt, wird davon aber nicht begeistert sein. Das BSW muss ihm mehr bieten. Neben dem überall und auch vom BSW verkündeten Bürokratieabbau wäre der Aufbau einer staatlichen und staatlich geförderten Forschungslandschaft, die auf die Bedürfnisse unserer hidden champions zugeschnitten ist, hilfreich.
Das BSW ist noch im Werden. Wenn es eine Zukunft hat, könnte es sich zu einer grünen Sozialdemokratie entwickeln, die sich von linken Lebenslügen verabschiedet hat und damit erst einem humanistischen Auftrag gerecht werden kann. Wenn Linke, Grüne und SPD die Ideen von BSW übernehmen und in Folge das BSW verschwindet, dann kann ich damit leben. Mir geht es nicht um die Partei, sondern um die Sache. Wenn aber das BSW verschwindet, ohne dass es andere mit seinen Ideen infiziert hat, dann werden wir die oben beschriebene hässliche Spaltung bekommen.