Ukraine-Krieg

Germans to the Front!

| 15. März 2023

Auf Druck der USA könnte die indirekte deutsche Beteiligung am Ukraine-Krieg immer direkter werden – und sich ähnlich wie die Rolle als Waffenlieferant entwickeln.

Hofstadters Gesetz, ein Abkömmling von Murphy’s Law, lautet bekanntlich: "Alles dauert länger, als man denkt". Letztes Jahr machte der russische Kriegsherr Putin mit ihm Bekanntschaft. Wenn er dem Beispiel Trotzkis und Mao Zedongs gefolgt wäre und ein bisschen Zeit mit der Lektüre von Clausewitz verbracht hätte, hätte er sich den Schock ersparen können. Nachdem die Einnahme Kiews, die in ein oder zwei Wochen hätte abgeschlossen sein sollen, gescheitert war, musste Putin die unangenehme Aussicht auf einen Krieg von unbestimmter Dauer nicht nur mit Kiew, sondern in der einen oder anderen Form auch mit den Vereinigten Staaten in Kauf nehmen, wenn er dem endogenen Faschismus und exogenen Westernismus der Ukraine ein für alle Mal ein Ende setzen wollte.

Wenige Monate später wurde Putins amerikanischem Amtskollegen Biden eine ähnliche Erkenntnis zuteil. Ein ukrainischer Sieg war nicht in Sicht, und das Arsenal westlicher Wirtschaftssanktionen gegen Russland und Putins oligarchische Freunde hatten der russischen Fähigkeit, sich im Donbass und auf der Halbinsel Krim zu halten, erstaunlich wenig geschadet. Zudem machten die Zwischenwahlen im November 2022 unmissverständlich klar, dass die Bereitschaft der amerikanischen Wählerschaft, die Abenteuer des Teams Biden-Blinken-Sullivan-Nuland zu finanzieren, bei weitem nicht grenzenlos ist und der sich abzeichnende Zermürbungskrieg, Ende nicht absehbar, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 zu einer tödlichen Belastung werden könnte.

Da ein Abzug wie der aus Afghanistan, der selbst in der notorisch vergesslichen amerikanischen Öffentlichkeit noch unvergessen ist, nicht in Frage kommt, und auf der anderen Seite Putin keine andere Wahl hat, als weiterzumachen oder unterzugehen, liegt es nun an Biden zu entscheiden, wie es weitergehen soll.

Alternative 1: "Einfrieren"

Anfang März 2023 sieht es so aus, als müssten die Vereinigten Staaten zwischen zwei Alternativen wählen, und zwar schnell. Nennen wir die erste den Chinesischen Ausweg. Seit Scholz' eintägigem Besuch in Peking am 4. November haben China und Xi persönlich wiederholt darauf bestanden, dass der Einsatz von Atomwaffen, auch von solchen taktischer Art, unter allen Umständen ausgeschlossen werden muss. Aus offensichtlichen Gründen betrifft dies Russland mehr als die USA oder die Ukraine, angesichts der inzwischen weithin sichtbaren Mängel der russischen konventionellen Streitkräfte. Mit einem Militärhaushalt, der kaum höher ist als der deutsche – und dieser hat sich unter den Vorzeichen der Zeitenwende angeblich als unzureichend erwiesen – muss Russland im Gegensatz zu Deutschland eine Atomwaffe unterhalten, und zwar eine mit strategischen interkontinentalen Fähigkeiten, die derjenigen der Vereinigten Staaten entspricht. Die Folgen wurden deutlich, als die russische Armee sich als unfähig erwies, Kiew einzunehmen, das nur etwa 300 Kilometer von der russisch-ukrainischen Grenze entfernt ist.

Indem China Russland, das von ihm als seinem engsten und mächtigsten Verbündeten abhängig ist, signalisierte, dass eine nukleare Antwort auf einen amerikanisch bewaffneten ukrainischen Vormarsch unerwünscht ist, tat es den Vereinigten Staaten und der NATO einen wichtigen Gefallen – so wichtig, dass es schwer zu glauben ist, dass er ohne Gegenleistung gewährt wurde. Tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten sich im Gegenzug verpflichten mussten, die militärische Stärke der Ukraine auf einem Niveau zu begrenzen, das Russland nicht in eine Situation bringen kann, die es zwingen würde, zu – taktischen – Atomwaffen zu greifen. Ergebnis einer solchen stillschweigenden Übereinkunft, falls es sie gibt, was wahrscheinlich ist, wäre ein "Einfrieren" des Krieges: eine Pattsituation um die derzeitigen territorialen Positionen der beiden Armeen, die jahrelang andauern könnte.

Wenn die Vereinigten Staaten bereit wären mitzuspielen, könnte diese Art von Diplomatie unter der Ägide Chinas weitergehen. Von einem Patt ist es nicht weit zu einem Waffenstillstand und später vielleicht zu so etwas wie einer Friedensregelung, selbst wenn es ein schmutziger Frieden wie in Bosnien und im Kosovo wäre. Die Vereinigten Staaten müssten die ukrainische Regierung zum Mitmachen zwingen, was nicht allzu schwierig sein dürfte, da sie sie ja selbst eingesetzt haben: "Der Herr hat gegeben und der Herr hat genommen; gepriesen sei der Name des Herrn".

Aus amerikanischer Sicht bestünde jedoch ein wichtiger Mangel dieser Art von Lösung darin, dass die Chinesen als Gegenleistung für ihre guten Dienste und ihre Hilfe bei Bidens Wiederwahl Zugeständnisse in Asien erwarten könnten, die es Biden erschweren würde, das zu tun, was er nach der Ukraine ziemlich eindeutig tun will: China auf die eine oder andere Weise anzugreifen, um dem zu entgehen, was in der heutigen strategischen Debatte in den USA als "Thukydides-Falle" bezeichnet wird – die Notwendigkeit für einen amtierenden Hegemon, einen aufstrebenden Rivalen früh genug zu attackieren, solange er noch sicher sein kann, dass er den Krieg gewinnen wird.

Alternative 2: Germanisierung

So verlockend die Aussicht auf einen Ausweg aus dem ukrainischen Sumpf auch sein mag, es gibt Anzeichen dafür, dass die Vereinigten Staaten zu einem zweiten, alternativen Ansatz tendieren, den man als Europäisierung, ja Germanisierung des Krieges bezeichnen könnte. Man erinnere sich an die sogenannte Vietnamisierung des Vietnam-Krieges. Sie hat zwar letztlich nicht funktioniert – am Ende wurden die Vereinigten Staaten besiegt, nicht ihr regionaler Stellvertreter, der nie mehr war als ein amerikanisches Hirngespinst –, aber sie hat den USA eine Atempause verschafft und es ihrer Propagandamaschine ermöglicht, der amerikanischen Öffentlichkeit die Aussicht auf einen ehrenvollen Rückzug vom Schlachtfeld zu verkaufen, bei dem das Schlachten einem politisch zuverlässigen und militärisch fähigen Verbündeten überlassen würde.

In den 1960er Jahren gab es in Südostasien keinen solchen Verbündeten, aber im Europa der 2020er Jahre sieht es vielleicht anders aus. Anders als in Afghanistan könnte es den Vereinigten Staaten möglicherweise gelingen, sich langsam vom operativen Geschäft des Krieges zurückzuziehen, es eher zu beaufsichtigen statt zu führen und die materielle Unterstützung, die taktischen Entscheidungen und die Übermittlung schlechter Nachrichten an die ukrainische Regierung einem lokalen Subkommandanten zu überlassen, der im Falle eines Scheiterns als Sündenbock und Prügelknabe dienen könnte.

Wer könnte diese Aufgabe übernehmen? Es ist klar, dass die Europäische Union es nicht könnte. Sie wird zwar von einer ehemaligen Verteidigungsministerin geführt, doch deren Inkompetenz ist offenkundig, seit sie mit ihrem Wechsel nach Brüssel haarscharf einer parlamentarischen Untersuchung ihrer Versäumnisse im Ministeramt entging. Noch wichtiger ist, dass die EU kein wirkliches Geld hat, und wer in Brüssel mit wem über was entscheidet, ist selbst für Insider ein Rätsel, was regelmäßig zu langsamen, unklaren und unzurechenbaren Entscheidungen führt – nicht gerade das, was in einem Krieg gebraucht wird.

Auch dem Vereinigten Königreich, das sich durch seinen Austritt von der Gesetzgebungsmaschinerie der EU abgekoppelt hat, kann die Aufgabe nicht übertragen werden. Außerdem dient Großbritannien bereits als globales Hilfskommando für die Vereinigten Staaten beim Aufbau einer weltweiten Front gegen China. Ebenso wenig kommt das berühmte deutsch-französische "Tandem" in Frage, von dem niemand mit Sicherheit weiß, ob es mehr ist als eine journalistische oder diplomatische Schimäre.

Bleibt Deutschland – und in der Tat hat man rückblickend das Gefühl, dass es bereits seit einiger Zeit von den Vereinigten Staaten als ihnen unterstellter Oberbefehlshaber für den ukrainischen Teil des globalen Krieges für "westliche Werte" hergerichtet worden ist. Eine Germanisierung des Ukraine-Konflikts würde es der Biden-Administration ersparen, sich den Chinesen für deren Unterstützung beim Rückzug aus einem Krieg zu verpflichten, der innenpolitisch unpopulär zu werden droht. Amerikanische Bemühungen, Deutschland als europäischen Stellvertreter einzusetzen, können sich auf das Erbe des Zweiten Weltkriegs stützen, zu dem eine starke Präsenz des US-Militärs in Deutschland gehört, die zum Teil noch auf Rechtsansprüchen beruht, die auf die bedingungslose Kapitulation Deutschlands im Jahr 1945 zurückgehen.

Derzeit sind etwa 35.000 amerikanische Soldaten in Deutschland stationiert, mit 25.000 Familienangehörigen und 17.000 zivilen Mitarbeitern, mehr als irgendwo sonst auf der Welt, außer vermutlich in Okinawa. Über das ganze Land verteilt unterhalten die Vereinigten Staaten 181 Militärstützpunkte, die größten davon Ramstein in Rheinland-Pfalz und Grafenwöhr in Bayern. Ramstein diente als operatives Hauptquartier im „Krieg gegen den Terror“ – unter anderem zur Koordinierung der Shuttle-Flüge für Gefangene aus aller Welt nach Guantanamo – und ist nach wie vor der Kommandoposten für sämtliche amerikanischen Interventionen im Nahen Osten. Nicht zuletzt beherbergen die amerikanischen Stützpunkte in Deutschland eine unbekannte Anzahl von Atomsprengköpfen, von denen einige von der deutschen Luftwaffe mit US-zertifizierten Jagdbombern (im Rahmen der sogenannten "nuklearen Teilhabe") auf von den USA vorgegebene Ziele angeworfen werden können.

In der Nachkriegszeit versuchten deutsche Regierungen immer wieder, eine eigene nationale Sicherheitspolitik zu entwickeln – wie Willy Brandts Entspannungspolitik, die von Nixon und Kissinger mit Argwohn beobachtet wurde; Schröders Weigerung, gemeinsam mit Chirac, sich der "Koalition der Willigen" bei der gescheiterten Suche nach Massenvernichtungswaffen im Irak anzuschließen; Merkels Veto im Jahr 2008 zusammen mit Sarkozy gegen die Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die NATO; Merkels Versuch, gemeinsam mit Hollande, eine Art Einigung zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln, gipfelnd in den Vereinbarungen Minsk I und II; und Merkels hartnäckige Weigerung, das NATO-Ziel eines Verteidigungshaushalts von zwei Prozent des Sozialprodukts ernst zu nehmen.

2022 jedoch hatte der Niedergang der Sozialdemokratischen Partei und der Aufstieg der Grünen die Fähigkeit und den Wunsch Deutschlands, zumindest ein Mindestmaß an strategischer Autonomie anzustreben, nachhaltig geschwächt. Dies zeigte sich zwei Tage nach Kriegsbeginn in der Zeitenwende-Rede von Scholz im Bundestag, die im Kern ein an die Vereinigten Staaten gerichtetes Versprechen war, dass sich Aufsässigkeiten nach Art von Brandt, Schröder und Merkel nicht wiederholen würden.

Ein Test nach dem anderen

Scholz mag gehofft haben, dass das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen, vorgesehen für die Aufrüstung der Bundeswehr, alles Neuverschuldung und in der normalen Haushaltsrechnung unsichtbar, jeden verbliebenen Verdacht auf deutschen Ungehorsam besänftigen würde. Stattdessen kam es im ersten Kriegsjahr 2022 zu einer Reihe von Tests, konzipiert und durchgeführt von US-amerikanischen Experten für global governance zur Erkundung der wirklichen Tiefe der deutschen Konversion vom Nachkriegspazifismus zum anglo-amerikanischen Westernismus. Als skeptische Beobachter nur wenige Wochen nach der Zeitenwende-Rede feststellten, dass von den 100 Milliarden Euro an frischem Geld noch nichts ausgegeben war – ein Zustand, der bis heute anhält – reichte es für die deutsche Regierung nicht, darauf hinzuweisen, dass die neue Ausrüstung erst bestellt werden müsse, bevor sie bezahlt werden könne, und dass sie erst ausgewählt werden müsse, bevor sie bestellt werden könne. Um seinen guten Willen zu zeigen, beeilte sich Deutschland deshalb, einen Vertrag über 35 F-35 zu unterzeichnen – mit der amerikanischen Regierung und nicht, wie man hätte erwarten können, mit den Herstellern Lockheed Martin und Northrop Grumman. Das Flugzeug, das schon lange ein Wunschobjekt der grünen Außenministerin war, soll die angeblich veraltete Tornado-Flotte ersetzen, die Deutschland für seine nukleare Teilhabe unterhält. Für geschätzte acht Milliarden Dollar einschließlich Reparatur und Wartung sollen die Flugzeuge gegen Ende des Jahrzehnts geliefert werden, wobei der Vertrag der amerikanischen Regierung erstaunlicherweise das Recht einräumt, den Preis einseitig nach oben zu korrigieren, wenn sie es für sinnvoll hält.

Wie sich herausstellte, brachte der F-35-Deal den Deutschen nicht mehr als eine kurze Galgenfrist. Während sich die Lobbyisten aus Deutschland und anderen Ländern und die Militärs darüber stritten, wofür der Rest des Sondervermögens am besten ausgegeben werden sollte, entließ Scholz, um die amerikanische Ungeduld zu besänftigen, die Verteidigungsministerin, eine langgediente SPD-Politikerin, die gegen ihren Willen ernannt worden war, um ein vermutetes allgemeines Bedürfnis nach Geschlechterparität im Bundeskabinett zufriedenzustellen. Kurz bevor sie gehen musste, verlangte eine ihrer potenziellen Nachfolgerinnen als Ombudsfrau der Bundeswehr eine Erhöhung der 100 Milliarden auf 300 Milliarden. Wenige Tage später ging der Job an einen anderen, bis dahin niedersächsischer Innenminister, der ebenfalls keine militärische Erfahrung hat, aber so etwas wie eine umfassende Managementkompetenz ausstrahlt. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Auflösung einer bis dahin sorgsam gepflegten Zweideutigkeit in der Zeitenwende-Rede, nämlich ob die 100 Milliarden dazu dienen sollten, den regulären Verteidigungshaushalt auf die NATO-Zwei-Prozent-Marke anzuheben oder ob sie zu den zwei Prozent hinzukommen sollten, als eine Art Strafe für vergangene Versäumnisse.

Dem neuen Mann, Pistorius, zufolge war letzteres der Fall – was für ihn bedeutete, dass die regulären Verteidigungsausgaben über mehrere Jahre hinweg jährlich um 10 Milliarden Euro steigen müssen, und zwar zusätzlich zu und unabhängig von den Ausgaben aus dem Sondervermögen. Als dann der Generalsekretär der NATO, Stoltenberg, der im Begriff ist, Chef der norwegischen Zentralbank zu werden – eine Sinekure, wenn es je eine gegeben hat –, wissen ließ, dass zwei Prozent von nun an nur noch das Minimum seien, das in der Regel zu überschreiten sei, stimmte Pistorius als einer der ersten öffentlich zu.

Die nächste Bewährungsprobe, im September 2022, war die Zerstörung der Pipelines Nord Stream 1 und 2 durch ein amerikanisch-norwegisches Kommando, wie berichtet von Seymour Hersh. Hier bestand die Prüfungsaufgabe für die deutsche Regierung darin, so zu tun, als wüsste sie nicht, wer es gewesen war, generell über das Ereignis zu schweigen und die deutsche Presse dazu zu bringen, entweder dasselbe zu tun oder der Öffentlichkeit zu sagen, dass "Putin" derjenige war. Dieser Test wurde mit Bravour bestanden. Als eine Bundestagsabgeordnete der Linkspartei – die einzige von immerhin 736 Mitgliedern – einige Wochen nach dem Vorfall bei der Regierung nachfragte, was sie über diesen wisse, wurde ihr mitgeteilt, dass aus Gründen des „Staatswohlsderartige Fragen jetzt und in Zukunft nicht beantwortet werden könnten. Und am Tag, nachdem Hersh seine Erkenntnisse öffentlich gemacht hatte, berichtete die Frankfurter Allgemeine darüber unter der Überschrift "Kreml: USA haben Pipelines beschädigt".

„Stand with Ukraine!“

Eine weitere Loyalitätsprüfung, die sich über einen längeren Zeitraum hinzog und parallel zur Schlacht um den Haushalt stattfand, betraf die Lieferung von Waffen und Munition an die ukrainische Armee. Die Ukraine war seit 2014 das Industrieland mit dem bei weitem höchsten jährlichen Anstieg der Verteidigungsausgaben, bezahlt nicht von seinen Oligarchen, sondern von den Vereinigten Staaten, denen es die so genannte "Interoperabilität" zwischen der ukrainischen Armee und der NATO ging (nach offiziellen Angaben im Jahr 2020 erreicht). Während dies für die russischen Generäle ein Grund zur Besorgnis gewesen sein muss – sie wussten natürlich um den Verfall ihrer konventionellen Streitkräfte nach Putins Entscheidung, mit der Modernisierung der amerikanischen Nuklearstreitkräfte Schritt zu halten –, wurden die NATO-Staaten vom ersten Tag des russischen Angriffs an aufgefordert, Waffen in die Ukraine zu schicken, und zwar immer stärkere und in immer größerer Zahl.

Als klar wurde, dass die Ukraine ohne ständige materielle Unterstützung aus dem wiedererstarkten Westen nicht in der Lage sein würde, sich selbst zu behaupten, bestanden die USA darauf, dass die europäischen Länder einen wachsenden Teil der Last tragen sollten, einschließlich und vor allem diejenigen, die sich der Vernachlässigung ihres Militärs schuldig gemacht hatten, allen voran Deutschland.

Bald jedoch stellte sich heraus, dass die nationalen Armeen alles andere als begeistert waren, einige ihrer wertvollsten und prestigeträchtigsten Ausrüstungen an die Ukraine abgeben zu müssen, was ihnen zufolge ihre Fähigkeit zur Verteidigung des eigenen Landes beeinträchtigen würde. Hinter ihrer Zurückhaltung mag die Befürchtung gestanden haben, dass das, was sie den Ukrainern überließen, dem Feind in die Hände fallen, auf dem Schlachtfeld irreparabel beschädigt oder auf dem internationalen Schwarzmarkt verkauft werden könnte, sie also nicht auf Rückgabe hoffen könnten, selbst wenn es sich formal nur um Leihgaben handelte. Eine weitere Sorge betraf ihre Aussichten auf Wiederaufrüstung durch ihre nationalen Regierungen, wenn der Krieg vorbei sein würde und die Ukraine von "Europa" wieder aufgebaut werden müsste, besser denn je, wie Ursula von der Leyen aus Brüssel nicht müde wird zu versprechen.

Es gab auch Befürchtungen, typischerweise geäußert von hochrangigen Militärs im Ruhestand, dass die europäischen Länder in einen Krieg hineingezogen würden, dessen Führung und Ziele ihre Regierungen, wie von den USA und der öffentlichen Meinung gefordert, den Ukrainern zu überlassen haben. Nicht zuletzt scheint die Befürchtung zu bestehen, dass die Ukraine, wenn der Krieg jetzt abrupt beendet würde, über das größte und am besten ausgerüstete Landheer in Europa verfügen würde.

Wieder war es Deutschland, das mit Abstand größte westeuropäische Land, das mehr als alle anderen unter den wachsamen Augen der Vereinigten Staaten und der internationalen Medien seine Bereitschaft unter Beweis stellen musste, an der Seite der Ukraine zu stehen („Stand with Ukraine!“). Zunächst hatte die damalige deutsche Verteidigungsministerin als Unterstützung für das ukrainische Militär 5000 Helme und kugelsichere Westen angeboten, was von den Verbündeten und zunehmend auch von der eigenen Öffentlichkeit als lächerlich empfunden wurde. In den folgenden Monaten wurden immer leistungsfähigere Waffen gefordert und geliefert, darunter ein Luftabwehrraketen wie Iris-T, das noch nicht einmal die deutschen Truppen erreicht hat, und die mächtige Panzerhaubitze 2000. Jedes Mal hatte die Regierung Scholz zunächst eine rote Linie gezogen, um sie später auf Druck ihrer Verbündeten sowie der beiden kleineren Koalitionspartner, der Grünen und der Liberalen, zu überschreiten – die Grünen kontrollieren das Außenministerium, die FDP den Verteidigungsausschuss des Bundestages, dem eine FDP-Abgeordnete aus Düsseldorf vorsitzt, der Heimat von Rheinmetall, einem der größten Rüstungsproduzenten in Europa und über Europa hinaus.

Im Winter 2022 begann sich die Debatte über die Bewaffnung der Ukraine auf Panzer zu konzentrieren. Auch und vor allem hier musste Deutschland Schritt für Schritt zu immer leistungsfähigeren Modellen gedrängt werden, angefangen von Schützenpanzern – gepanzerten Mannschaftstransportern – bis hin zu dem berühmten deutschen Kampfpanzer Leopard 2, einem weltweiten Exporterfolg, der von einem Konsortium unter der Führung von, nun ja, Rheinmetall gebaut wird (rund 3.600 Leopard 2 der fortschrittlichsten Produktlinie 2A5-plus wurden bisher in die ganze Welt verkauft, unter anderem an begeisterte Anhänger westlicher Werte wie Saudi-Arabien, zur Förderung seines unermüdlichen Einsatzes zur Befriedung des Jemen).

Zum Teil, weil deutsche Panzer im russischen Geschichtsgedächtnis eine wichtige Rolle spielen, aber auch, weil es keine Anzeichen dafür gab, dass Deutschland ein Mitspracherecht bei der Verwendung seiner Panzer haben würde (von der ukrainischen Grenze bis nach Moskau sind es nicht mehr als 500 Kilometer), lieferte Scholz zunächst, wie üblich, einen Grund nach dem anderen, warum leider keine Leopard 2 geliefert werden könnten. Daraufhin ließen einige Verbündete Deutschlands, insbesondere Polen, die Niederlande und Portugal, verlauten, dass sie bereit seien, ihre Leoparden zu spenden, auch wenn Deutschland dies nicht tue. Polen kündigte sogar an, notfalls einige seiner Leoparden in die Ukraine zu schicken, und zwar ohne deutsche Genehmigung, wie sie nach den Bestimmungen der deutschen Rüstungsexportpolitik rechtlich erforderlich wäre.

Wie diese Geschichte weiterging könnte für den weiteren Lauf der Ereignisse von prägender Bedeutung gewesen sein. Von seinen europäischen Verbündeten in die Enge getrieben, lehnte Deutschland die Lieferung von Leopard-Panzern an die Ukraine nicht mehr ab, vorausgesetzt die Vereinigten Staaten erklärten sich bereit, auch ihren Kampfpanzer M1 Abrams zu liefern (ein weiterer weltweiter Exportschlager mit einer bisherigen Gesamtproduktion von 9.000 Stück). Als "ersten Schritt" versprach Deutschland, innerhalb von drei Monaten 14 seiner 320 Leopard-Panzer an die Ukraine zu übergeben, wo sie ein Panzerregiment nach deutscher Zählung bilden sollten. Danach würde Deutschland dann zwei Panzerbataillone mit je 44 Leopard-2-Panzern aus eigenen und von europäischen Partnern beigesteuerten Panzern aufbauen, die der ukrainischen Armee nach Ausbildung der Besatzungen und einschließlich der erforderlichen Ersatzteile und Munition kampffähig übergeben werden sollen. (Nach Schätzungen der unvermeidlichen „Experten“ würde die Ukraine etwa 100 Leoparden des neuesten Modells benötigen, um ihre militärische Verteidigungsfähigkeit deutlich zu verbessern).

Kurz darauf, um den Zeitpunkt der sogenannten Münchner Sicherheitskonferenz, kam es jedoch zu zwei unangenehmen Überraschungen. Erstens stellte sich heraus, dass die europäischen Verbündeten Deutschlands nach der Überwindung des deutschen Widerstands alle möglichen Gründe entdeckten, warum sie ihre Leoparden behalten mussten, erteilte Exportgenehmigungen hin oder her, was zur Folge hatte, dass sie die Versorgung der Ukraine mit Kampfpanzern zu ihrem Bedauern im Wesentlichen den Deutschen überlassen mussten. (Insgesamt verfügen die NATO-Streitkräfte über schätzungsweise 2.100 Leoparden, der Modelle 1 und 2). Und zweitens enthüllten amerikanische investigative Journalisten, im Wall Street Journal und anderswo, dass die Abrams-Panzer, wenn überhaupt, erst in ein paar Jahren auf der Szene erscheinen würden, was die deutschen Verhandlungsführer offenbar übersehen hatten, möglicherweise auf Bitten ihrer amerikanischen Gesprächspartner.

Am Ende blieb die Scholz-Regierung also alleine übrig – als im Wesentlichen einziger Lieferant von Kampfpanzern an Kiew. Was die Sache noch unangenehmer machte, war die Tatsache, dass die ukrainische Regierung genau an dem Tag, an dem die Deutschen dem Leopard-Deal zugestimmt hatten, erklärte, dass als nächster Punkt auf ihrer Wunschliste nun Kampfflugzeuge, U-Boote und Schlachtschiffe zu liefern sein würden, ohne die es für die Ukraine keine Hoffnung gäbe, den Krieg so zu gewinnen wie mit ihren Verbündeten vereinbart. (Der langjährige ukrainische Botschafter in Deutschland, nach Kiew zurückgekehrt als stellvertretender Außenminister, twitterte am 24. Januar auf Englisch: "Hallelujah! Jesus Christus! Und jetzt, liebe Verbündete, lasst uns eine mächtige Kampfjet-Koalition für die Ukraine bilden, mit F-16 & F-35, Eurofighter & Tornado, Rafale & Gripen Jets & allem, was ihr liefern könnt, um die Ukraine zu retten!') Darüber hinaus bat die ukrainische Delegation bei der Münchner Sicherheitskonferenz die USA und das Vereinigte Königreich öffentlich um Cluster- und Phosphorbomben, die zwar völkerrechtlich geächtet sind, aber, wie die Ukrainer die Welt wissen ließen, von ihren westlichen Verbündeten in großer Zahl gelagert werden. (Die FAZ, stets darauf bedacht, ihre Leser nicht zu verwirren, bezeichnete Clusterbomben in ihrem Bericht als "umstritten" statt illegal.)

Deutsche Führung – oder die neue Lust am Heldentum

Für die deutsche Regierungskoalition, aber auch für die Biden-Administration, ist eine entscheidende Frage im Hinblick auf die Zuweisung einer Führungsrolle an Deutschland, ob der Nachkriegspazifismus des Landes noch stark genug ist, um sich dieser in den Weg zu stellen. Möglicherweise ist dies nicht mehr der Fall. Die Abschaffung der Wehrpflicht scheint es – nicht anders als in den Vereinigten Staaten – leichter gemacht zu haben, Kriege als geeignetes Mittel im Dienste des Guten zu betrachten: Anders als in der Ukraine laufen Söhne, Freunde, Ehemänner in Deutschland nicht Gefahr, in die Schlacht ziehen zu müssen.

In weiten Teilen der jungen Generation überdeckt ein moralischer Idealismus den kruden Materialismus des Tötens und Sterbens. Innerhalb und im Umfeld der Grünen ist seit Kriegsbeginn so etwas wie eine neue Lust am Heldentum entstanden, in einer Generation, die noch vor kurzem als entschieden postheroisch galt. Es gibt keine Eltern, ja nicht einmal Großeltern mehr, die aus erster Hand über Leben und Tod in den Schützengräben berichten können. Man träumt offenbar von einer sterilisierten Art der Kriegführung, streng nach der Haager Konvention, zumindest auf unserer Seite – nicht mehr eine Frage von Krieg und Frieden, sondern von Schuld und Sühne, mit dem Endziel, wert Hunderttausende von Menschenleben, Putin vor ein Gericht zu stellen.

Vielleicht sind auch spezifisch deutsche Faktoren am Werk. In der Generation der Grünen ist Nationalismus als Quelle sozialer Integration mehr als irgendwo sonst in Europa durch einen allgegenwärtigen Manichäismus ersetzt worden, der die Welt, sowohl zwischen als auch innerhalb von Ländern, in zwei Lager teilt – Gut und Böse. Es ist höchste Zeit, diesen Wandel des deutschen Zeitgeistes, der sich schleichend und weitgehend unbemerkt vollzogen zu haben scheint, zu untersuchen und zu verstehen. Zu seinen politischen Implikationen könnte gehören, dass es, anders als in einer Welt der Nationen, keinen Frieden geben kann, der auf einem Gleichgewicht der Kräfte und Interessen beruht; stattdessen ein unerbittlicher Kampf gegen die Kräfte des Bösen, summarisch als „Faschismus“ bezeichnet, die international und national im Wesentlichen dieselben sind.

Eine Ähnlichkeit mit amerikanischen Ideen von Politik ist unübersehbar, wie sie sowohl bei den Neocons als auch bei idealistischen Demokraten zuhause sind, verkörpert etwa von jemandem wie Hilary Clinton. Auf der linken Seite des deutschen politischen Spektrums scheint das Syndrom besonders stark ausgeprägt zu sein, dort wo in der Vergangenheit die natürliche Basis einer Antikriegs- und Friedens- oder zumindest Waffenstillstandsbewegung gewesen wäre. Heute aber sah sich aber selbst die Linkspartei nicht in der Lage, die von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am 25. Februar organisierte Friedensdemonstration zu unterstützen, selbst auf die Gefahr hin, dass die Partei als Folge auseinanderbrechen und aufhören könnte, eine politische Kraft zu sein.

Darüber hinaus haben die Deutschen in der Nachkriegszeit lange Zeit dazu geneigt, Nicht-Deutschen, die ihnen kollektive moralische Defizite unterstellten und von ihnen in der einen oder anderen Form Demut verlangten, mit Sympathie zuzuhören. Anders lässt sich die außerordentliche Popularität des oben erwähnten ukrainischen Botschafters in Deutschland, Andrej Melnyk, kaum erklären, ein unverhohlener Fan des Terroristen, Nazi-Kollaborateurs und Kriegsverbrechers Stepan Bandera und seines Kollegen in der Führung der ukrainischen Nationalisten in der Zwischenkriegszeit und unter deutscher Besatzung, ebenfalls mit dem Namen Andrej Melnyk. Über Twitter beschimpfte Melnyk unablässig deutsche Politiker, vom Bundespräsidenten Steinmeier abwärts, weil sie sich nicht ausreichend auf die Seite der Ukraine stellten, und zwar in einer Sprache, die in allen anderen Ländern zum Entzug seiner Akkreditierung geführt hätte. Es verging kaum eine Woche, in der Melnyk nicht zu einer der regelmäßigen Fernseh-Talkshows eingeladen wurde, in denen er deutsche Politiker immer wieder einer völkermörderischen Verschwörung mit Russland gegen das ukrainische Volk bezichtigte.

Auch nachdem Melnyk im Herbst 2022 in seinem Heimatland zum stellvertretenden Außenminister aufgestiegen war, spielte er in der deutschen Debatte über die Verpflichtungen des Landes gegenüber der Ukraine weiterhin eine prominente Rolle. So twitterte er mit Bezug auf einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, in dem Jürgen Habermas, in den Augen vieler zu maßvoll und zu spät, für einen Waffenstillstand in der Ukraine plädiert hatte, um Friedensverhandlungen zu ermöglichen:

"Dass Jürgen Habermas auch so dreist in Putins Diensten steht, macht mich sprachlos. Eine Schande für die deutsche Philosophie. Immanuel Kant und Georg Friedrich Hegel würden sich vor Scham im Grabe umdrehen.“

(Ein anderes Beispiel für den Tonfall der deutschen öffentlichen Diskussion ist der Tweet eines jungen, mediokren, wohl auf Marketing-Tour befindlichen sogenannten Comedians namens Sebastian Bielendorfer: "Sahra Wagenknecht ist einfach nur die leere Hülle eines geistig und menschlich völlig verkommenen Zellhaufens. Sie sollte nicht in Talkshows eingeladen werden, sondern behandelt werden.“ Einen Tag später: "Twitter hat den Tweet gelöscht. Bedauerlich. Die Wahrheit bleibt.")

Alles in allem scheint es seit den amerikanischen Zwischenwahlen eine gemeinsame Anstrengung der Vereinigten Staaten und der NATO zu geben, Deutschland in den Krieg hineinzuziehen, und zwar in immer weitergehender und aktiverer Form. Andere europäische Länder haben im Laufe des letzten Jahres gelernt, Deutschland vorzuschicken, um selbst am Rande bleiben (die Niederlande) oder ihre Interessen mit größerer Aussicht auf Erfolg verfolgen zu können (Polen und die baltischen Staaten). Deutschland wiederum, das es leid ist, von anderen vorwärts gestoßen zu werden, könnte zunehmend geneigt sein, sich stattdessen selbst vorwärts zu stoßen. Schon 2022 haben führende Vertreter der Sozialdemokratie, darunter der neue Parteivorsitzende Lars Klingbeil, offen davon gesprochen, dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa übernehmen müsse und dazu auch bereit sei.

Wichtig ist, dass Frankreich in diesem Zusammenhang nicht mehr erwähnt wurde. Nachdem Frankreich zu lange so getan hat, als sei es nicht beteiligt, könnte es nun von einem in die Ecke gedrängten Deutschland zunehmend als genau das behandelt werden. Eine mögliche Rolle, in die Deutschland in diesem Prozess hineinwachsen könnte, wäre die eines privilegierten politischen und militärischen Unterauftragnehmers der Vereinigten Staaten – ein Deutschland, das in den Nord-Stream- und Leopard-2-Episoden ausreichend öffentlich gedemütigt wurde, um verstanden zu haben, dass es, wenn es nicht von den Vereinigten Staaten herumgeschubst werden will, bereit sein muss, Europa in deren Namen zu führen. Seine Befehle würde Deutschland in dieser Rolle von Washington über Brüssel erhalten, wobei Brüssel nicht die EU, sondern die NATO meint, eine sich abzeichnende Befehlskette, die durch die Sitzordnung auf den Ramstein-Konferenzen visualisiert wird, mit den Vereinigten Staaten, Ukraine und Deutschland am Kopfende. In einer sich so entwickelnden Funktion hätte Deutschland die Aufgabe, die Waffen zusammenzukratzen und zu bezahlen, die die ukrainischen Streitkräfte für ihren Endsieg zu benötigen glauben – auf die Gefahr hin, sollte dieser ausbleiben, anstelle der Vereinigten Staaten der Inkompetenz, der Feigheit, des Geizes und natürlich der Sympathie für den Feind für schuldig befunden zu werden.

Im Laufe der Zeit könnte so die indirekte deutsche Beteiligung am Krieg immer direkter werden und sich ähnlich wie die Rolle als Waffenlieferant entwickeln. Schon jetzt wird eine beträchtliche Zahl ukrainischer Soldaten in Deutschland ausgebildet, auf amerikanischen, aber zunehmend auch auf Bundeswehrstützpunkten, und nicht wenige Deutsche, meist Rechtsradikale, kämpfen in internationalen Legionen mit der ukrainischen Armee. Schon bald werden die Leoparden, wenn sie auf dem Schlachtfeld angekommen sind, gewartet und repariert werden müssen, was ihre Rückführung nach Deutschland erforderlich machen kann. Rheinmetall hat angekündigt, ein Werk in der Ukraine zu errichten, in dem jährlich etwa 400 Leopard-Panzer gebaut werden sollen, offensichtlich in der Annahme, dass der Krieg lange genug dauern wird, um die in der Ukraine produzierten Panzer für seine Zwecke in Betrieb zu nehmen und das Werk rentabel zu machen. Selbstverständlich muss das Werk durch Luftabwehr geschützt werden – am besten vermutlich durch erfahrene deutsche Teams. Was die Kampfflugzeuge betrifft, so würden sie am sichersten weit weg vom den Schlachtfeldern stationiert, vielleicht irgendwo im Rheinland, wo die für ihre Wartung erforderlichen Einrichtungen bereits vorhanden sind. Völkerrechtsexperten werden darüber debattieren, ob ein Land durch eine solche Unterstützung zu einem Kombattanten wird oder nicht; letztlich aber wird China und nicht ein Gericht darüber entscheiden, welche Maßnahmen Russland daraufhin ergreifen kann.

Für die „Einheit des Westens“

Scholz' überraschender Besuch in Washington am 4. März, bei dem keine der beiden Seiten Informationen darüber preisgab, was in seinem achtzigminütigen Gespräch mit Biden unter vier Augen besprochen wurde, mag Biden dazu gedient haben, Scholz die Leviten zu lesen und ihm zu erklären, was von Deutschland erwartet wird, wenn es ein verlässlicher Verbündeter des Westens sein will, politisch, materiell und militärisch. Dies könnte auch der Moment gewesen sein, die deutsche Regierung auf das "Narrativ" einzuschwören, das die amerikanischen Geheimdienste entwickelt haben, um dem Hersh-Bericht entgegenzuwirken. Den Deutschen könnte dabei mitgeteilt worden sein, dass dies das offizielle vorläufige Ergebnis ihrer Ermittlungen zu sein hat, mit dem Ziel, sie einem weiteren Credo quia absurdum-Test zu unterziehen, um herauszufinden, wie viel sie um der Einheit des „Westens“ willen hinzunehmen bereit sind.

Möglicherweise wurde auch darüber gesprochen, was zu tun sei, wenn sich die triviale Weisheit sämtlicher Militärexperten nicht mehr verheimlichen lassen wird, dass ein Bodenkrieg letztlich nur am Boden gewonnen werden kann. Spätestens dann müsste man sich mit der Frage beschäftigen, wie man die vielen bis dahin toten, verwundeten oder desertierten ukrainischen Soldaten ersetzen kann. Wäre dies vielleicht die Stunde einer "europäischen Armee", von der Bundeswehr ausgebildet und auf deutsche Kosten mit diversifizierten Qualitätsprodukten von Rheinmetall und anderen ausgestattet? Nach dem Vorbild der ersten europäischen Armee, der multinationalen römischen Legionen, könnten Truppen als Freiwillige aus den osteuropäischen Ländern oder unter potenziellen Einwanderern aus anderen Ländern rekrutiert werden, die nach dem Dienst eine europäische Staatsbürgerschaft erhalten würden. Befehlshaber auf dem Schlachtfeld, wie sie auch im Zeitalter der künstlichen Intelligenz unverzichtbar sind, könnten zwei Pässe haben, ihren ersten und einen erst kürzlich ausgestellten ukrainischen. Da die Ukrainer, so von der Leyen, aus freien Stücken ihr Leben für unsere "Werte" geben, müsste Deutschland die Wehrpflicht nicht wieder einführen und damit riskieren, den Rückhalt in der Bevölkerung für seine Kriegsteilnahme zu verlieren. Andererseits: Man weiß nie, vor allem in Kriegszeiten.

Es gibt freilich auch einen anderen Weg, der mit Deutschland als europäischem Franchisenehmer der Vereinigten Staaten beschritten werden könnte. Die ständig steigenden, nicht enden wollenden Forderungen der ukrainischen Regierung nach immer mehr Waffen scheinen zu einer gewissen Verärgerung der Amerikaner über ihren ukrainischen Verbündeten geführt zu haben. Zumal die Bereitschaft des Kongresses abnimmt, den Krieg weiter zu finanzieren. Im Hintergrund mag auch die Erinnerung an die öffentliche Forderung von Präsident Selenskiy nach nuklearer Vergeltung durch die Vereinigten Staaten für eine angeblich russische Rakete stehen, die auf polnischem Boden gelandet war, wobei sich später herausstellte, dass es sich um eine fehlgeleitete ukrainische Rakete handelte. Hinzu kommt die öffentliche Forderung nach Streubomben, die vielleicht aus dem momentanen Überschwang über den Leopard-2-Erfolg entstanden ist. Dass die allem Anschein nach vom amerikanischen Geheimdienst fabrizierte alternative Darstellung der Zerstörung der Nord-Stream-Pipelines einen Hinweis auf die Ukraine enthält, kann von hier aus gesehen als Warnsignal an die Regierung in Kiew verstanden werden.

Indem sie sich aus der operativen Führung des Ukraine-Krieges zurückziehen und sie an Deutschland übertragen, könnten sich die Vereinigten Staaten die Peinlichkeit ersparen, Kiew mitteilen zu müssen, dass die westliche Unterstützung für ihre ehrgeizigeren Kriegsziele nicht unbegrenzt ist. Deutschland seinerseits könnte versuchen, das zu tun, was Agenten manchmal tun, wenn ihr Prinzipal nicht im Detail kontrollieren kann, wie was seinen Auftrag ausführen. Wenn Deutschland auf Wunsch der Vereinigten Staaten die Führung in NATO-Europa übernähme, könnte es sich in der Lage sehen, sich gegen ukrainische Versuche zu wehren, es tiefer in den Krieg hineinzuziehen, und über ein bloßes Einfrieren des Konflikts hinaus so etwas wie eine Einigung im Sinne der Minsker Abkommen anzustreben. Indem es den Vereinigten Staaten helfen würde, ihre Position in der Ukraine teilweise zu liquidieren, könnte es ihnen einen Gefallen tun, der vielleicht eine wunderschöne Freundschaft wieder aufleben lassen würde.

Ob Deutschland dazu tatsächlich in der Lage wäre, hinge freilich nicht zuletzt davon ab, ob es gelänge, die neue Kriegsbegeisterung herunterzukühlen, die insbesondere den angegrünten Teil der deutschen Öffentlichkeit ergriffen hat. Baerbock und ihre Anhänger werden alles, was nicht zu einem Regimewechsel in Moskau führt, als Verrat und Missachtung des ukrainischen Volkswillens denunzieren. Ob man die Geister, die zur Herbeiführung der Zeitenwende gerufen wurden, kurzfristig wieder loswerden kann, steht dahin. Die Rhetorik des ersten Kriegsjahres mag für einige Zeit jegliche Friedensstiftung ohne einen totalen Sieg ausgeschlossen haben, was es unmöglich machen würde, selbst dann das Gemetzel kurzfristig zu beenden, wenn die Vereinigten Staaten das Interesse an ihm verloren hätten.

Hinzu kommt, dass Deutschland durch die Sprengung der Pipelines wahrscheinlich absichtlich der Möglichkeit beraubt wurde, Russland die Wiederaufnahme der Gaslieferungen als Gegenleistung für seine Beteiligung an so etwas wie einem Friedensprozess anzubieten – ganz zu schweigen von der umfangreichen Palette wirtschaftlicher Sanktionen, die von den Vereinigten Staaten kontrolliert werden.

Während des Boxeraufstands im Jahr 1900 war das Europäische Expeditionskorps unter der Führung von Sir Edward Hobart Seymour, Admiral der Royal Navy, auf dem Weg von Tientsin nach Peking. Kurz vor seinem Ziel stieß es auf erbitterten chinesischen Widerstand. Im Moment der größten Not gab Admiral Seymour dem Befehlshaber des deutschen Kontingents, Kapitän zur See von Usedom, den Befehl: "The Germans to the front!" Die deutsche Militärtradition betrachtet diese Episode mit Stolz als einen Moment höchster internationaler Anerkennung für deutsches militärisches Können. Manchmal wiederholt sich die Geschichte.