Streit ums Sondervermögen
Liebe Leserinnen und Leser,
zurzeit überschlagen sich die Ereignisse. Erst wird Wolodymyr Selenskyj durch Trump und seinen Vizepräsidenten JD Vance im Weißen Haus öffentlich gedemütigt, dann legen die USA die Militärhilfe für die Ukraine auf Eis und kündigen Verhandlungen mit Russland an. Fast zeitgleich präsentiert Ursula von der Leyen als Reaktion auf das vorläufige Ende der amerikanischen Ukrainehilfen einen 800 Milliarden schweren Rüstungsplan namens ReArm Europe – ein Plan, der wohlgemerkt schon länger in der Schublade lag. Stand: 3. März. Am 11. März dann die Kehrtwende der USA in Dschidda: Trump hebt die Aussetzung der Militärhilfen wieder auf. Und die Ukraine zeigt sich bereit für eine 30-tägige Waffenruhe.
Brüssel und Berlin, die sich als Zaungäste schwertun mitzukommen, treibt jetzt die Sorge um – so zumindest jetzt die Begründung für die (neuerliche) Aufrüstungswelle – dass Russland „in fünf Jahren oder weniger“ in Europa einfällt. Um das zu verhindern, verfolgt die EU weiter ihre bisherige Ukraine-Strategie ungeachtet aller militärischen, diplomatischen und politischen Verschiebungen. Ungeachtet auch dessen, dass diese ohne ihren weggefallenen Kopf – die USA – zum Scheitern verurteilt ist, wie Tiago Cardão-Pito in dieser Ausgabe argumentiert.
Die EU will das Wettrüsten gegen Russland um jeden Preis gewinnen. Für eine Union, die sich dem Frieden verschrieben hat und alles Militärische an die NATO delegiert, ein historischer Bruch, schreibt Eric Bonse. Doch wer eine akute Gefahr beschwört, muss sie auch belegen können. Und wer Rüstung will, muss sie auch finanzieren können. Beides ist nicht gegeben. Das Geld reicht hinten und vorne nicht, „ReArm Europe“ ist nicht solide gegenfinanziert. Zumal es nicht nur in der EU, sondern auch in Deutschland massiven Widerstand gibt. Der Merz-Plan, die deutsche Schuldenbremse zugunsten der Verteidigung zu lockern, braucht eine Zweitdrittelmehrheit im Bundestag – und die bleibt weiter ungewiss.
Alle Artikel und Themen dieser Ausgabe:
- E-Automarkt: Tesla verliert auf heimischem Boden Stagnierende Verkäufe, steigende Preise. Lange wird dieses System auf dem US-Automarkt nicht mehr funktionieren. Vor allem der bisherige Profiteur und Platzhirsch Tesla könnte bei einem Preisverfall der große Verlierer sein. Roger Boyd
- Ist Schumpeter wirklich wichtiger als Keynes? Heiner Flassbeck gibt mit seinem Buch Grundlagen einer relevanten Ökonomik der ordoliberal geprägten Ökonomik in Deutschland kontra. Leider übersehen seine Interpretationen neuere Forschungsergebnisse. Alfred Kleinknecht
- Argentiniens Krise: zu groß für Mileis Kettensäge Seit Jahrzehnten darbt Argentinien unter wirtschaftlichen Dauerkrisen, die sich in einer anhaltend hohen Abhängigkeit vom Ausland manifestieren. Bisher scheint es nicht so, als ob der Kettensägenmann Javier Milei das Ruder herumreißen kann. Sergio Martin Paez
- Schwarz-Blau: Wieso eigentlich nicht? Nach den erfolgreichen Sondierungen zwischen CDU/CSU und SPD ist die Neuauflage der GroKo gesetzt. Dennoch könnte es die Union nicht nur in der Migrationsfrage sehr viel einfacher haben – würde sie mit der AfD koalieren. Lukas Poths
- Wieso die Abschaltung der letzten Kernkraftwerke richtig war Friedrich Merz fordert ein „Rückbau-Moratorium“ für die abgeschalteten Kernkraftwerke. Doch Risiken und Kosten stehen gegen eine Rückkehr der Kernkraft. Dirk Tegtmeyer
- Die abgestandenen Rezepte zur Sanierung der Krankenkassen Abgestandene Vorschläge sollen die großen finanziellen Probleme der Krankenkassen beheben. An den Mängeln des Gesundheitssystems ändern sie wenig. Helfen würde ein mehrstufiges Reformkonzept, das eine vertrauensvolle Kooperation des Bundes und der Länder erfordert. Hartmut Reiners
- Europas Zeitenwende ist ernst, aber alles andere als seriös Die EU hat Angst vor Krieg und will sich „wiederbewaffnen“. Doch die Pläne aus Brüssel sind schlecht begründet und unsolide finanziert - durch neue Schulden. Von den USA unabhängig werden die Europäer so nicht: Sie folgen dem Druck von Trump und erfüllen neue Vorgaben der NATO. Eric Bonse
- Rohstoffabkommen mit der Ukraine: Versailler Vertrag oder Marshall-Plan? Trump setzt die Ukraine unter Druck. Doch die USA waren schon immer vor allem an einem interessiert: ihre Interessen durchzusetzen. Tobias Straumann
- „ReArm Europe“: Der Frieden wäre für Europa billiger Die EU hatte reichlich Zeit, sich auf das Ende US-Ukraine-Unterstützung vorzubereiten. Stattdessen folgt sie noch immer einer Strategie, die es längst nicht mehr gibt. Tiago Cardão-Pito
- Zeit für Europa, das Undenkbare zu tun Der singapurische Diplomat Kishore Mahbubani bescheinigt der europäischen Führung Naivität und geopolitische Inkompetenz. Sie ist nicht dazu in der Lage, langfristig oder in größeren Zusammenhängen zu denken. Die Redaktion