Editorial

Aufrüstung: Ein militärischer Bastard-Keynesianismus?

| 03. April 2025
@midjourney

Liebe Leserinnen und Leser,

sei es in den Medien, von Politikern oder im alltäglichen Gespräch – in den letzten drei Jahren wurde kaum ein anderer politischer Richtungsentscheid so sehr diskutiert wie die Zeitenwende-Rede vom scheidenden Kanzler Olaf Scholz. Das darauffolgende Sondervermögen Verteidigung wirkt jedoch eigentümlich klein im Vergleich zum Sondervermögen Infrastruktur, das das Parlament noch in der alten Legislaturperiode auf den Weg gebracht hat.

Damals waren es 100 Milliarden Euro – heute nominal das Fünffache, wenn auch inflationsbedingt in realen Zahlen etwas weniger.  Und noch viel wichtiger: Dadurch, dass zukünftig Verteidigungs- und Sicherheitsausgaben von über einem Prozent des BIP von der Schuldenbremse ausgenommen sind, stellt sich das Parlament einen Freifahrschein für Aufrüstung aus.

Angesichts des Vorhabens, die Steigerung der Militärausgaben mit weitreichender Verschuldung zu finanzieren, stellt sich die Frage, wie sehr es Keynes Handschrift trägt. Denn war es nicht Keynes, der die konjunkturbelebende Wirkung von Staatsschulden herausgestellt hat? Versprechen also die Aufrüstungskredite, ein „olivgrünes Wirtschaftswunder“, um es mit den Worten des ifW-Vorsitzenden Moritz Schularick zu sagen?

Unsere Autoren sind angesichts historischer Aufrüstungsprogramme in den USA und in Nazi-Deutschland skeptisch. Der Ökonom Michael Roberts arbeitet in dieser Ausgabe heraus, dass ein Kern keynesianischer Programme beim Kriegskeynesianismus der USA verloren ging: der private Konsum. Während der Staat die Bevölkerung durch Kriegsanleihen, rationierte Waren und Steuererhöhungen zur Konsumzurückhaltung bewegte und er das Gros der Rüstungsinvestitionen tätigte, steigerten die Unternehmen ihre Profite – und senkten die Investitionen.

Auch unser Autor Hartmut Reiners spricht sich gegen die Assoziation von Keynes mit der Kriegswirtschaft aus – in seinem Fall anhand der Wirtschaftspolitik der Nazis. Wie auch Roberts stellt Reiners den Konsumverzicht heraus. Das betrifft in seinem Falle die Konsumzurückhaltung, welche die deutschen Faschisten mit der Aussicht auf die Aneignung von Raubgütern aus den eroberten Gebieten propagierten.

Zusätzlich betont Reiners, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen – derentwegen die Nazis teils einen keynesianischen Ruf haben – wesentlich weniger wichtiger waren, als oft suggeriert. Während die Hitlerfaschisten die Mittel für Beschäftigungsprogramme kürzten, brachten sie vor allem mittels Zwangsarbeit Menschen in Arbeit. Die Auswirkungen auf Löhne und Arbeitsbedingungen waren dementsprechend äußerst bescheiden.

Was bleibt also von Keynes? Man könnte zumindest historisch sagen: ein instrumentelles Verhältnis.

Und heute? Während sich die schwarz-rote Regierung Keynes Erkenntnisse zur Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben implizit zu eigen macht, geraten wesentliche beschäftigungs- und wohlfahrtsstaatliche Ideen in den Hintergrund. Nicht umsonst diskutiert Schwarz-Rot gerade Kürzungsprogramme im Haushalt, die vor allem das Bürgergeld betreffen sollen. Droht also erneut ein militärischer Bastard-Keynesianismus?

Alle Artikel dieser Ausgabe:

  • Autoritarismus ist das größte wirtschaftliche Risiko der Türkei Vor zwölf Jahren strömten Scharen auf die Straßen Istanbuls, um den Gezi-Park vor der Umwandlung in ein Einkaufszentrum zu bewahren. Jetzt sind die Massen wieder auf der Straße – nicht um Grünflächen zu retten, sondern wegen zunehmender Gesetzlosigkeit und schleichender Autoritarisierung. Şebnem Kalemli-Özcan
  • Fall Le Pen: Die EU wollte sie loswerden – nun duckt sich Brüssel weg Die französische Rechtsaußen-Politikerin wurde wegen Veruntreuung von einem Pariser Gericht verurteilt und darf nicht bei der nächsten Präsidentschaftswahl antreten. Ist das mit Demokratie und Rechtsstaat vereinbar? Brüssel schweigt. Dabei geht es um EU-Gelder – und um wichtige Prinzipien. Eric Bonse
  • Oberst a.D. Wolfgang Richter: „Eine europäische ‚Souveränität‘ gibt es in der überschaubaren Zukunft nicht“ Der Militärexperte Wolfgang Richter über eine neue europäische Sicherheitsstrategie ohne die USA. Ulrike Simon
  • Trumps blinder Fleck wiegt 16 Billionen Dollar Überzeugt von einem leichten Sieg, führt Trump einen Zollkrieg, um das US-Handelsdefizit zu senken. Doch er übersieht, wie bedeutend der Export von Dienstleistungen, geistigem Eigentum und Investitionen für die wirtschaftliche Dominanz der Vereinigten Staaten ist. Ricardo Hausmann
  • From Welfare to Warfare: Der Kriegs-Keynesianismus Verdient der Kriegs-Keynesianismus seinen Namen? Befürworter der Wiederaufrüstung schreiben ihr einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen zu. Doch die Kriegswirtschaft trifft den Kern keynesianischer Nachfrageprogramme: den privaten Konsum. Michael Roberts
  • Das Tesla-Syndrom Die Verkaufszahlen von Tesla sinken seit Donald Trumps Ernennung zum US-Präsidenten drastisch. Welchen Anteil daran hat das Gebaren von Elon Musk selbst? Tiago Cardão-Pito
  • War Hitler ein Keynesianer? Die Behauptung vom MAKROSKOP-Autor Alfred Kleinknecht, die Nazis hätten mit einem „Militär-Keynesianismus“ die Arbeitslosigkeit erfolgreich bekämpft, ist fragwürdig. Der seit 1935 betriebene Aufbau einer Kriegswirtschaft war mit Zwangsarbeit und Konsumverzicht verbunden und hat keineswegs zu wachsendem Wohlstand geführt. Hartmut Reiners
  • Die verborgenen Mechanismen der Bankenwelt Den Bankensektor kennzeichnen einige kaum bekannte Besonderheiten. Umso wichtiger, Licht ins Dunkel zu bringen – denn wirkungsvolle Regulierungen erfordern ein tiefergehendes Verständnis der Geldtheorie und Geldpolitik. Michael Paetz
  • Demokratische Innovation: der Weg aus der Krise Peter Müller berät als Coach Betriebsräte bei ihrer Arbeit. Jetzt hat er eine Initiative gestartet, die Unternehmern und Beschäftigten gleichermaßen dabei helfen soll, einen Weg aus der Krise zu finden. Peter Müller