Der Muhammad Ali der Weltpolitik
Großmäuligkeit, Größenwahn, Self-Promotion – Donald Trumps politischer Stil erinnert bisweilen an Muhammad Ali. Was bedeutet das für die Außenpolitik der Weltmacht USA?
Den sogenannten Babyboomer-Jahrgängen dürfte es noch gut erinnerlich sein: Das Testbild, welches von ARD und ZDF nach dem sogenannten Sendeschluss in die Wohnzimmer der Republik ausgestrahlt wurde. Meist von einem unangenehmen Piepton begleitet, signalisierte es auch den eifrigsten "Nachteulen", dass nunmehr Schlafenszeit angesagt war. Nur zu sehr seltenen Ereignissen wurde die Sendemaschinerie auch nächstens angeworfen, um Ereignisse, die als "weltbedeutend" angesehen wurden, zu übertragen.
Dazu zählte die Live-Übertragung von der ersten Mondlandung am 21.Juli 1969. Aber merkwürdigerweise auch ein Boxkampf mitten im tiefsten Afrika: Tausende oder gar Millionen deutsche Bundesbürger (die genaue Zahl ist nicht dokumentiert) stellten sich für den 30. April 1974 den Wecker, um der gegen 4 Uhr stattfindenden Live-Übertragung des Boxkampfes zwischen Muhammad Ali und George Foreman aus Kinshasa in Zaire beiwohnen zu können.
"I am the Greatest!"
Auch wenn der Boxsport damals populärer gewesen sein mag als heute, ist es doch schwer vorstellbar, dass weltweit über eine Milliarde Menschen auf ihren Schlaf verzichtet hätten, wenn es um jemand anderen als eben Muhammad Ali gegangen wäre. Heutzutage würde man ihn ein Medienphänomen nennen, jedenfalls hatte er sich nicht nur passiv den Promotion-Fähigkeiten seiner Manager ergeben, sondern sehr aktiv "Self-Promotion" ganz neuen Ausmaßes betreiben. Als "Großmaul Ali" (oder "Großmaul Cassius Clay") wurde er oft betitelt. Seine manchmal phantastischen Ankündigungen (etwa "im Training habe ich gegen einen Alligator gekämpft"), die er in die Mikrofone und Kameras hineinposaunte , vertieften die mediale Aufmerksamkeit und vermehrten die Anzahl seiner Fans. Und natürlich die immer wieder lautstark verkündete Parole, quasi sein Markenzeichen: "I am the Greatest!"
Und auch im Kampf gegen George Foreman 1974 setzte Muhammad Ali das "Sprücheklopfen" als eine Art "psychologische Kriegsführung" ein. Die Beleidigungen und Verhöhnungen, die im Vorfeld gegenseitig ausgetauscht wurden, müssen hier nicht wiederholt werden. Aber man kann feststellen, dass Ali auf diesem Felde allen seinen Konkurrenten haushoch überlegen war, auch wenn es boxtechnisch gesehen manchmal andersherum sein mochte.
Rund ein halbes Jahrhundert später hat es ein anderer Amerikaner zu einer anderen Art "heavyweight championship" gebracht. Und ähnlich wie Ali ist er nach einem Karrieretief überraschend wieder ganz nach oben gestiegen. Auch dieser Mensch fällt durch provozierend vorgebrachtes Selbstbewusstsein, durch manchmal phantastische Äußerungen und durch das öffentliche Herabwürdigen seiner Konkurrenten auf. Und ebenso wie Ali hat er eine griffige Parole zu seinem Markenzeichen gemacht: "Make America great again!"
Die Rede ist natürlich von Donald J. Trump, dem viel bewunderten und viel gehassten 45. und aktuellen (47.) Präsidenten der USA. Gibt es noch andere Parallelen zu Muhammad Ali, oder ist Mr. Trump, wie man es im Englischen gerne formuliert, "all bark but no bite", also ein aufdringlich bellender Charakter ohne wirklichen "Biss"?
Die zahlreich von Mr. Trump "weggebissenen" Konkurrenten, um nur Mrs. Clinton, Mr. Biden und Mrs. Harris zu nennen, werden das wohl kaum so sehen. Im Gegenteil, gerade auch die von Trump geradezu zelebrierte Herabwürdigung seiner Gegner hat er ebenso zielgerichtet und effektiv eingesetzt wie einst "Ali the Greatest". Und die auf immer neuen Großveranstaltungen betriebene Selbstverherrlichung ist vermutlich ebenso bewusst und kühl eingesetzt wie der vom späten Stalin geförderte Kult um die eigene Person.
Und es mag auch Teil seines Erfolgs sein, dass er die tiefe Verachtung, die ein gar nicht so kleiner Teil der US-Bevölkerung ihm gegenüber hegt, einfach "wegsteckt" und sich umso intensiver um die Zustimmung jener (aktuellen) Mehrheit bemüht, die den zu "MAGA" verkürzten Slogan "Make America great again" gutheißen. Insofern ist er möglicherweise auch nur ein Realist, indem er die nicht zuletzt von den US-Medien in den letzten Jahren betriebene Polarisierung eben zur Kenntnis nimmt und bestmöglich zu nutzen sucht.
"Weltpolitiker" Trump: Knüppel statt Doppelmoral
Aber hier soll es nicht um den mehr oder minder erfolgreichen Innenpolitiker Trump gehen, sondern um den Außenpolitiker, der qua Amt sozusagen auch ein "Weltpolitiker" ist.
Ein anderer Kommentator hat kürzlich festgestellt, dass es vor Trump jede Menge Doppelmoral in der US-Außenpolitik gegeben habe, aber nun gäbe es gar keine Moral mehr. Und richtig: Wo sich seine Vorgänger meist sehr bemühten, ihren außenpolitischen Ambitionen ein mehr oder minder moralisches Mäntelchen umzuhängen, wo es angeblich immer um die "Verteidigung der Demokratie", die "Durchsetzung der Menschenrechte" oder die "Aufrechterhaltung der regelbasierten Ordnung" ging, verzichtet Trump auf solche Camouflage und verkündet lauthals und direkt, dass die USA Grönland besitzen sollten, Kanada besser der 51. Bundesstaat der USA werden sollte und der Panama-Kanal wieder "heim ins Reich" kommen sollte. Sonst würde Uncle Sam einfach den großen Knüppel hervorholen. Im Grunde hat Trump einfach nur die berühmte Regel des ehemaligen US-Präsidenten Theodore Roosevelt – "When dealing with your neighbours, speak softly, but brandish a big stick" – aufs Wesentliche zusammengestrichen.
Stil und Wortwahl der Trump'schen Außenpolitik sind für feinsinnige Menschen abstoßend, aber sind sie vielleicht am Ende effektiv? Gewiss klingt es geradezu peinlich, wenn Trump nach der Verkündigung des "Liberation Day", also der umfassendsten US-Zolltarif-Erhöhung seit Menschengedenken und den daraufhin eingehenden Offerten diverser Länder das Geschehen mit "...they're kissing my ass" zusammenfasst. Aber hat er nicht in vielen Fällen recht damit, dass die zolltechnisch angegriffenen Länder "seinen Hintern küssen" würden?
Wenn der Zweck die Mittel heiligt, dann muss man eingestehen, dass Trump auch hierin Ähnlichkeiten mit Muhammad Ali hat: Auch der Boxchampion hat längst nicht alles erreicht, was er vollmundig angekündigt hatte. Aber neben der überzogenen Rhetorik verfügte der Sportler Ali über genügend boxerische Fähigkeiten, um oft legendär siegreich zu sein. Und auch der Verbalboxer Trump erweist sich als politisch hochbegabt. Er kann und wird nach seinen Ankündigungen oft genug "Siege" oder mindestens Teilerfolge vorweisen können. Oder sie zumindest einigermaßen oft als Erfolge "verkaufen" können.
Trumps Kampf gegen den „Deep State“
Bei Anhängern Trumps jenseits und diesseits des Atlantiks etwa spricht man schon von "Siegen" im Kampf gegen den "Deep State", als Beginn der Trockenlegung des Washingtoner "Sumpfes". Dazu gehört auch der Abschied von diversen "woken" Projekten wie der Förderung von "LGBTIQ+", von DEI-Programmen (Diversity, Equity, Inclusion) oder vom Gender-Zwang. Wichtiger noch dürfte die vom sogenannten DOGE (Department of Government Efficiency) betriebene Zerschlagung von USAID[1] sein, die letztlich auch den finanziellen Nachschub für die amerikanische Soft-Power im Ausland austrocknet. Und die Rede von US-Vizepräsident J.D. Vance auf der Münchener Sicherheitskonferenz wurde von nicht wenigen als Bruch der transatlantischen Partnerschaft gedeutet.
Interessanterweise ist die Niederlage Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2020 ein guter Beleg einerseits für die These vom Vorhandensein eines "Deep State", während sein Erfolg 2024 anderseits die weitergehende These seiner Allmacht widerlegt.
Denn 2020 brüstete sich das TIME-Magazine damit, dass "wir" – also eine breite Front von Medienunternehmen, Politikern und "NGOs" – den befürchteten Wahlsieg Donald Trumps in einer konzertierten Aktion "gerade noch verhindert" hätten. Dieses "wir" war eine gute Selbstbeschreibung für ein die sichtbare Oberfläche des Staates durchdringendes Netzwerk aus Staatsagenturen, Medienunternehmen und Konzernlobbyisten, welches in diesem Fall die Wahl des "falschen" Kandidaten durch das "dumme Volk" noch einmal verhinderte.
Vier Jahre später war die Front schon nicht mehr so einheitlich; manche Lobbyisten begannen, auf ein "anderes Pferd zu setzen". Außerdem ließen sich der demente Amtsinhaber Biden und die auf ihn folgende Kandidatin Harris angesichts Ihrer allzu offensichtlichen Befähigungsmängel kaum noch als plausible Abwehr des Populisten Trump darstellen. Trump gelang also trotz erheblichem Gegenwind das Unerwartete. Aber wer dies als endgültigen Sieg über den "Deep State" wertet, dürfte sich zu früh gefreut haben.
Bruchlinie Ukraine-Krieg
Die den "Deep State" bildenden Strukturen sind also beileibe nicht verschwunden. Indem sie über die transnationalen Konzerne und NGO's schon längst überstaatlich geworden sind, können sie mühelos die Rest-Amtszeit von Trump "überwintern". Und in Europa bemühen sich die Starmers, Macrons, Scholzens, von der Leyens und Ruttes nach Kräften, die einst in schöner transatlantischer Gemeinsamkeit betriebenen Projekte, vorrangig den Krieg in der Ukraine, am Laufen zu halten. Am Ukraine-Thema offenbaren sich dann auch am deutlichsten die Differenzen zwischen den EU-Größen und der Trump-Administration.
Der Versuch, den Krieg in der Ukraine zu beenden, wird von "Trump-2" recht energisch betrieben, und dass die US-Regierung dabei "die besseren Karten" hat, wurde von Trump in jenem denkwürdigen Kamingespräch im Januar sehr deutlich gemacht – direkt gegenüber dem auf sein reales Format geschrumpften Selenskyj, indirekt auch gegenüber den EU-"Partnern". Und zwar ganz unabhängig davon, ob Trump aus edlen moralischen Motiven (Beendigung des Abschlachtens) oder aus geostrategischen Zielsetzungen heraus (Konzentration auf den "Hauptfeind" China) handeln mag.
Mutmaßlich folgt die neue US-Regierung nur den Empfehlungen, die die RAND-Corporation schon im Januar 2023 zusammenfasste (siehe "Avoiding a long war"). Gut möglich, dass auch eine Harris/Biden-Regierung irgendwann diesen Empfehlungen gefolgt wäre – schließlich waren zwei der US-Kriegsziele durchaus erreicht worden: zum einen eine (unerwartet begrenzt ausgefallene) materielle Schwächung Russlands, zum anderen eine (unerwartet erfolgreich ausgefallene) wirtschaftliche Schwächung der als Wirtschaftskonkurrenten betrachteten EU-Länder. Schließlich geht es – gemäß Egon Bahrs Diktum – in den zwischenstaatlichen Beziehungen nach wie vor um Interessen und nicht um irgendwelche "moralischen Werte".
Ungeachtet dessen hat der von den deutschen Medien verteufelte Donald Trump mit Muhammad Ali noch etwas gemein: nämlich neben aller Lust an Übertreibung und Wortbombast gelegentlich auch den Finger in die Wunde zu legen. Beim Boxchampion Ali waren es die Aussagen zur damals in den USA noch allgegenwärtigen Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung und zum Vietnamkrieg. Donald Trump hat unter anderem richtig analysiert, dass die Verletzung grundlegender Sicherheitsbedürfnisse Russlands, namentlich die Ost-Erweiterung der NATO und die angekündigte Aufnahme der Ukraine in die NATO, ursächlich für die Eskalation zum Krieg waren. Und das folgerichtig, wären diese Interessen berücksichtigt worden, der Krieg nicht ausgebrochen wäre.
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