Kolumne

Ein Handelsdefizit ist kein Diebstahl…

| 13. Mai 2025
IMAGO / ZUMA Press Wire

… doch die Wirklichkeit ist keine Ausrede – eine nützliche Erkenntnis in der faktenfreien Welt, in der US-Präsident Donald Trump agiert.

Die Wirklichkeit ist keine Ausrede. Die Leitlinie des niederländischen Schriftstellers Gerard Reve für die Literatur ist heute in der Wirtschaft ebenso relevant. Verteidige in der Literatur niemals eine schwache Geschichte mit „das sind aber die Tatsachen“, so Reve. Was in der Literatur zählt, ist nicht die Faktizität, sondern die Aussagekraft.

Das ist eine nützliche Erkenntnis in der faktenfreien Welt, in der US-Präsident Donald Trump agiert. Auch für uns, jetzt, wo er seine Welt zu unserer macht. Wir müssen uns auf seine Fiktionen einlassen. Trump hat die Jagd auf Handelsüberschüsse eröffnet, ausgehend von der Fiktion, dass jedes Land, das in die USA exportiert, ein Dieb ist. Demnach nimmt dieser Diebstahl immer schlimmere Ausmaße an, denn das Handelsdefizit der USA wächst.

In zweierlei Hinsicht hat sich Trumps Geschichte über den Handel so nicht „wirklich zugetragen“ (was uns aber nicht weiterhilft). Handel ist kein Diebstahl, er erhöht den Wohlstand. Sicher, die USA importierten 2024 aus 50 Ländern mehr als je zuvor, gemessen in US-Dollar – am meisten aus Mexiko, Deutschland und Japan. Gleichzeitig exportierten die USA jedoch mehr als je zuvor in 41 andere Länder. Mexiko, die Niederlande und das Vereinigte Königreich bilden die Top 3. Dennoch haben wir nicht das Gefühl, dass Amerika uns bestiehlt – noch leben wir in der Realität.

Dass der „Diebstahl“ (das Handelsdefizit) zunimmt, ist übrigens nicht so eindeutig. Natürlich werden in nominalen Dollar gemessen Rekorde aufgestellt, die Preise steigen. Aber als Anteil am BIP ist das Handelsdefizit der USA mit etwa drei Prozent recht stabil. In den letzten 15 Jahren schwankte es zwischen 2,2 und 3,8 Prozent. Dass es seit 2020 etwas über dem langjährigen Durchschnitt liegt, liegt daran, dass die USA nach der Covid-Pandemie stärker gewachsen sind als die meisten ihrer Handelspartner. Auch weil die Inflation dort niedriger ist und die Zinsen daher früher und stärker angehoben wurden, wodurch der Dollar stärker wurde. All dies sind Erfolge von Biden, die als Nebeneffekt einen leichten Anstieg des Handelsdefizits hatten.

Trumps zweite große Fiktion ist, dass das Handelsdefizit beseitigt werden kann, ohne den Status des Dollars als Welthandelswährung seit dem Ende des Bretton-Woods-Weltwährungssystems im Jahr 1971 aufzugeben. Sehr auffällig: Vor 1971 hatten die USA fast jedes Jahr Handelsüberschüsse, danach Handelsdefizite. Das ist kein Zufall. So wie Banken Geld für die Wirtschaft schaffen, schaffen die USA Geld für die Welt. Mit Dollar kann man alles auf der Welt unbegrenzt kaufen. Es war unvermeidlich, dass die USA, die Dollar kostenlos druckt, mehr konsumiert als sie selbst produziert – und das ist ein Handelsdefizit. Trump will einen starken Dollar als Welthandelswährung und er will Handelsdefizite beseitigen. Beides zusammen aber geht nicht. Es ist unklar, ob Trump das nicht versteht oder lieber ignoriert.

Gut, Trump hat also in zweierlei Hinsicht Unrecht. Das hilft natürlich nicht weiter. Wer auf Fiktionen hinweist, verhält sich wie ein Autor, dessen Geschichte zwar stimmt, aber keinen Anklang findet. Dass etwas wirklich passiert ist, ist keine Rechtfertigung, man muss eine gute Geschichte erzählen. Denn in der Wirtschaft der realen Welt zählt, genau wie in der Literatur, nur eines: Aussagekraft. Diese Aussagekraft ist für Trumps Wähler und ihn selbst groß. Da er ein Autokrat an der Spitze einer Weltmacht ist, ist das die Fiktion, mit der jeder umgehen muss.

Und so kommt es, dass während Ökonomen (darunter auch ich) noch zu erklären versuchen, wie die Lage ist, Trumps Handelspartner bereits seiner Geschichte gefolgt sind, die Schwächsten zuerst: Südkorea, Indien, die Philippinen, Malaysia, Vietnam – sie alle haben höhere Zölle auf US-Importe als umgekehrt, was angesichts ihrer industriellen Entwicklung oft durchaus verständlich ist. Nicht alle werden sich beugen: China und die EU sind nicht Vietnam. Dann kommt es zu wechselseitig höheren Zöllen. Das wird alle, auch die USA, Wohlstand kosten; die Preise werden steigen.

Das Paradoxe daran ist, dass das Handelsdefizit der USA dadurch durchaus sinken könnte, weil der Konsum und die Importe zurückgehen, vielleicht sogar stärker als die Exporte. Trump wird denken, dass seine Politik funktioniert hat, selbst wenn die amerikanischen Exporte zurückgehen, selbst wenn kein einziger Arbeitsplatz in den USA geschaffen wird. Das ist die Kraft der Geschichte, von der er lebt. Auch sie stimmt nicht, aber das ist keine Ausrede.