Rentner als Putins Stütze: Der Kampf-Journalismus der FAZ
Die FAZ führt eine verschärfte Kampagne gegen die Sozialversicherung, die sie als Erzübel der Wirtschafts- und Sozialordnung darstellt. Sie sei nicht nur zu teuer, sondern gefährde auch die nationale Sicherheit, weil das in die Rentenkassen fließende Geld der Rüstungspolitik fehle.
Die FAZ-Redaktion stellt sich gerne als eine Truppe von unterschiedlichen politischen Temperamenten dar. Auf den Politikseiten herrscht ein liberal-konservativer Grundton, aber man hält sich an die Regel der Trennung von Nachrichten und Kommentar. Das Feuilleton ist meinungsfreudig und bringt schon mal seltsame Beiträge. Aber ohne steile Thesen wäre es langweilig. Die Wirtschaftsredaktion hingegen pflegt einen Kampfjournalismus, der die Fakten nach ihren ordnungspolitischen Dogmen trimmt. Er gilt vor allem dem Sozialstaat.
Soziale PKV?
Die FAZ behauptet, die Private Krankenversicherung (PKV) sei „viel sozialer als Ihr Ruf“, weil sie medizinische Innovationen „lange vor der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)“ bezahle und damit Kassenpatienten den „Weg zum medizinischen Fortschritt“ ebne (11.03. 2024). Das ist kompletter Unsinn.
Die PKV zahlt den Krankenhäusern für alle Behandlungen die gleichen Fallpauschalen wie die GKV. Diese werden von einem von der GKV und der PKV gemeinsam getragenen Institut (InEK) berechnet. Für die Vergütung neuer Untersuchungs- und Behandlungsformen gelten einheitliche Regeln, die von der Deutschen Krankenhausgesellschaft gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden. Der Status des Privatpatienten bietet keine bessere Behandlung, sondern nur die medizinisch überflüssige Chefarztvisite und komfortablere Hotelleistungen. Er ist an eine Zusatzversicherung gebunden, die auch sechs Millionen GKV-Mitglieder haben.
Auch in der ambulanten Versorgung bietet die PKV keine bessere Behandlung als die GKV, sondern nur kürzere Wartezeiten auf einen Termin. Die GKV vergütet alle Leistungen, die medizinisch sinnvoll sind. Über Details befindet der GKV-Spitzenverband gemeinsam mit der Kassenärztlichen bzw. Zahnärztlichen Bundesvereinigung im G-BA.
Damit bestimmt er indirekt auch Leistungen der PKV. Deren Mitglieder sind zu über der Hälfte Beamtinnen und Beamte, die eine staatliche Beihilfe von 50 bzw. 70 (Pensionäre) Prozent der Behandlungskosten bekommen. Der Rest muss von der PKV abgesichert werden. Beihilfeempfängern gewährt ihre Dienstbehörde die gleichen Leistungen wie die GKV. Die Arztpraxen rechnen nach der für Privatpatienten geltenden Gebührenordnung ab, was den Staat teuer zu stehen kommt (siehe unten).
Die Begrenzung der GKV-Leistungen auf medizinisch gebotene Behandlungen ist zugleich Qualitätssicherung und Patientenschutz. Behandlungen ohne medizinische Evidenz bewegen sich im Grenzbereich zur Körperverletzung und sind deshalb ethisch äußerst fragwürdig. Der vom G-BA festgelegte Leistungskatalog der GKV folgt den medizinischen Erfordernissen und nicht den ökonomischen Interessen von bestimmten Arztpraxen.
Die hält die FAZ offenbar für wichtiger als den effizienten Umgang mit den Ressourcen unseres Gesundheitswesens. Sie setzt sich sogar für eine „Aufstockung“ privatärztlicher Einnahmen ein, die bereits heute pro Behandlungsfall mehr als doppelt so hoch sind wie die mit der GKV abgerechneten Umsätze der Arztpraxen. Diesen Sachverhalt hat sogar der Wirtschafts-Sachverständigen als „ökonomisch nicht begründbar“ bezeichnet (Gutachten 2004). Es ist schon dreist, wie die FAZ ökonomische Fehlanreize in positive gesamtwirtschaftliche Effekte verwandelt.
Die Gesetzliche Rentenversicherung – Putins heimliche Stütze?
Die FAZ fordert seit jeher die Umstellung der umlagefinanzierten sozialen Rentenversicherung auf ein privatwirtschaftliches Kapitaldeckungssystem. Jetzt hat sie den Ton in dieser Kampagne noch einmal verschärft und kritisiert nicht nur die SPD und die Gewerkschaften, sondern drischt auch auf die CDU/CSU und die FDP ein.
Die Union mache eine „gefährliche Rentenrolle rückwärts“ (FAZ, 04.05. 2024) und wickele das vor zwanzig Jahren begonnene Projekt einer Umstellung der Rentenversicherung auf Kapitaldeckung ab. Sie sei 2017 mit ihrer „Mütterrente“ in Wahlkampf gezogen. Das stehe „sinnbildlich für einen radikalen Kurswechsel der Alterssicherungspolitik“, der auf eine „Reform oder Reparatur der Privatvorsorge und ihrer staatlichen Förderung verzichte.“
Das sei nicht nur sozial-, sondern auch struktur- und klimapolitisch verhängnisvoll. Die in die Rentenkasse fließenden Steuergelder gingen zulasten von Zukunftsinvestitionen: „Der Investitionsstau hat demnach mehr mit der Rente zu tun als mit der Schuldenbremse.“ Für die marode Verkehrsinfrastruktur, heruntergekommene Schulen und Krankenhäuser und das Chaos bei der Deutschen Bahn sind also nicht politische Versäumnisse der vergangenen Regierungen verantwortlich, sondern Wahlgeschenke der Union für die eigentlich gut situierten Rentner.
Beim Furor der FAZ gegen die Sozialversicherung bekommt auch die FDP ihr Fett weg. Sie sei auf „sozialpolitischen Irrfahrten“ (31.05. 2024) und habe nicht nur das Bürgergeldgesetz und die Kindergrundsicherung, sondern auch das Rentenpaket von Sozialminister Heil „durchgewunken“.
Auch bei den steigenden Pflegekosten mache die FDP keine gute Figur und lasse die Dinge schleifen. Sie liefen zwar „noch weiter aus dem Ruder als gedacht.“ Die Ampelkoalition kaschiere das durch mit einem „Plündern“ des Pflegevorsorgefonds: „Will die FDP das etwa einfach akzeptieren?“ Lauterbach solle „erst einmal die Pflegefinanzen unter Kontrolle bringen, bevor über ein Gesetz verhandelt wird, das auch noch den Anstieg des Rentenbeitrags beschleunigt.“
Mit alledem schade die Ampel-Koalition der Ukraine in dem von Putin angezettelten Krieg. Schon heute „sind die auf Menschen im Alter zugeschnittenen Ausgaben aus dem Bundeshaushalt etwa sechsmal so hoch wie für militärische Beschaffung“ (02.04. 2024). Verteidigt werde nur „nach Kassenlage“, und die sei wegen der in die Renten- und Pflegeversicherung fließenden Subventionen erschöpft.
Im Klartext heißt das: Werden die Renten- und Pflegeversicherung nicht deutlich gekürzt und auf ein privates Kapitaldeckungssystem umgestellt, stehen bald die Russen auf dem Kurfürstendamm.
Die FAZ hat schon immer den Sozialstaat mit faktenfreien Horrorszenarien bekämpft. In denen frisst er den Wohlstand auf, baut einen gigantischen Schuldenberg zu Lasten der nachwachsenden Generationen auf und gefährdet die globale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Jetzt wird ihm auch noch die die Unterstützung des Kriegsverbrechers Putin unterstellt. Der Kampf der FAZ gegen den Sozialstaat als einen „modernen Wahn“ (Ludwig Erhard) hat psychopathologische Züge bekommen.
Kampfjournalismus
Die FAZ ist seit jeher der Gralshüter des Ordoliberalismus mit dem Dogma, der Staat müsse nur für eine funktionierende Wettbewerbsordnung sorgen, dann bringe die Marktwirtschaft automatisch „Wohlstand für alle“ (wieder Erhard). Sozialleistungen sollten sich auf eine Grundsicherung für Bedürftige, Kindergeld und Eigentumsförderung beschränken. Die Absicherung von Lebensrisiken wie Alter, Krankheit und Pflegebedürftigkeit sei Privatsache, auch wenn man wie in der Kfz-Versicherung um einen allgemeinen Versicherungszwang nicht herumkomme.
Eine ökonomische Begründung dieser Erzählung hält die FAZ für überflüssig. Sie ignoriert Tatsachen wie die, dass die PKV für die gleichen Leistungen um dreißig Prozent mehr ausgibt als die GKV und ihre Verwaltungsausgaben mehr als doppelt so hoch sind. Altersarmut ist für sie die Schuld der Betroffenen und der Politik, die sie nicht zur privaten Vorsorge angehalten habe. Periodische Kapriolen und platzende Blasen des Finanzmarkts, die mit Staatsgeld aufgefangen werden müssen, um Rentenfonds zu retten, sind nur dumme Betriebsunfälle.
Die Versorgung pflegebedürftiger Menschen betrachtet die FAZ als Familienangelegenheit. Es ist ihr offenbar egal, dass die Privatisierung dieses Risikos vor allem zu Lasten von Frauen geht, wie eine aktuelle AOK-Studie zeigt. Ihre unentgeltlichen Pflegeleistungen werden sich bei einer Privatisierung des Pflegerisikos erhöhen, die Berufstätigkeit von Pflegepersonen nimmt ab. Letzteres erhöht das Risiko der Altersarmut und belastet die soziale Rentenversicherung.
Solche gesamtwirtschaftlichen Schäden der Privatisierung sozialer Risiken interessieren die FAZ nicht. Die Offenlegung der hohen Provisionen von Vermögensverwaltern wie Vanguard und Blackrock würde deren Geschäftsmodelle ebenso in Frage stellen, wie der Hinweis auf ihre Investments in der Wohnungswirtschaft, die eine wesentliche Ursache für die explodierenden Mieten in den Metropolen sind. Da geht die FAZ lieber in die ideologische Offensive und macht sich mit ihrem geradezu religiösen Furor gegen die Sozialversicherung zum politischen Kampfblatt der Finanzwirtschaft. Seriöser Journalismus sieht anders aus.