Editorial

Die neue Ost-West-Spaltung

| 08. Juni 2021
istock.com/frankpeters

Liebe Leserinnen und Leser,

wie gut ist es eigentlich um den rechtlich-öffentlichen Rundfunkt bestellt? Die Frage wird nicht zum ersten Mal gestellt, schließlich ist allgemein bekannt, dass nicht zuletzt die gebührenfinanzierten Medien unter einer Glaubwürdigkeitskrise leiden. Tiefpunkte der Berichterstattung gab es schon viele – über die Eurokrise und faule Südländer, den „braunen Osten“, die unbezahlbare Rente oder vermeintliche ökonomische Sachzwänge.

Wie oft wollten die Medien sich nicht schon selbst kritisch reflektieren? Doch eher grüßt täglich das Murmeltier. Noch immer gibt sich die Zunft unfehlbar und mit dem Dünkel eines elitären Nonplusultra - und stößt damit gerade im Osten der Republik auf wachsende Wut und Ablehnung.

Doch Hochmut kommt vor dem Fall. Als Claus Kleber am Sonntag, den 30. Mai, im Heute-Journal des ZDF über die Rente redete, wurde der Bildungs- und Informationsauftrag wieder einmal mit Füßen getreten. Klebers Darbietung war eine dilettantische Verzerrung des Umlageverfahrens. „Was die jungen Leute heute einzahlen, ist sofort weg“, erzählte der Moderator dem Publikum.

Es ist genau umgekehrt, wie Heiner Flassbeck in dieser Ausgabe schreibt: Was nach Meinung des Klebers „weg“ ist (die Beiträge der heute Aktiven), ist in Wirklichkeit da (als Nachfrage im Kreislauf der Wirtschaft), und was nach Auffassung der ZDF-Redaktion da ist oder gebildet werden sollte (Ersparnisse), ist weg, weil das Ersparte auf einem Bankkonto liegt und genau damit die Dynamik der Wirtschaft in Form von Nachfrageausfall schädigt – eine Dynamik, auf die das Rentensystem letztlich in jedem denkbaren Fall aufbaut. Kleber wäre mitzugeben: Keine einzelne Maßnahme kann man losgelöst von Ihren Wirkungen auf die übrigen Teile der Wirtschaft beurteilen.

Eine Woche später, am darauffolgenden Sonntag, folgte bereits das nächste traurige Highlight. Die Anne-Will-Redaktion hatte die jüngste Sendung zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt wohl nicht nur als Attacke gegen die AfD, sondern auch gegen deren Wähler konzipiert. Mit Nadine Lindner outete sich eine Repräsentantin des öffentlichen Rundfunks – dem ein absolutes Neutralitätsgebot auferlegt ist – ungeniert als Gesinnungsjournalistin. Allen Ernstes attestierte sie den ostdeutschen Wählern eine Diktatursozialisation, die vererbt werden würde.

Anne Will wiederum bezichtigte die AfD „rechtsextreme Positionen“ zu vertreten – nicht mit Bezug auf das konkrete Wahlprogramm, sondern über den Umweg einer „Umfrage“ unter Wählern in Sachsen-Anhalt. Paul Steinhardt erinnert das an eine Methode aus den 70er Jahren: Unablässig wird beklagt, sich nicht ausreichend von "extremistischen" Positionen zu distanzieren.

Nun geht es Steinhardt nicht darum, die konkreten Aussagen und Wertungen der AfD zu rechtfertigen. Aber es zeige, schreibt er, wie negativ konnotierte Begriffe als Waffen im Meinungskampf benutzt werden, um bestimmte Themen als unsagbar aus dem demokratischen Diskurs auszuschließen: Wer über Probleme der Migration redet oder aber die Corona-Politik kritisch sieht, wird unter Demokratiegetöse zur Persona non grata erklärt.

Doch dieser Rigorismus dürfte einen hohen Preis haben. Fakt ist, dass der liberale Gesinnungsdiskurs kaum mehr etwas mit der Lebenswirklichkeit der Menschen gerade im Osten gemein hat. Etwas, das auch dem Finanzexperten und stellvertretendenVorsitzenden der Linksfraktion im Bundestag, Fabio de Masi aufstößt: „Es gibt in verschiedenen politischen Spektren und vor allem in den sozialen Medien die Tendenz, Politik nur noch über Moral und Haltungen zu debattieren. Ich halte dies für einen Rückschritt.“

De Masi wird dem Bundestag nach dieser Legislaturperiode den Rücken kehren. In einer Erklärung, die es in sich hat, attestiert er seiner Partei, die in Sachsen-Anhalt erneut abgestraft wurde, „strategische Fehler“ und ein dürftiges Erscheinungsbild. „Maulheldentum“ ersetze „keine praktischen Antworten auf konkrete Probleme“. Auch hätte es zu wenig Personal in Partei und Fraktion gegeben, „das bereit war, sich für die ökonomischen Debatten unserer Zeit zu interessieren.“

Diese Kritik trifft leider nicht nur Die Linke ins Mark, sondern auch gewisse Großstadtjournalisten mit einem öffentlich-rechtlichen Informationsauftrag.