Genial daneben

Notizen aus der Provence: Peter Sloterdijk und die deutschen Weicheier

| 17. Juni 2025

Peter Sloterdijk vermisst eine Kriegsbereitschaft der Deutschen und fordert mehr Männlichkeit. Der Sozialstaat war für ihn schon immer ein Ruhekissen für Versager auf Kosten der Leistungsträger. 

Peter Sloterdijk gilt in den Medien als „großer Denker“ und „anregendster Philosoph Europas“, so die Frankfurter Allgemeine am Sonntag (FAS, 15. Juni 2025). Deren Korrespondentin hat ihn im Garten seines Landsitzes in der Provence interviewt. Er servierte Spaghetti mit Meeresfrüchten und plauderte über die Unterschiede zwischen den militärisch selbstbewussten Franzosen und den verweichlichten Deutschen.  

Sloterdijk bietet seit vielen Jahren mit seinen oft nebulös formulierten Thesen den Zeitgeistsuchern im Feuilleton stets willkommenes Debattenfutter. Er serviert es als anekdotenreiche Streifzüge durch die Welt- und Geistesgeschichte, die den Eindruck großer Belesenheit erwecken. Etliche seiner Texte habe ich ermattet beiseitegelegt, weil mich sein mit Verweisen auf die altgriechische Mythologie und Philosophie angereicherter Wortschwall überforderte und mir unklar blieb, was er dem Publikum eigentlich mitteilen wollte.  

Aber wenn er sich über Dinge auslässt, von denen ich etwas verstehe, hat sich stets mein Verdacht erhärtet, dass er ein eloquenter Angeber ist, der seine Begriffslosigkeit mit prätentiösem Wort- und Begriffsgeklingel übertönt. Er ist ein Salonphilosoph, der den Zeitgeist in den ideologischen Apparaten und der gehobenen Gastronomie in der Einbildung bedient, ihn mit seinen Welterklärungen zu prägen.

Sloterdijk, das Militärische und die Männlichkeit

Die neuerdings von den Deutschen geforderte „Kriegstüchtigkeit“ ist für Peter Sloterdijk ein überfälliges Postulat. Im FAS-Interview fordert er eine stärkere Bereitschaft zur militärischen Intervention, die in Deutschland leider verlorengegangen sei: „Wenn wir anfangen, offen und öffentlich und offensiv über die Entsendung von europäischen Bodentruppen in die Ukraine nachdenken, dann stellen wir die verlorene strategische Ambiguität wieder her.“

Dass zwischen der Bereitschaft, sich gegen Aggressoren zu verteidigen und der militärischen Invasion in fremde Länder ein großer Unterschied besteht, ist ihm offenbar ebenso ein fremder Gedanke wie die sarkastische Bemerkung des Brigadegenerals Taylor in dem Film „Good Morning Vietnam“, dass militärische Intelligenz ein Widerspruch in sich ist.

Sloterdijk bemängelt die Abrüstungsmentalität der Deutschen. Wir hätten nach dem Zweiten Weltkrieg „die Gesellschaft total demobilisiert“ und seien damit „zu weit gegangen“. In Frankreich sei hingegen „heroische Haltungen besser tradiert worden“. Dort habe man „immerhin die Fremdenlegion nicht abgeschafft“, wir dagegen „haben den berühmten Bürger in Uniform“.

Sloterdijk hält die Söldnertruppe für ein wichtiges „außenpolitisches Instrument“, dabei ist sie nichts weiter als das Relikt einer imperialistischen Kolonialpolitik. Er verliert kein Wort über die militärische Drecksarbeit, die von der Fremdenlegion in den französischen Kolonien Algerien und Indochina erledigt wurde, weil der französische Staat seine Bürger dafür nicht opfern wollte. Die Bewertung der Fremdenlegion als Zeichen einer „heroische Haltung“ der Franzosen ist gelinde gesagt befremdlich. Wenn Sloterdijk dann auch noch die Demokratisierung der Bundeswehr ins Lächerliche zieht, zeigt er eine elitäre Demokratieverachtung.

Sloterdijk biedert sich bei Leuten wie Björn Höcke an, indem er einen allgemeinen Verlust an männlicher Haltung beklagt. Der Mann werde heute „neu dargestellt als kosmetisches Subjekt. Um mit Karl Lagerfeld zu reden, gewinnt er die Kontrolle über sein eigenes Leben, wenn er ein bestimmtes Männerparfüm aufträgt“ und sich schon als Kind „mehr für Mode als für Kriegsspielzeug interessiert.“ Man hört innerlich das Gewieher und Schenkelklopfen an AfD-Stammtischen, wenn dort jemand diese Zeilen aus Sloterdijks FAS-Interview vorliest.

Sloterdijk macht sich mit Björn Höcke gemein, der schon immer den Mangel an Männlichkeit in unserer Gesellschaft beklagt hat. Früher erntete der Videoclip mit dieser Botschaft in Satire-Formaten wie der Heute-Show lautes Gelächter im Studiopublikum. Heute nimmt die FAS-Redaktion die gleichen chauvinistischen Sprüche von Sloterdijk widerspruchslos hin. Genau darin liegt der eigentliche Skandal, und weniger darin, dass ein notorischer Dampfplauderer mal wieder krauses Zeug von sich gibt.

Sloterdijk, ein libertärer Reaktionär

Es versteht sich, dass der sich als Welterklärer gebärdende Peter Sloterdijk auch zu Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik Stellung nimmt. Dabei erweist er sich im FAS-Interview einmal mehr als Second-Hand-Philosoph und käut die Abgeschmacktheiten der neoklassischen Lehrbuchökonomie wieder. Die Staatsverschuldung sei frei nach Karl Kraus „die Krankheit, als deren Therapie sie sich ausgibt.“ Die USA seien in dieser Hinsicht ein „perverser Lehrmeister“ für „eine europäische Denkschule, die vorgibt, dass wir in diese Richtung weitergehen können.“ In Wahrheit gehe es darum, „dass wir heute schon verbraucht haben, was wir erst in zwei oder drei Jahren produziert haben werden.“

Jedem makroökonomisch geschulten Ökonomen kräuseln sich bei derart ignoranten Phrasen die Nackenhaare. Sloterdijk hat keine Ahnung vom fundamentalen Unterschied zwischen einer Tauschwirtschaft und der modernen Geldwirtschaft. Allwöchentlich könnte er in MAKROSKOP nachlesen, dass kreditfinanzierte Staatsausgaben produktive Funktionen haben können und die Schuldenbremse eine wirtschafts- und fiskalpolitische Sackgasse ist.

Aber von Fakten lässt sich Sloterdijk die Story vom unproduktiven und gefräßigen Staatsapparat nicht kaputtmachen. Er teilt das politökonomische Weltbild von libertären Reaktionären wie F. A. Hayek und Robert Nozick, für die es im Prinzip nur zwei Verteilungsformen gibt: Tausch und Raub. Steuern und Abgaben sind für sie legalisierte Formen von Diebstahl und Wegelagerei, die sie nur dann akzeptieren, wenn sie der Finanzierung eines Sicherheitsapparates zum Schutz des Besitzbürgertums dienen.[1]

Diese staatsfeindliche Grundhaltung teilt Sloterdijk. Das wurde 2009 deutlich, als er in einem Essay den Sozialstaat als einen die bürgerliche Elite aussaugenden Vampir darstellte. Mit prätentiösem Pathos trat er für eine „Revolution der gebenden Hand“ ein, die das Steuersystem durch freiwillige Abgaben ersetzt. Damit brach er in den Leitmedien eine Debatte unter Schwerintellektuellen los.[2]

An der berechtigten Empörung namhafter Sozialwissenschaftler und Publizisten wie Axel Honneth, Stefan Lessenich und Albrecht von Lucke über Sloterdijks Suada fällt auf, dass sie seine Behauptung, der Sozialstaat sei die „gebende Hand“ der Besserverdienenden nicht wirklich in Frage stellten. Nur der Wirtschaftssoziologe Michael Hartmann wies darauf hin, dass Sloterdijks offenbar keine Ahnung von der Finanzierung des Sozialbudgets hat (Frankfurter Rundschau, 29.12.2009). Sie beruht keineswegs auf einer Umverteilung von oben nach unten. Die Sozialversicherungen, die etwa zwei Drittel des Sozialbudgets ausmachen, werden dank der Beitragsbemessungs- und Versicherungspflichtgrenze vor allem von den unteren und mittleren Einkommensgruppen finanziert.

Unterm Strich zeigte die Sloterdijk-Debatte von 2009 in den Medien und der akademischen Gemeinde eine Halbbildung, wenn nicht Ignoranz über die Strukturen bzw. Finanzierung unseres Sozialleistungssystems. Das hat sich bis heute leider kaum geändert.

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[1] Hayek hat dieses Paradigma in seinem sozialphilosophischen Hauptwerk „Die Verfassung der Freiheit“ ausführlich entwickelt.
[2] Jan Rehmann und Thomas Wagner (Hrsg.): Angriff der Leistungsträger. Das Buch zur Sloterdijk-Debatte. Hamburg 2010 (Argument)