Ist Gegeneinander besser als miteinander?
Geht es bei linker Politik nur um Umverteilung – oder sollte nicht besser die Ineffizienz unseres Wirtschaftssystems deutlich gemacht werden? Plädoyer für einen Strategiewechsel.
Die Linke argumentiert in ihrer Außendarstellung kaum oder gar nicht mit der Ineffizienz des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Ich behaupte, dieses Wirtschaftssystem arbeitet planlos, anarchisch-chaotisch, auf Konkurrenz und Konflikt untereinander ausgerichtet, damit gegen die menschliche Vernunft und außerdem zutiefst undemokratisch. Das möchte ich in diesem Beitrag begründen.
Anstatt diese Zusammenhänge und negative Auswirkungen auf die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung in den Vordergrund ihrer Politik zu stellen, konzentriert sich Die Linke bei ihrer Positionierung auf den Kampf gegen die Benachteiligung sozial schwacher Menschen. Dafür müsse eine Umverteilung von oben nach unten hin zu den sozial Schwachen erfolgen. Andere Bevölkerungsgruppen dürften sich damit nicht angesprochen fühlen und in der politischen Strategie der Partei Die Linke daher auch keinen Vorteil für sich sehen.
Diesen Eindruck zu erwecken, halte ich persönlich für falsch. Aus meiner Sicht geht es bei linker Politik genau darum, für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung grundsätzlich bessere Bedingungen zu schaffen und damit auch als politische Partei für eine breite Mehrheit interessant zu sein.
Daher schlage ich vor, die Ineffizienz unseres aktuellen Wirtschaftssystems in der politischen Diskussion nachvollziehbar zu begründen und kluge Alternativen greifbar zu beschreiben.
Unser aktuelles Wirtschaftsprinzip beruht auf folgendem Gedanken: Wenn alle Unternehmen betriebswirtschaftlich jeweils für sich selbst das Optimale herausholen, ergibt sich daraus volkswirtschaftlich automatisch das für die Bevölkerung optimale Ganze. Dieses Prinzip ist zutiefst ineffizient.
Jedes Unternehmen plant, forscht und produziert für sich alleine, und letztlich erst bei dem Versuch, die Produkte zu verkaufen, stellt sich heraus, ob sie gebraucht werden oder nicht. Dies hat eine Reihe schwerwiegender negativer Folgen:
Geringe Kapazitätsauslastung
Es kommt zu Überproduktion, die in regelmäßiger Vernichtung von Waren, Produktionsmitteln und Rohstoffen endet. Infolgedessen werden Menschen arbeitslos, sie dürfen ihre Arbeitskraft und ihre Fähigkeiten nicht einsetzen. Diese Überproduktion zeigt sich aktuell besonders deutlich in der Automobilindustrie /Fahrzeugbau, IT-Technologie, Telekommunikation und bei Fluggesellschaften. Sinnbildlich dafür sind die Unmengen PKWs, die auf riesigen Parkplätzen stehen und verrotten.
Auf Grund dessen liegt die durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Kapazitätsauslastung bei etwa 85 %. Das bedeutet, dass 15 % ungenutzt brach liegen. Das ist absolut ineffizient. Dabei wurde noch nicht einmal betrachtet, ob die bereitgestellten Produkte oder Dienstleistungen gesellschaftlich sinnvoll sind.
Inkompatible und redundante Produkte und Lösungen
Viele Produkte passen, teilweise beabsichtigt, nicht zueinander, sind inkompatibel. Wettbewerber bieten redundante Produkte oder Dienstleistungen ähnlicher Funktionalität oder Zweckbestimmung an, ohne diese mit anderen Wettbewerbern zu harmonisieren. So wurden zum Beispiel proprietäre Betriebssysteme, Anwendungsprogramme und Dateiformate geschaffen. Nehmen wir als einfaches Beispiel die Produktion von Handy-Ladegeräten. Die Nokia-Ladegeräte passten nicht zu Android-Geräten, deren Ladegeräte wiederum nicht zu Apple-Geräten.
Diese mögliche Kompatibilität wird beim sogenannten Lock-in-Effekt sogar bewusst verhindert, um die Kundenbindung zu erhöhen. Ergebnis ist eine Vielzahl ähnlicher Produkte oder Dienstleistungen mit jeweils immer wieder hohen Entwicklungs- und Herstellungskosten. Folge ist: „Das Rad wird immer wieder neu erfunden“.
So entwickelt zum Beispiel jedes Unternehmen seine eigene Software für vergleichbare Funktionalitäten. Dabei werden riesige Aufwände immer wieder neu erbracht, um zum Beispiel Standard-Bankensysteme, wie Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung, zu entwickeln. Oder: Wie oft entwickeln eigentlich die etwa 100 Automobilhersteller jeweils eigene Modelle für die selbe Zielgruppe? Wie viele Modelle braucht die Bevölkerung, oder würden nicht letztlich einige wenige für bestimmte Zwecke optimierte Modelle ausreichen? Hier werden hundertefach immer wieder riesige Kosten für Planung bis Realisierung verursacht.
Wissen wird systematisch zurückgehalten
Wir alle wissen, dass Bahnbrechendes nicht mehr individuell und ohne Vorleistungen erfunden wird. Dennoch ist unser Wirtschaftssystem so angelegt, dass es systematisch den Austausch unseres menschlichen Wissensschatzes, unserer Fähigkeiten, Kreativität und Intelligenz, insbesondere über Unternehmensgrenzen hinweg, unterbindet. Das geht bis hin zu Patenten, die diesen Austausch institutionell blockieren. Würden beispielsweise die Impfstoff-Patente gegen Corona nicht verhindern, dass weit mehr Unternehmen den Impfstoff produzieren als es aktuell geschieht, hätten viele Millionen Menschen gerettet werden können. Dabei wissen Institute wie die ETH Zürich, dass der Blick über den Tellerrand den Innovationsgeist fördert. „Wer innovativ bleiben will, sollte kooperieren.“
Die „Neue Zürcher Zeitung“ stellt fest, dass in der heutigen Wissensgesellschaft das Wissen der Mitarbeitenden für Unternehmen die entscheidende Ressource ist. Das mit unserem auf Konkurrenz basierenden Wirtschaftssystem verbundene Ellbogendenken, bis hin zur Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes, bleibt nicht ohne Konsequenzen für die Effizienz. Die Zeitung zitiert eine Umfrage unter 1700 Beschäftigten, die ergab, dass 76 Prozent der Befragten gewisses Wissen absichtlich für sich behalten. Die Management Literatur bezeichnet dieses Problem als „Knowledge Hiding“.
Laut der Beratungsgesellschaft „Wissensdialoge“ ist eine entscheidende Ursache dafür „insbesondere ein Klima, das Wettbewerb und sozialen Vergleich betont“. Die TU München identifiziert als wesentliche Faktoren ebenfalls Wettbewerbsklima, Rivalität und Ersetzbarkeit. Viele Beschäftigte betonen in persönlichen Gesprächen ihre Erfahrung „Wissen ist Macht“. Damit ist häufig gemeint: Sei vorsichtig mit dem, was Du weitergibst. Behalte es für Dich, denn es kann Dich unentbehrlich machen und so Deine Existenz sichern.
Ungerechtfertigte Aneignung gemeinschaftlich erzeugter Werte
Soziologen haben in empirischen Studien herausgefunden, dass über den Zugang zu Spitzenpositionen der Wirtschaft in erster Linie die soziale Herkunft, nicht die Leistung entscheidet. Das reichste 1 Prozent besitzt 36 Prozent des Gesamtvermögens in Deutschland. Für den Entzug dieser gemeinschaftlich produzierten, jedoch privat angeeigneten Werte aus der Gemeinschaft gibt es keine wirtschaftlich nachvollziehbare Rechtfertigung.
Ein besonders aktuelles Beispiel liefert die Lufthansa. Der Aufsichtsrat der Lufthansa will Boni an die Vorstände auszahlen, obwohl der Staat mit 9 Milliarden Euro einspringen musste, um den Absturz des Unternehmens zu verhindern. Hier geht es überhaupt nicht um Leistung, „die sich lohnen muss“. Oder Daimler: Der Staat finanziert 700 Millionen an Kurzarbeitergeld, so dass gleichzeitig die Aktionäre von einer 50-prozentigen Dividendensteigerung profitieren können.
Ökologische Zerstörung
Wenn es der Gewinnmaximierung des einzelnen Unternehmens dient, werden auch die ökologischen Lebensgrundlagen der Bevölkerung geschädigt. Der Konzern Kali und Salz zieht es zum Beispiel vor, mit seinem schädlichen Abwasser Werra und Weser zu verschmutzen, anstatt eine abstoßfreie Kaliproduktion zu nutzen. Deshalb muss anschließend ein Vielfaches aufgewendet werden, um wieder menschenverträgliche Umweltbedingungen herzustellen, falls überhaupt möglich.
Hier wird der entscheidende Widerspruch zwischen Betriebswirtschaft und Volkswirtschaft auch ökologisch deutlich. Betriebswirtschaftlich handelt K+S für sich selbst optimal. Die Volkswirtschaft spielt für K+S dabei keine Rolle. Dieses Vorgehen ist volkswirtschaftlich gesehen völlig ineffizient und sogar schädlich.
Wir sehen: Die Summe aller einzeln optimierten Unternehmen ist keinesfalls das optimale Ganze. Es handelt sich um ein chaotisches und Arbeitskraft und Ressourcen verschwendendes Prinzip. Würden sich die Menschen stattdessen gemeinsam auf den verschiedenen Ebenen abstimmen, statt diese Entscheidungen dem einzelnen Unternehmen in undemokratischer Weise zu überlassen, könnte die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung unter grundlegend besseren wirtschaftlichen Bedingungen leben.
Das aktuelle Wirtschaftssystem geht von der Annahme aus, dass innerhalb des jeweiligen Unternehmens alles detailliert durchgeplant wird. Eine Planung und Abstimmung über die Unternehmensgrenzen hinweg wird jedoch grundsätzlich abgelehnt. Folgende Einwände werden dafür genannt:
- Planung in solchen Größenordnungen kann nicht funktionieren.
- Ohne dieses Gegeneinander fehlen die Anreize. Leistung muss sich lohnen, andernfalls gibt es kein Wachstum.
Zum ersten Einwand: Hinter der Behauptung „Planung in solchen Größenordnungen kann nicht funktionieren“ steckt der Gedanke, dass es naturgegeben eine maximale Größe eines Unternehmens geben muss, über die hinaus Planung nicht mehr machbar sei.
Betrachten wir folgende Beispiele, wo Planung offensichtlich funktioniert: Die Firma Walmart hat 2,1 Millionen Beschäftigte. Neuseeland hat 4,7 Millionen Einwohner, Slowenien 2 Millionen. Amazon hat 840.000 Beschäftigte, VW 643.000. Luxemburg 615.000 Einwohner. Und die Größengrenzen von Unternehmen werden immer weiter hinausgeschoben. Wo liegt also die natürliche Grenze, um planen zu können? Offensichtlich gibt es keine solche. Es braucht lediglich den Willen und kluge Verfahren der Planung.
Zum zweiten Einwand: Die Annahme geht davon aus, dass ein entscheidender Anreiz unseres aktuellen Wirtschaftssystems in der Möglichkeit besteht, die eigene wirtschaftliche Situation durch Leistung außerordentlich zu verbessern. Derartige Anreize können unzweifelhaft auch unter den Bedingungen gesamtgesellschaftlicher Planung klug gestaltet und organisiert werden. Es gibt keinen Grund, dieses anzuzweifeln.
Es geht um ein effizientes Wirtschaftssystem
Das Grundprinzip des Kapitalismus basiert auf dem Credo der Konkurrenz. Gegeneinander sei effizienter als miteinander. Es ist grotesk zu glauben, wir müssten nur heftig genug gegeneinander arbeiten, und dann käme das Beste für alle dabei heraus.
Wäre es nicht weit klüger, wenn wir Menschen uns untereinander abstimmen würden, welche Produkte und Dienstleistungen wir wollen und brauchen, in welcher Form und welcher Menge? Und diese dann in der für uns Menschen verträglichsten Weise bereitzustellen? Das wäre unserer Vernunft angemessen und wirklich effizient.
In meinem Verständnis linker Politik geht es also nicht alleine um eine wirtschaftlich-soziale Randgruppe, die unter den Auswirkungen unseres Wirtschaftssystems leidet, oder um eine Umverteilung von oben nach unten. Es geht um ein effizientes, der überwiegenden Bevölkerungsmehrheit dienendes Wirtschaftssystem.