Kommentar

DAX-Konzerne: Geld verschwenden und Zukunft verbauen

| 24. Juni 2025
IMAGO / photothek

Trotz lauter Klagen über hohe Kosten und Krise sprudeln bei DAX-Konzernen Milliarden – für Aktionäre statt für Löhne und Investitionen. Doch es gibt auch Positivbeispiele aus dem Drogeriemarkt.

Die deutsche Industrie steht vor tiefgreifenden Herausforderungen: Technologischer Wandel, globale Konkurrenz und geopolitische Spannungen sorgen für eine grundlegende Transformation ganzer Branchen. Die öffentliche Debatte ist geprägt von Klagen über hohe Standortkosten, zu hohe Löhne und Steuerlasten. Doch ein genauer Blick auf das Verhalten großer börsennotierter Unternehmen offenbart ein anderes Bild – eines, das den Verdacht nahelegt, dass vorhandenes Kapital nicht etwa zur Zukunftssicherung, sondern zur kurzfristigen Befriedigung von Aktionärsinteressen verwendet wird. Es zeigt sich eine Diskrepanz zwischen öffentlichem Klagen und tatsächlicher Unternehmenspraxis.

Die wirtschaftlich angespannte Lage vieler Unternehmen ist allgegenwärtig: In Medienberichten dominiert eine scheinbare Dauerkrise – ausgelöst durch Digitalisierung, künstliche Intelligenz, disruptive Wettbewerber, geopolitische Konflikte und wirtschaftlichen Strukturwandel. Der Industriestandort Deutschland sei – so ist seit 2024 vermehrt zu lesen – aufgrund hoher Kosten und „überbordender Bürokratie“ gefährdet. Das medial gezeichnete Bild: Deutsche Unternehmen seien aufgrund der hohen Energie- und Lohnkosten nicht mehr wettbewerbsfähig.

Branchen wie Stahl, Automobil oder IT stehen tatsächlich unter enormem Anpassungsdruck. Ihre Marktstellung, Arbeitsplätze und Gewinnerwartungen sind zunehmend bedroht. Insbesondere die deutsche Industrie scheint stark betroffen. Die global veränderte Arbeitsteilung, das Aufbrechen klassischer Wettbewerbsregeln und der Innovationsdruck zwingen Unternehmen zu massiven strategischen Anpassungen. Doch wie reagieren sie?

Grundsätzlich ist der unternehmerische Zweck die sogenannte „Wertschöpfung“. Am Ende des Produktionsprozesses soll ein höherer Wert entstehen, der dann im Verteilungsprozess auf verschiedene Anspruchsgruppen aufgeteilt wird – Lieferanten, Beschäftigte, Kapitalgeber und der Staat.

Dabei sind Interessenkonflikte unausweichlich: Jeder will seinen Anteil erhöhen. Unternehmen steuern diesen Prozess mithilfe von Controlling- und Cash-Flow-Systemen, um die eigene Zukunftsfähigkeit zu sichern. Vor diesem Hintergrund wirken die immer wiederkehrenden Forderungen nach Steuererleichterungen und Lohnzurückhaltung wie ein logischer Reflex – doch wie steht es wirklich um die finanzielle Lage der großen Unternehmen?

Geht es dem DAX schlecht?

Ein Blick auf den Deutschen Aktienindex DAX zeichnet ein anderes Bild: Laut Handelsblatt (Nr. 75 vom 16. April 2025) planen die 40 DAX-Konzerne zusammengenommen in diesem Jahr Aktienrückkäufe in Höhe von 39 Milliarden Euro – eine Rekordsumme. Ein Finanzprofessor wird mit den Worten zitiert, man habe aktuell „keine gute Verwendungsmöglichkeit für das Kapital“. Also solle es lieber an den Markt zurückgegeben werden.

Dividendenzahlungen und Aktienrückkäufe sind Liquiditätsabflüsse, die dem Unternehmen für Zukunftsinvestitionen nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Idee, dieses Kapital etwa durch höhere Löhne oder Investitionen produktiv in die eigene Zukunft zu investieren, scheint dabei nicht vorzukommen.

Daraus lässt sich schließen: Den DAX-Konzernen geht es finanziell offenbar besser als öffentlich dargestellt – oder es fehlt ihnen an Vision und Innovationskraft. In beiden Fällen ist das ein alarmierendes Signal für die deutsche Wirtschaft.

Besonders deutlich wird dies am Beispiel der Mercedes-Benz AG. Trotz enormem Innovationsbedarf in der Automobilindustrie – Stichwort Elektromobilität und internationale Konkurrenz – verteilte das Unternehmen zwischen 2023 und 2024 rund 16,6 Milliarden Euro an Dividenden und Aktienrückkäufen. Gleichzeitig betrugen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung lediglich 19,7 Milliarden Euro. Nimmt man die 2 Milliarden Euro für Abfindungen an ausscheidenden Mitarbeiter hinzu, dann entspricht die Summe der nicht investiven, unproduktiven Geldabflüsse in etwa den Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. So kann man in einer anspruchsvollen Situation im Absatzmarkt, in einer veränderten Umwelt, seine Zukunft wohl kaum sichern.

Noch problematischer ist, dass der Anteil der Investitionen seit 2018 kontinuierlich sinkt, während die Ausschüttungen steigen.

Bereits 2008 beging Mercedes einen ähnlichen Fehler: Kurz vor der Finanzkrise kaufte das Unternehmen 10 % seiner Aktien für 6,2 Milliarden Euro zurück. Wenig später benötigte es frisches Kapital und musste für nur rund 2 Milliarden Euro 9,1 % der Anteile an einen neuen Großaktionär abgeben – ein klassischer Fall von Kapitalvernichtung.

Auch auf Gesamtmarktebene ist das Bild eindeutig:

  • 2023 schütteten die DAX-40-Unternehmen mit 55 Milliarden Euro einen neuen Dividendenrekord aus.
  • 2024 werden voraussichtlich 52,2 Milliarden Euro an Dividenden gezahlt, leicht rückläufig, aber weiterhin auf hohem Niveau.

Zusammen mit den geplanten Aktienrückkäufen bedeutet das eine Kapitalabfluss-Summe von rund 90 bis 100 Milliarden Euro – Geld, das für Innovation, Digitalisierung und strategische Neuausrichtung fehlen wird.

Natürlich haben Aktionäre ein Anrecht auf Rendite. Doch langfristiger Unternehmenserfolg basiert nicht auf kurzfristiger Kapitalausschüttung, sondern auf nachhaltiger Wettbewerbsfähigkeit. Und diese entsteht durch Forschung, Entwicklung und strategische Investitionen. Dass viele Manager deutscher Großunternehmen diese Grundlogik weiterhin ignorieren, könnte sich als folgenschwerer Fehler erweisen.

Der unangepasste Drogerie-Boss

Die Forderungen nach Lohnzurückhaltung sind ebenfalls Ausdruck eines bestimmten „managerialen Mindsets“. Die Beschäftigten werden als Kostenfaktoren gesehen und nicht als Quelle der Wertschöpfung. Das kann man anders sehen: Götz Werner, der Gründer der DM-Markt-Kette, wurde nicht müde zu betonen: er kenne keine Lohnkosten.

Was seine Mitarbeiter aus seiner Sicht bekamen, war ihr verdienter Anteil am gemeinsam Erwirtschafteten. Mitarbeiter waren für Werner keine Kostenfaktoren, sondern Menschen, die gemeinsam das Unternehmensergebnis produzierten.

Im Interview mit dem Bayerischen Rundfunk sagte Werner dazu:

„Meine Kolleginnen und Kollegen in den Filialen sind ja keine Kostenfaktoren […]. Das resultiert eben aus einem riesengroßen Denkirrtum. Es ist doch einfach nicht wahr, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Filialen durch ihre Tätigkeit den Gewinn reduzieren. Nein, sie führen ihn erst herbei“.

Würden die Manager der DAX-Konzerne so denken wie Werner, würden sie nicht ständig Lohnzurückhaltung fordern, sondern den abhängig Beschäftigen ihren fairen Anteil am gemeinsam Erwirtschafteten geben. Denn in der Logik der marxistischen Arbeitswertlehre machen die Worte des DM-Gründers durchaus Sinn: Dementsprechend entsteht der Wert einer Ware durch die eingesetzte Arbeitskraft. Das heißt, der Mehrwert wird durch die Arbeiter geschaffen und steht ihnen somit auch zu. Wenn 100 Milliarden Kapital abfließen, ist dies Geld, das zumindest zu einem Teil den Arbeitern zustehen würde.

Während deutsche Unternehmen in Politik und Gesellschaft regelmäßig um Nachsicht und Unterstützung werben, offenbart ihr Umgang mit dem Kapital ein ganz anderes Selbstverständnis: Statt die Mitarbeiter adäquat zu beteiligen und zukunftsorientiert zu investieren, fließt ein Großteil der Mittel in Dividenden und Aktienrückkäufe. Das Beispiel Mercedes-Benz zeigt, wie gefährlich diese Praxis sein kann – und wie wenig daraus gelernt wurde. Wenn Fairness, Innovationsfähigkeit und zukunftsfähige Unternehmensentwicklung das Ziel sind, müssen deutsche Konzerne ihren Fokus dringend überdenken. Andernfalls droht ihnen nicht nur wirtschaftlicher Rückstand, sondern ein selbst verschuldetes Verpassen der Zukunft.