Außenhandel

US-Zollpolitik: Was kann die Saldenmechanik?

| 25. Juni 2025
@midjourney

Kann oder soll die Saldenmechanik ökonomischen Phänomene erklären? Nein, aber das ist auch gar nicht ihre Aufgabe. Ein Blick auf das chronische Leistungsbilanzdefizit der USA.

Der Urvater der Saldenmechanik, Wilhelm Lautenbach, Ministerialbeamter im Reichwirtschaftsministerium, war ein Praktiker der Wirtschaftspolitik. Trotzdem sind von ihm die allerwichtigsten Anstöße für die Weiterentwicklung der ökonomischen Theorie ausgegangen. Und man liegt nicht falsch, ihn mit Keynes auf eine Stufe zu stellen, wenngleich die Wirkungsgeschichte dies nicht bestätigt hat.

Lautenbach wird folgender Lehrsatz zugeschrieben: „Bist du Volkswirt, so beachte stets des anderen Gegenbuchung.“ Diese Beachtung der Saldenmechanik ist vor allem in der Makroökonomie unerlässlich, weil dort Aggregate betrachtet werden, deren Veränderungen an einer Stelle zwangsläufig mit Veränderungen an anderer Stelle verbunden sind.

Diese Zusammenhänge werden in der Regel mit Gleichungen ausgedrückt. Was der einzelne wirtschaftliche Akteur nicht zu beachten hat – weil seine eigenen Handlungen (zum Beispiel die Auswahl zwischen Ausgaben oder Sparen zu treffen) kaum Auswirkungen in einem größeren Zusammenhang haben –, ist hingegen unverzichtbar, wenn man die großen Aggregate betrachtet.

Die Saldenmechanik erklärt nichts. Sie hilft vielmehr, nichts zu vergessen: bei der Analyse und dem Erklärungsversuch und nicht zuletzt bei der makroökonomischen Zielsetzung.

Der Ausgangspunkt und die wichtigste Triebfeder für die Entwicklung der Saldenmechanik lag in der Herausforderung, die Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu bewältigen. Und in der Erkenntnis, dass weiteres staatliches Sparverhalten die Wirtschaft nur tiefer in die Krise reißen wird.

Beispiel USA: Ist eine ausgeglichene Leistungsbilanz möglich?

So hilft die Saldenmechanik auch bei der Frage, inwieweit die USA überhaupt in der Lage sind, das negative Saldo ihrer Leistungsbilanz vollständig rückzuführen – immerhin das erklärte Ziel der US-Administration unter Donald Trump.

Dabei ist es eine arithmetische Trivialität, dass bei einer ausgeglichenen Leistungsbilanz – also bei einem zukünftigen Saldo von null – die US-Staatsschulden gleich groß sein werden, wie der US-inländische Sparbetrag des Privatsektors (private Haushalte und Unternehmen). Wer nun erklären will, dass sich das Sparverhalten dieses Sektors nicht wesentlich verändern wird, muss zugleich erklären, dass sich die staatliche Verschuldung derselben Periode genau diesem Sparbetrag des Privatsektors anpassen wird.  

Des weiteren wäre zu erläutern, wie der Staat dies umsetzen wird: mittels Reduktion seiner Ausgaben oder Ausweitung seiner Einnahmen oder einer beliebigen Mischung der Veränderung dieser beiden Größen? Das wäre arithmetisch sogar mit einer gleichgerichteten Veränderung der beiden Größen möglich.

Defizite können nur entstehen, wenn es eine Finanzierung gab

Mit anderen Worten: Es geht um die Differenz von Einnahmen und Ausgaben. Jeder einzelne Wirtschafter, ob private Haushalte, Unternehmen oder auch der Staat tätigen jeweils eine bestimmte Menge von Einnahmen und Ausgaben. Subtrahiert man von den Einnahmen die Ausgaben hat man den Leistungsbilanzsaldo. Die Addition aller Leistungsbilanzsalden der einzelnen Wirtschafter eines Landes ist definitionsgemäß immer null, wenn das Land ein in sich abgeschlossener Wirtschaftsraum ist.

Wenn die USA nun einen von null abweichenden Leistungsbilanzsaldo haben, haben sie dem Ausland entweder mehr Leistungen überlassen, als von ihm bezogen zu haben (Überschuss), oder sie haben umgekehrt – und wie es tatsächlich der Fall ist – mehr Leistung bezogen als abgegeben (Defizit). Das alles ist triviale Buchhaltung ebenso wie folgende Gleichung für die gesamte Zahlungsbilanz, die auch die Finanzierungsseite der Angelegenheit erfasst:

Leistungsbilanzdefizit = Kapitalimport + Verringerung der Devisenreserven.

Die Möglichkeit eines Überschusses der Ausgaben über die Einnahmen ergibt sich aus der obigen Gleichung. Niemand kann auf die Dauer mehr ausgeben als einnehmen, wenn ihm keine Devisen zur Verfügung stehen und er keinen Kapitalimport erfährt, also keine Kredite erhält.

Neben der Frage, wie das Defizit möglich wird, steht im Raum, ob bei einzelnen Wirtschaftssektoren eine Art wirtschaftlicher Zwang gewirkt hatte, ihre Ausgaben über ihre Einnahmen hinaus wachsen zu lassen. Diese Frage kann allerdings nur sinnvoll für Wirtschafter gestellt werden, deren Defizit durch ihre positiven Bedingungen auf der Kapitalseite der obigen Gleichung überhaupt möglich war. Viele Defizite auch bei Wirtschaftern in einer Zwangslage unterbleiben schließlich mangels Kasse.

Reservewährung der USA – ein unbeschränkter Devisenschatz

Wenn wir nun auf die US-amerikanischen Sektoren schauen, stellen wir fest, dass ausschließlich der Staatssektor mehr Ausgaben als Einnahmen hatte. Die beiden anderen Sektoren – private Haushalte und Unternehmen – hatten einen Einnahmenüberschuss, der aber bei weitem das Staatsdefizit nicht absorbieren konnte.

Was das eigene Staatsdefizit betrifft, sind die USA in einer privilegierten Situation, weil ihre Währung in den Zentralbanken dieser Welt als Devisenreserve gilt. Das US-Bankensystem kann grundsätzlich das Staatsdefizit finanzieren. Kein Dollar kann das US-Bankensystem verlassen, weil eine US-Banknote auch im Ausland nur eine Forderung gegen die Zentralbank der USA bleibt.

Unterlagen die USA einem Zwang, höherer Ausgaben als Einnahmen zu tätigen, womöglich verursacht durch das wirtschaftliche Gebaren seiner Handelspartner? Das lässt sich nur schwerlich begründen. Sowohl die Ausgaben wie die Einnahmen unterliegen dem direktiven Vorgehen der US-Regierung und des US-Kongresses.

Statt Rückführung der Defizite: 100-jährige US-Bonds?

Der große Aufschub der radikalsten Zollaufschläge um 90 Tage (Ausnahme China) scheint durch den gleichzeitigen Absturz der Börse und des Anleihen-Marktes motiviert. Selbstverständlich kann die Federal Reserve beliebig viele US-Bonds aufkaufen. Sie will aber den Verlust ihrer Kontrolle über die Geldpolitik vermeiden. Ein weiterer Widerspruch in der US-Interessenlage liegt darin, dass ein starker Dollar den weltweiten US-Dominanzanspruch stärkt, zugleich aber auch die Entstehung von Leistungsbilanzdefiziten.

Auch deswegen werden alternative oder die Zölle ergänzende Pläne diskutiert. Sie verdeutlichen die enge Verknüpfung der weltumspannenden amerikanischen Militärdominanz mit dem Problem des Leistungsbilanzdefizits: etwa 100-jährige US-Bonds, die von den „Sicherheits-Partnern“ der USA gehalten werden sollen. Ein Abstoßen dieser Papiere vor ihrer Fälligkeit soll dann automatisch mit zusätzlichen Zollaufschlägen bestraft werden.

Ein solcher Plan scheint immerhin realistischer zu sein als die gleichzeitige Rückführung des US-Leistungsbilanzdefizits, die Senkung der US-Steuereinnahmen und eine Steigerung der Staatsausgaben für die militärischen Vorhaben der USA.

Deutsche Wirtschaftspolitik – in eigenem Interesse

Die deutsche Politik hingegen sollte nicht allein wegen amerikanischer Pressionen, sondern schon aus eigenem Interesse und im Sinne eines starken Europas an einer ausgeglichenen Leistungsbilanz interessiert sein. Der eigene Export sollte kein Selbstzweck sein, sondern um des eigenen Imports willen betrieben werden. Das könnte mit einem stärkeren Binnenkonsum und aussichtsreicher inländischer Investitionen erleichtert werden, die deutsche Sparbestrebungen aufsaugen. Alternativ müsste Deutschland seine Überschüsse zu den US-Rüstungskonzernen tragen.