Des einen Stärke ist die Schwäche der anderen
Vor der Bundestagswahl ist nichts mehr so, wie es mal war. Die deutsche Parteienlandschaft nicht mehr wiederzuerkennen. Bis zuletzt waren die Grünen Motor und Profiteur einer neuen geistig-moralischen Wende. Doch der Höhenflug beruht nicht auf eigener Stärke.
Es ist fast schon eine Plattitüde – die Grünen reiten auf dem Zeitgeist. Einem Zeitgeist, der von der kulturellen Distinktion der gehobenen Mittelschicht getragen und artikuliert wird. Demoskopische Umfragen verdeutlichen, dass die Grünen realistische Chancen haben, sich als stärkste politische Kraft zu etablieren. Seit Annalena Baerbock in zelebrierter Harmonie als grüne Kanzlerkandidatin aufgestellt worden ist, bewegt sich die Partei in der Nähe der 25-Prozent-Marke. So war es zumindest noch im goldenen Mai.
Die Sehnsuchtszahl 25 dürfte große Teile jenes Milieus abdecken, das unter anderem der Soziologe Andreas Reckwitz in seiner Theorie der neuen Mittelklasse beschreibt. Die Grünen, in ihrem Selbstverständnis linksliberal und bürgerlich zugleich, sind das freundliche, bunte Gesicht des politischen Systems. „Vernunft gestaltet geiler“. Sie sind das Angebot an jene, die ihr gutes Gewissen nicht nur im Bio-Supermarkt, sondern auch im Wahllokal befriedigt wissen wollen, keineswegs aber die Weltrevolution herbeisehnen. Bündnis90/Die Grünen, die neue Volkspartei?
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