Nachruf

Leb‘ wohl, Paul Davidson!

| 11. Juli 2024

Paul Davidson, einer der einflussreichsten postkeynesianischen Ökonomen, ist Ende Juni im Alter von 93 Jahren gestorben. Ein Abschied von dem großen Ökonomen und Gründer des Journal of Post Keynesian Economics.

Der amerikanische Ökonom Paul Davidson war das prominenteste Mitglied der "fundamentalistischen Keynesianer" unter den postkeynesianischen Ökonomen, die davon ausgehen, dass der Kern einer richtigen makroökonomischen Theorie in Keynes' General Theory zu finden sei, wenn sie nur angemessen interpretiert werde.

Wie alle anderen Post-Keynesianer auch, sind die „fundamentalistischen Keynesianer“ hartnäckige Kritiker der "neoklassischen Synthese" und ihres IS-LM-Modells, das sie für eine grundlegende Fehlinterpretation der Allgemeinen Theorie halten. Davidson legte die Argumente 1972 in Money and the Real World dar, einem schwierigen Buch, das jedoch sehr klar in einem kurzen Artikel im Economic Journal (März 1972, S. 101–115) zusammengefasst ist.

Davidson kämpfte Zeit seiner akademischen Karriere für die Verbreitung der Einsicht, dass die neoklassische Synthese unvereinbar mit Keynes' grundlegender Annahme ist, dass Produktion und Beschäftigung durch die Nachfrage bestimmt werden, und dass die neoklassische Synthese Says Gesetz („Das Angebot schafft sich seine eigene Nachfrage“) aus der Schublade veralteter Theorien geholt habe. Dies, so argumentierte er, sei unvereinbar mit der kapitalistischen Wirtschaft, in der wir leben, und könne nur für Tauschwirtschaften gelten, in denen Geld keine Rolle spielt.

Davidson war ganz im Gegenteil ein vehementer Verfechter der These, dass Geld im Kapitalismus auch langfristig nicht neutral ist. Dies zeige sich beispielsweise an der Bedeutung des sogenannten „Finanzmotivs“ für das Halten von Cash: Demnach hielten Unternehmen Cash, um sicherzustellen, dass sie ihre Investitionspläne umsetzen können. In einer Welt, die von grundlegender Unsicherheit über die Rentabilität neuer Investitionsprojekte geprägt ist, legten die Firmen Wert darauf, ausreichend liquide Mittel zu halten, um flexibel auf diese Unsicherheiten reagieren zu können. Schon allein dies zeige, dass Geld und finanzielle Entscheidungen einen direkten Einfluss auf die Wirtschaft haben – und Geld mehr als ein neutrales Tauschmittel ist.

Das bedeutet auch, dass die "klassische Dichotomie" nicht aufrechterhalten werden kann: Jede Anstrengung, die Wirtschaft in separate "reale" und "monetäre" Sektoren zu unterteilen, scheitert. Für Davidson führten veränderte monetäre Bedingungen zwingend zu anderen Produktions- und Beschäftigungsbedingungen, während Änderungen des Preisniveaus oft aus Verschiebungen in der "realen" Wirtschaft resultierten – insbesondere aus der Lohnfestsetzung auf dem Arbeitsmarkt. Somit könnten neoklassische Modelle des allgemeinen Gleichgewichts, die auf der Annahme monetärer Neutralität basieren, nur auf nicht-kapitalistische Tauschwirtschaften angewendet werden.

Davidson argumentierte, dass es entscheidend ist, Risiko von Unsicherheit zu unterscheiden, so wie es auch Keynes in der General Theory betont hatte. Risiko ist quantifizierbar und vorhersehbar, während Unsicherheit weder das eine noch das andere ist.

In einer Welt, in der es absolute Sicherheit gibt, wäre es nicht nötig, Verträge in Geldwerten abzuschließen. In der Folge müsste man sich keine Sorgen darüber machen, wie man zukünftige Zahlungen sicherstellt. Aber diese Welt existiert nicht. Laut Davidson leben wir in einer „nicht-ergodischen“ Welt, was bedeutet, dass die Zukunft nicht zuverlässig aus der Vergangenheit abgeleitet werden kann.

Allein in einer ergodischen Welt könnte man im Umkehrschluss davon ausgehen, dass es „vollständige Finanzmärkte“ gibt: Alle zukünftigen Eventualitäten können abgesichert werden, und diejenigen, die diese Absicherungen anbieten, werden niemals ausfallen (oder zumindest könnte man die Wahrscheinlichkeit solcher Ausfälle im Voraus berechnen). In unserer realen, nicht-ergodischen Welt ist dies jedoch nicht möglich, da die Unsicherheiten zu groß sind und sich nicht einfach berechnen lassen.

Eine weitere These, die nach Davidson Keynes' Theorie von der der Mainstream-Ökonomie unterscheidet, ist das Fehlen der vollständigen Substituierbarkeit zwischen Geld und allen anderen Gütern. Dies hat bedeutende Implikationen für die Wirtschaftspolitik: Eine flexible Lohnsenkung sei weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für die Erreichung von Vollbeschäftigung. Letztere erfordere vielmehr staatliches Eingreifen, um zu verhindern, dass die Gesamtnachfrage entweder unzureichend oder übermäßig ist.

Auf internationaler Ebene forderte Davidson die Umsetzung von Keynes' Plan für eine Internationale Clearing-Union. In diesem System würden feste Wechselkurse statt schwankender Wechselkurse gelten, und alle internationalen Zahlungen würden von Regierungen über diese Union abgewickelt. Dadurch würden private Transaktionen im Devisenmarkt eliminiert und sowohl das Volumen als auch der Einfluss der globalen Finanzmärkte stark reduziert. Davidson argumentierte für ein solches System in seinem Buch International Money and the Real World (1982) und als Reaktion auf die globale Finanzkrise von 2008 erneut in seinem letzten Buch The Keynes Solution: the Path to Global Economic Prosperity (2009).

Davidsons makroökonomischer Theorie-Ansatz hat gleichwohl die Kritik einiger Post-Keynesianer hervorgerufen. So zum Beispiel von Kaleckianern, die argumentieren, dass er die theoretischen und politischen Implikationen des Wachstums der Marktmacht ignoriere und seine Schlussfolgerungen nicht auf das oligopolistische System angewendet werden könnten, in dem wir leben. Und Sheila Dow warf Davidson vor, dass sein Verlass auf die Nicht-Ergodizität zu weit gehe. Es gäbe bedeutende Teile des Wirtschaftssystems, die ausreichend stabil sind, um sie so zu behandeln, als ob sie tatsächlich ergodisch wären. Keynes' eigene Erkenntnistheorie, so Dow, führe zu der wichtigen Schlussfolgerung, dass Wirtschaftssubjekte in einer Vielzahl von Kontexten Konventionen und Gewohnheiten entwickeln, die mit Unsicherheit umgehen und die Probleme der Nicht-Ergodizität beseitigen.

Hier entstehen einige sehr große methodologische Fragen mit potenziell signifikanten Rückschlüssen für die post-keynesianischen Theorien von Geld und Geldpolitik.

Abschließend noch eine persönliche Anmerkung: Ich traf Paul nur einmal, aber er beeindruckte mich sehr. Dies war 1993, als ich eine vom Australian Research Council finanzierte Weltreise unternahm, um prominente Post-Keynesianer in Europa und Nordamerika zu interviewen. Dies führte mich nach Nashville, Tennessee, wo Paul mir viel von seiner Zeit widmete, obwohl er nichts von mir wusste und meine Forschung zur Geschichte des Post-Keynesianismus kaum begonnen hatte. Das Interview wurde in meinen Conversations with Post Keynesians (1995) veröffentlicht – für alle Leser ein Dokument dafür, wie offen, entgegenkommend und verständnisvoll Paul mit mir war. Es war eine gute Erfahrung.