Editorial

Krieg an mehreren Fronten

| 06. Juli 2021
istock.com/Nadezhda Kharitonova

Liebe Leserinnen und Leser,

wir hatten es schon in vorangegangenen Ausgaben erwähnt: Die Weimarer Republik ist momentan wieder ein besonders beliebter Referenzpunkt. Wenn Ökonomen oder Politiker davor warnen, die Geldpolitik der EZB werde zu einer massiven Geldentwertung führen, dann oft mit einer Analogie zu Weimar. Hatte die Hyperinflation nicht eine wichtige Rolle für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie gespielt?

Tatsächlich ist die Sache komplizierter. Zur Hyperinflation kam es in den Jahren 1922/23, also etwa ein Jahrzehnt vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler. Dagegen war der unmittelbare wirtschaftliche Kontext des Aufstiegs der Nationalsozialisten ‒ die Weltwirtschaftskrise von 1932 ‒ gerade nicht von Inflation, sondern von Deflation geprägt.

Um diesem Missverständnis tiefer auf den Grund zu gehen, hat Lukas Haffert in einer Forschungsarbeit mit zwei Kollegen gut 2000 Deutsche zu Ihren Vorstellungen von der Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik befragt. Von den Teilnehmern wollten sie wissen, unter welchen Problemen die deutsche Wirtschaft während der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er-Jahre litt. Die Ergebnisse waren bemerkenswert: Viele Deutsche können nicht zwischen Weltwirtschaftskrise und Hyperinflation unterscheiden, sondern halten beide für Aspekte derselben Krise. So nannten ca. 40 Prozent der Befragten Inflation bzw. ähnliche Begriffe wie „Hyperinflation“ oder „Geldentwertung“ als ein Symptom der Weltwirtschaftskrise. Dagegen verband nur einer von 25 Befragten die frühen 1930er-Jahre mit einem sinkenden Preisniveau. Das deutsche Trauma basiert auf einem historischen Missverständnis, mit dem sich heute hervorragend Demagogie betreiben lässt.

Doch wenn wir von Preisblasen sprechen wollen, die aktuell der Rede wert sind, sollten wir auf den Immobilienmarkt schauen. Dass dort die Preise gerade durch die Decke gehen, weiß jeder Wohnungssuchende in den Innenstädten und strukturstarken Regionen. Das liegt aber nicht (nur) am knappen Wohnraum, wie Dirk Bezemer konstatiert, sondern vor allem an der exorbitanten Geldmenge auf dem Wohnungsmarkt. Schuldensubventionierung durch Hypothekenzinsabzug, Steuerfreiheit auf Wertsteigerungen und steigende Renditen treiben die Preise nach oben. Oder anders formuliert: Zu viele Menschen sind mit zu hohen Preisen konfrontiert.

Für einfache Mieter, diejenigen ohne Vermögensbesitz und solche, die noch in einem durchschnittlichen Job bis zur Rente arbeiten und für diese sparen müssen, zieht sich die Schlinge immer enger um den Hals. Denn hinzu kommt die drohende Altersarmut, die längst ein weiteres offenkundiges Problem ist. Nur was haben die Parteien in ihren Wahlprogrammen als Lösungen anzubieten? Sprechblasen, schreibt Hartmut Reiners. In ihren Rentenkonzepten, die keine sind, wärmen CDU/CSU, Grüne und FDP die Idee einer kapitalgedeckten Zusatzrente wieder auf. Die Riester-Rente soll durch einen neuen kapitalgedeckten Rentenfonds abgelöst werden. Die Union nennt ihn Generationenrente, die Grünen Bürgerfonds, und die FDP enkelfitte Aktienrente. Hinter diesem Wortgeklingel verbergen sich keine effektiven Konzepte zur Vermeidung von Altersarmut, so Reiners, sondern substanzlose Abkündigungen oder Varianten eben jener gescheiterten Riester-Rente.

Auch sonst sind die Unterschiede zwischen den Parteien überschaubar ‒ insbesondere zwischen CDU/CSU und Grünen, wie Paul Steinhardt weiß. Nicht nur wirtschaftspolitisch unterscheiden sie sich in Nuancen, auch außenpolitisch sind vor allem Union und die ehemalige Partei des Pazifismus gleichermaßen bereit, „Verantwortung in der Welt“ zu übernehmen. Das heißt nichts anderes, dass „Frieden“ geradezu erfordert, mit den Säbeln zu rasseln. „Frieden, Freiheit und Menschenrechte“ müssten gegen das Böse, insbesondere gegen autoritäre Staaten wie China und Russland, behauptet werden.

Dumm nur, dass „das Böse“ längst im Innern der EU haust. In einem Kulturkampf streiten Konservative, Rechtsliberale und Nationalisten um die Europapolitik. Casus Bellus ist der Brüsseler „Superstaat“. Und die Rechte in der EU formiert sich gerade neu, wie Eric Bonse weiß: 16 Parteien ‒ von Marine Le Pens „Rassemblement National“ bis zu Matteo Salvinis „Lega“ ‒ wollen ein Bündnis eingehen, um sich in Brüssel mehr Gehör zu verschaffen. „Wir haben ein ernstes Problem“, sagte Kanzlerin Merkel nach ihrem wohl letzten EU-Gipfel in Brüssel. Die „immer engere Union“ sei kein Konsens mehr, selbst auf die gemeinsamen Werte könne man sich nicht verlassen.