Gefährdet Trump unsere Arzneimittelversorgung?
Donald Trump will die US-Pharmaindustrie dazu zwingen, ihre Präparate in den USA zum niedrigsten Preis zu anzubieten, den sie in anderen Ländern verlangen. Kommen auf uns bald so hohe Medikamentenpreise wie in den USA zu?
Das Preisniveau für Arzneimittel ist in den USA dreimal so hoch wie in den OECD-Staaten. Donald Trump will die europäischen Hersteller zwingen, ihre Produkte in den USA zu den in Europa geltenden Preisen zu verkaufen. Das würde laut Trump „fast sofort“ dazu führen, dass die US-Amerikaner diese Medikamente um 80 Prozent billiger als zuvor bekämen.
Das ist zwar, wie bei Trump üblich, ein nicht einzuhaltendes Versprechen, aber die Berliner Zeitung wittert Gefahr und bringt die Schlagzeile: „Müssen wir bald so viel für die Medikamente wie in den USA bezahlen?“ Sie bezieht sich dabei auf Stimmen aus der deutschen Pharmaindustrie, die Trumps Maßnahme begrüßen. Dorothee Brakmann, Hauptgeschäftsführerin des Dachverbandes Pharma Deutschland behauptet, in Deutschland gebe es „Niedrigpreise“, die zu Störungen in der Arzneimittelversorgung geführt hätten. Ins gleiche Horn stößt der Präsident des Apothekerverbandes ABDA Thomas Preis. Es bestehe die Gefahr, „dass sich die ohnehin existierenden globalen Engpässe weiter verschärfen.“
Hier werden Nebelkerzen geworfen und Halbwahrheiten verbreitet mit dem Ziel, die Regulierung der Arzneimittelpreise in Deutschland aufzuweichen. Leider hat es die Berliner Zeitung versäumt, auf die Mechanismen des deutschen Arzneimittelmarkts näher einzugehen. Aber das hätte ihr die Story von einer aus den USA kommenden Bedrohung unserer Arzneimittelversorgung verdorben.
Seit 40 Jahren hat die Politik versucht, mit einem differenzierten Instrumentarium die Marktmacht der Pharmaindustrie einzugrenzen. Sie war damit zunächst erfolgreich, aber die großen Konzerne reagierten darauf stets mit neuen Geschäftsmodellen, die ihnen riesige Profite sicherten.
Festbeträge und Rabattverträge
Bis Ende der 1980er Jahre gab es in Deutschland keine nennenswerten Regulierungen der Arzneimittelpreise, sondern nur eine Liste von Bagatellarzneimitteln und Präparaten mit fragwürdiger Wirksamkeit, die von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nicht bezahlt wurden. Aber sonst bekamen die Hersteller für alle verordneten Präparate den von ihnen verlangten Preis. Mit dem Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hatte sie eine mächtige Lobby, die großen Einfluss im Bundestag hatten, insbesondere in der FDP.
Der CDU-Sozialminister Norbert Blüm wagte es in den 1980er Jahren als erster maßgeblicher Politiker, sich mit ihr anzulegen. Um die von ihm geplante Einführung einer sozialen Pflegeversicherung zu finanzieren, führte er ein die Arzneimittelkosten senkendes Festbetragssystem für Präparate mit den gleichen Wirkstoffen oder der gleichen Wirksamkeit ein. Als Richtgrößen dienen Durchschnittspreise für die verschiedenen Festbetragsgruppen. Liegt der Preis eines dazu gehörenden Präparats über diesem Betrag, müssen die Versicherten die Differenz zahlen.
Das Festbetragssystem wälzte nicht nur den Arzneimittelmarkt um, sondern rüttelte auch die Pharmaindustrie in Deutschland durcheinander. Die Hersteller mussten sich zum ersten Mal Gedanken über ihre eigene Wirtschaftlichkeit machen. Hinter den Kulissen gestanden führende Vertreter der großen Pharmakonzerne, dass die Festbeträge sinnvolle Maßstäbe für die Effektivität und Effizienz in der Arzneimittelindustrie gesetzt und zu einer längst überfälligen Marktbereinigung geführt hätten. Big Pharma gründete mit dem Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) seinen eigenen vom BPI unabhängigen Interessenverband.
Die Krankenkassen erhielten ab 2003 mit den Rabattverträgen ein weiteres Instrument zur Steuerung der Arzneimittelausgaben, das in den folgenden Jahren ausgebaut wurde. Der Wido-Arzneimittelindex zeigt, dass mittlerweile, gemessen an der Menge der auf Kosten der GKV verordneten Tagesdosen (DDD), 93,5 Prozent der Arzneimittel auf nicht patentgeschützte Präparate entfallen. Mit Generika lässt sich zwar weiterhin Geld verdienen, aber bei weitem nicht so viel wie mit patentgeschützten Präparaten.
Die auch in anderen europäischen Ländern eingeführten Festbetragssysteme haben den Preiswettbewerb auf dem Generikamarkt verschärft und zu einer globalen Konzentration der Wirkstoffproduzenten geführt. Insofern ist die Warnung des ABDA-Präsidenten Reis vor einer durch Oligipole verursachte Knappheit an Wirkstoffen berechtigt. Aber dieses Problem hat nichts mit dem von Trump beklagten US-Import von europäischen Arzneimitteln zu tun.
Für die Grundversorgung wichtige Wirkstoffe wie Amoxillin (Atemwege), Ibuprofen (Schmerzmittel), Metformin (Diabetes) oder Ramipiril (Bluthochdruck) werden nur noch von zwei oder drei Produzenten – zumeist aus China oder Indien – angeboten, was zu Engpässen bei Standardmedikationen in ganz Europa geführt hat. Dieses Problem kann mit den Instrumenten einer nationalen Gesundheitspolitik nicht gelöst werden, sondern nur auf EU-Ebene mit einer entsprechenden Bevorratung und Marktsteuerung.
Strategien von Big Pharma
Die global aufgestellten Pharmakonzerne wie Novartis, Pfizer, Sanofi oder GSK und auch die deutschen Großhersteller wie Boehringer, Bayer oder Merck interessiert der Generikamarkt schon lange nicht mehr. Sie haben diese Produktsparten verkauft oder in eigenen Aktiengesellschaften an die Börse gebracht. Ihr Geschäftsmodell hat sich auf die Entwicklung neuer Wirkstoffe konzentriert, insbesondere in der Onkologie und Neurologie sowie im Sektor der seltenen Krankheiten („orphan drugs“).
Damit lässt sich richtig Geld verdienen. Gemessen an der Menge der verordneten Tagesdosen (DDD) von Arzneimitteln fielen 2021 93,5 Prozent auf die Nicht-Patentarzneimittel und nur 6,5 Prozent auf die Patentarzneimittel, die aber fast die Hälfte der GKV-Arzneimittelausgaben ausmachen.
Auf die Einführung der Festbeträge und Rabattverträge reagierten die Pharmahersteller zunächst mit einem einfachen Trick. Sie versuchten, die Festbetragsregelungen durch Scheininnovationen („Me-too“-Präparate) zu umgehen, die nur neue Molekülvariationen brachten, aber keinen Zusatznutzen. Solche Fakes hebelte ausgerechnet der Gesundheitsminister Daniel Bahr aus, der als FDP-Mann eigentlich als Freund von Big Pharma galt. Aber die dubiose Produktpolitik der Pharmaindustrie ging selbst ihm zu weit.
Mit dem 2011 in Kraft getretenen Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) wurde eine Nutzenbewertung von neuen Patentwirkstoffen eingeführt. Haben diese gegenüber vorhandenen Präparaten im gleichen Indikationsbereich keinen zusätzlichen therapeutischen und wirtschaftlichen Nutzen, werden sie dem Festbetragssektor zugeordnet. Darüber befindet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mit Unterstützung eines ihm unterstehenden Instituts (IQWiG). Der G-BA hat die Aufgabe, den im Sozialgesetzbuch V nur allgemein formulierten Grundsatz zu konkretisieren, dass die GKV nur Leistungen mit erwiesener medizinischer Evidenz bezahlt. Er hat daher auch den Beinamen „kleiner Gesetzgeber“.
Die wichtigste Neuerung des AMNOG war die Einführung von Preisverhandlungen zwischen den Herstellern und der GKV im Bereich der Patentarzneimittel, deren Ergebnisse auch für die Private Krankenversicherung gelten. Hat der G-BA neuen Präparaten einen Zusatznutzen gegenüber vorhandenen Arzneimitteln bestätigt, tritt der GKV-Spitzenverband mit den Herstellern in Preisverhandlungen, die nach einem Jahr abgeschlossen sein müssen. Können sich beide Seiten nicht einigen, entscheidet eine Schiedsstelle.
Dieses in anderen EU-Ländern schon länger übliche Verfahren war ein Fortschritt, hatte aber für die GKV keine größeren Ausgabensenkungen zur Folge. Dafür gibt es mehrere Gründe, die hier nicht detailliert aufgeführt werden können. Kernproblem ist die Regelung, dass im ersten Jahr nach der Zulassung eines neuen Präparates der Markteintrittspreis der Hersteller gilt, dessen Höhe sich an deren Interessen und Erwartungen orientiert.
Riesenprofite mit wenigen Therapiegebieten
Mit der Konzentration auf neue und profitträchtige Arzneimitteltherapien haben die großen Konzerne großen Erfolg, wie der WIdO-Arzneimittelindex zeigt: Seit 2011 hat sich der durchschnittliche Packungspreis für Fertigarzneimittel nur geringfügig erhöht, was vor allem auf den Generikamarkt und die Rabattverträge zurückzuführen ist. Bei den Patentarzneimitteln, die nur etwa 6 Prozent der verordneten Präparate, ausmachen hat sich dagegen der Durchschnittspreis allein zwischen 2018 und 2022 von ca. 2.500 auf knapp 15.000 Euro erhöht. Die Preise für neu eingeführte Patentpräparate haben eine regelrechte Preisexplosion erlebt von durchschnittlich ca. 5000 Euro auf ca. 50.000 Euro.
Dabei spielen Arzneimittel für seltene Krankheiten („orphan drugs“) eine besondere Rolle. In dem Bereich gehen die Therapiekosten pro Fall schon mal in den siebenstelligen Bereich. Hier versagt das mit dem AMNOG eingeführte Instrument der Nutzenbewertung grundsätzlich, weil die Fallzahlen dafür zu gering sind. Die Therapien schlagen zudem in jedem Einzelfall anders an, ohne dass man weiß, weshalb das so ist. Diese Probleme lassen sich nur durch eine Risikoteilung zwischen den Herstellern und den Kostenträgern angehen. Aber dafür müssten die Pharmakonzerne ihre Kostenstrukturen und Forschungsstrategien offenlegen, wozu sie nicht bereit sind.
Ausblick
Der Arzneimittelmarkt hat sich bei den Patentarzneimitteln zu einem globalen Rattenrennen entwickelt. Wer als erster Hersteller in bestimmten Therapiegebieten ein neues Präparat mit patentgeschütztem Wirkstoff auf den Markt bringen kann, verfügt bis zum Erlöschen des Patentschutzes nach zumeist 20 Jahren über eine ergiebige Bonanza, während die Konkurrenz ihre entsprechenden Investitionen abschreiben bzw. auf die Entwicklungskosten für andere Patentarzneimittel überträgt. Das ist auch eine Ursache der geschilderten enormen Preissteigerungen in diesem Segment des Pharmamarktes.
Dabei investieren die Pharmakonzerne weniger in die eigene Forschung, sondern vor allem in von ihnen finanzierte Start-ups und eine für beide Seiten lukrative Kooperation mit Unikliniken und deren Tochtergesellschaften. Spektakuläres Beispiel für diese Strategie ist die Kooperation des mit der Universität Mainz verbundenen Forschungsunternehmens Biontec mit dem US- Pharmariesen Pfizer bei der Entwicklung eines Covid 19-Impfstoffs.
Die wachsende Abhängigkeit der akademischen Forschung von der Pharmaindustrie ist ein auf nationaler Ebene kaum lösbares Problem. Daran wird sich auch nichts ändern, solange im US-Gesundheitswesen weiterhin eine großenteils unkontrollierte Preispolitik betrieben wird und man sich in Europa nicht auf eine gemeinsame Strategie zur Kontrolle des Arzneimittelmarktes einigen kann.
Die von der Berliner Zeitung heraufbeschworene Gefahr, dass uns amerikanische Verhältnisse auf dem Arzneimittelmarkt drohen, ist jedoch ein haltloses Szenario. Trump wendet sich mit seinen Maßnahmen gegen Arzneimittelimporte aus Europa nur vordergründig gegen die europäische Pharmaindustrie.
Unter den hohen Arzneimittelpreisen in den USA leidet seine Anhängerschaft in den Unter- und Mittelschichten. Sie haben vor allem in den Staaten des Bible-Belts keine ausreichende Krankenversicherung. Das ist einer der Gründe für den enorm hohen Verbrauch an Schmerzmitteln in den USA, der ein epidemisches Maß angenommen hat.
Trumps Ankündigung der Bestrafung europäischer Arzneimittelexporteure ist ein politisches Placebo für die MAGA-Fans und keine Bedrohung für die Arzneimittelversorgung in Europa, wie die Berliner Zeitung befürchtet. Keine deutsche Regierung, die ihre Sinne beisammenhat, wird eine Preisanhebung bei Arzneimitteln in Erwägung ziehen, nur um damit die Exporte unserer Pharmaindustrie in die USA zu sichern.