Kapitulation auf Raten
US-Präsident Trump hat der EU den Handelskrieg erklärt und mit noch höheren Zöllen gedroht. Doch statt sich endlich zu wehren, setzen Berlin und Brüssel weiter auf Verhandlungen. Woran liegt das? Es gibt drei mögliche Erklärungen, eine heiße Spur führt nach Deutschland.
Stellen Sie sich vor, Ihr wichtigster Kunde ändert über Nacht die Geschäftsbedingungen - zu Ihren Ungunsten. Sie treten in Verhandlungen ein, verzichten auf Gegenmaßnahmen, um eine Einigung zu erleichtern, und treffen sich mit zwei Unterhändlern. Doch am Ende müssen Sie feststellen, dass der Kunde alle Absprachen ignoriert und Ihnen noch schlechtere Konditionen aufbrummen will.
Das kann nur einem blutigen Anfänger passieren, sollte man meinen. Weit gefehlt: Genau das ist der EU-Kommission in den Handelsgesprächen mit US-Präsident Donald Trump unterlaufen. Im April hatte Trump der EU noch mit einem pauschalen Zoll von 20 Prozent auf alle Exporte in die USA gedroht. Vier Monate und ungezählte Verhandlungsrunden später verlangt er 30 Prozent.
Zehn Prozent Aufschlag und Bruch aller Absprachen: Das kann man schon eine Kriegserklärung nennen. Vor allem von einem Mann, der wie Trump behauptet, die EU sei der ärgste Feind der USA - und noch dazu ständig neue Fronten eröffnet: In der NATO, in der Steuer- und Energiepolitik oder bei der Internet-Regulierung versucht Trump ebenfalls, die Europäer über den Tisch zu ziehen.
Doch statt den Handelskrieg beim Namen zu nennen und sich gegen die illegalen Praktiken zu wehren, erklärt EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, dass sie weiter verhandeln will. Man sei kurz vor einem Deal, beschwichtigt ihr Handelskommissar Maros Sefcovic. Ein einziger Brief von Trump könne doch nicht die wochenlangen Zollgespräche zunichtemachen.
Geht’s noch? Hat die EU den Schuss immer noch nicht gehört? Oder gibt es keine vernünftige Alternative zu weiteren Verhandlungen, wenn man ein faktisches Handelsverbot – darauf läuft ein 30-Prozent-Zoll nach Ansicht von Experten hinaus – verhindern will? Es dürfte niemanden überraschen, dass die meisten EU-Politiker die zweite Antwort bevorzugen.
Sie wollen verhandeln, bis der Arzt kommt – pardon: Bis Trump einlenkt. Doch darauf kann die EU lange warten. Der bisherige Verlauf des Handelskriegs der USA gegen den Rest der Welt zeigt, dass sich Erfolge nur aus einer Position der Stärke erkämpfen lassen. China hat dies vorgemacht. Die Regierung in Peking leistete Widerstand und drückte den Zollsatz von 145 auf 30 Prozent.
Die EU verfolgt den umgekehrten Ansatz: Sie versucht es mit Appeasement und weicht immer weiter zurück. Zu Beginn der Zollgespräche wollten die Europäer noch Freihandel, wenigstens bei Industriegütern. Dann richteten sie sich auf einen pauschalen Zoll von 10 Prozent ein – mit sektoralen Ausnahmen etwa für die Autoindustrie, Stahl und Aluminium oder Pharma.
Und nun? Das Ziel liegt im Dunkeln, es gibt nicht einmal eine „Landing Zone“. Nur Trump scheint ein Ziel vor Augen zu haben. Wenn man sich auf der Mitte trifft – also zwischen zehn und 30 Prozent, wie in seinem jüngsten Brief an von der Leyen – würde es auf 20 Prozent hinauslaufen, wie er von Anfang an gefordert hat. Für die EU wäre es ein Scheitern auf der ganzen Linie.
Für dieses Ziel hätte man sich Verhandlungen sparen können, schließlich stand es von vornherein fest. Um einen besseren Deal herauszuschlagen, müssten die Europäer ihre Gegenwehr stärken. Doch auch hier tun sie das Gegenteil. Fertige Gegenzölle für den Stahl- und Aluminiumsektor wurden auf Eis gelegt. Ein zweites Strafpaket wurde von 95 auf 72 Milliarden Euro abgesenkt.
Schlimmer noch: Die EU will offenbar auf ihre wirksamsten Waffen verzichten. Eine Digitalsteuer, die Trump offenbar besonders fürchtet, weil sie seine Buddys in den Tech-Konzernen treffen würde, ist kein Thema mehr. Und das Anti-Coercion-Instrument, das für Handelskriege à la Trump vorgesehen war, will von der Leyen nicht nutzen. „So weit sind wir noch nicht“, meint sie.
Nimmt man alles zusammen, läuft es auf eine Kapitulation auf Raten hinaus. Die Europäer strecken die Waffen, Gegenwehr leisten sie nur auf dem Papier. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Eine mögliche Erklärung ist, dass die EU erpressbar geworden ist. Aus Angst vor Russland und zum Schutz der Ukraine will sie Trump bei der Stange halten – koste es, was es wolle.
Für diese These spricht die Geschwindigkeit, mit der Deutschland, Dänemark und andere EU-Länder in Trumps jüngsten Waffen-Deal eingewilligt haben: Die Europäer zahlen, die Amerikaner liefern Patriots und andere Systeme in die Ukraine. Dieser Deal kam kurz nachdem Trump seinen Zollhammer ausgepackt hat. Das zeigt, wie dreist er vorgeht – und wie willig die EU einknickt.
Eine andere Erklärung wäre, dass sich die Verhandlungen nicht so sehr um Zölle drehen, sondern um andere, sachfremde Themen: Flüssiggas, Waffen und digitale Dienste aus den USA. Darauf gibt es viele Hinweise in Brüssel. Derweil hört man aus Washington, dass Trump die Gespräche auch als Druckmittel nutzen möchte, um die EU auf knallharten Anti-China-Kurs zu bringen.
Und dann wäre da noch eine dritte These: Die EU ist zu zerstritten, um sich energisch gegen Trump zu wehren. Auch dafür sprechen einige Indizien. Besonders auffällig verhält sich Deutschland – immer wenn es ernst wird, kneift das größte EU-Land. Sucht Bundeskanzler Friedrich Merz einen nationalen Deal, vielleicht für die Autoindustrie? Auf jeden Fall steht er auf der Bremse.
Dabei hatte Merz zu Amtsbeginn einen schnellen Abschluss gefordert. Denn jeder Tag ohne Einigung kostet die deutsche Wirtschaft Milliarden. Schon jetzt kassieren die USA für alle europäischen Exporte pauschal 10 Prozent Zoll, für Autos und Autoteile 25 Prozent, für Stahl und Aluminium sogar 50 Prozent. Merz nimmt es klaglos hin – auch das ist eine Kapitulation auf Raten.