Kipppunkte für die Klimapolitik

Die Eigenschaft, dass sich Prozesse selbst verstärken, gilt nicht nur für den Rückgang des Meereises oder die Popularität von TikTok, sondern auch für Märkte und Volkswirtschaften.

Das Jahr 2023 ist gerade einmal zur Hälfte vorüber. Schon jetzt werden Befürchtungen geäußert, dass es ein Kippjahr für das Klima ist. Die Berichte über Überschwemmungen, Brände, Hitzewellen, schmelzendes Meereis und warmes Meerwasser sind nicht mehr zu überblicken. Die Klimawissenschaftler sind von der Geschwindigkeit des Wandels überrascht. Die Ungenauigkeit der Modellrechnungen, auf die sich die Klimaskeptiker oft berufen, scheint auch in die andere Richtung zu wirken. Die Erwärmung vollzieht sich schneller und anders als erwartet.

Genau so sieht ein Kipppunkt aus: die Beschleunigung einer Entwicklung, wie in der logistischen Wachstumskurve, die alle biologischen und sozialen Prozesse – also auch wirtschaftliche Prozesse – kennzeichnet. Denn die Eigenschaft, dass sich Prozesse selbst verstärken, gilt nicht nur für den Rückgang des Meereises oder die Popularität von TikTok, sondern auch für Märkte und Volkswirtschaften. Der Anstieg des globalen Bruttoinlandsprodukts in den letzten zweitausend Jahren sieht aus wie ein Hockeyschläger: Die Kurve ist bis etwa 1750 fast flach und steigt dann mit immer größerer Steigung an, bis sie fast senkrecht nach oben geht. Das ist bedrohlich, denn die Beschleunigung von Konsum und Produktion seit der industriellen Revolution lässt nun das Meereis schmelzen. Vielleicht aber auch hoffnungsvoll, denn Nachhaltigkeit ist auch ein Marktprozess und hat somit ebenfalls Kipppunkte.