Reaktorforschung

Transmutation statt Endlager-Suche?

| 13. August 2025
Atom-Zwischenlager in Ahaus (IMAGO / Funke Foto Services)

Kann man auch in Deutschland an einem Transuran-Verbrenner forschen?

Sie haben vielleicht Schlagzeilen gesehen wie diese hier: Neuer Reaktortyp verbrennt Atommüll. Deutsche Ingenieure beteiligt. Eine Story, die grundsätzlich Substanz hat. Es ist denkbar, die Transurane, die einen wesentlichen Anteil des langlebigen Atommülls ausmachen, in speziellen Reaktortypen zu verbrennen.

Mit ‚Verbrennung‘ ist hier nicht die chemische Oxidation dieser Elemente gemeint, sondern ihre kerntechnische Aufspaltung in andere Elemente, deren Halbwertszeit wesentlich geringer ist. Es bietet es sich an, die Forschung an einem solchen Transuran-Verbrenner auch in Deutschland zu verfolgen – nicht zur Stromerzeugung, sondern um dadurch die Kontroverse um den Endlager-Standort zu entschärfen.

Varianten des Transuran-Verbrenners

Man kann Atommüll nicht nur nach seiner Radioaktivität, sondern auch nach seinem Ursprung klassifizieren. Die abgebrannten Kernbrennstäbe enthalten einerseits die Spaltprodukte, also jene Isotope, die entstehen, wenn die nukleare Kettenreaktion einen Atomkern spaltet. Und andererseits die Transurane, die entstehen, wenn ein Atomkern, wie der von Uran-238, ein Neutron absorbiert, und dann zu einem Element mit einer höheren Ordnungszahl wird, in diesem Fall zu Plutonium-239. Die Transurane habe eine lange Halbwertszeit, sind allerdings spaltbar, und ließen sich grundsätzlich zur Energiegewinnung in einem Kernreaktor verwenden.

Das Problem mit den Transuranen war ein Argument von Alvin Weinberg (siehe meinen früheren Artikel) für den Thorium-Flüssigsalzreaktor. Bei diesem Reaktor entstehen viel weniger langlebige Transurane, weil nicht Uran-235 (oder Plutonium) als ‚Brennstoff‘ verwendet wird, sondern das aus Thorium-232 erbrütete Uran-233. Die Entwicklung des Thorium-Flüssigsalzreaktor wurde jedoch Anfang der 1970er zu Gunsten des mit Natrium gekühlten Schnellen Brüters aufgegeben.

Das Konzept wurde dann 2011 wiederbelebt, als mit Flibe Energy (von Kirk Sorensen) und Transatomic Power (von Leslie Dewan) Tech-Startups gegründet wurden, um einen Flüssigsalzreaktor zu verwirklichen. Inzwischen gibt es Dutzende ähnlicher Startups, was die Debatte um Atomkraft international wiederbelebt hat. Es bleibt jedoch stark zu bezweifeln, ob einer dieser neuen Reaktortypen (oder ein Neudesign der bereits entwickelten) für die Stromerzeugung preislich mit der extrem kostengünstig gewordenen Solar- oder Windenergie konkurrieren können. 

Ein Flüssigsalzreaktor ließe sich jedoch auch mit Transuranen betreiben. Transatomic Power ist zwar damit gescheitert, einen sogenannten Waste-Burner-Flüssigsalzreaktor entwickeln, zwei andere Firmen jedoch, die dies weiterverfolgen, sind Copenhagen Atomics in Dänemark und Moltex Energy in Kanada. Copenhagen Atomics plant einen Thorium-Flüssigsalzreaktor, als sogenannten Small Modular Reactor (SMR). Um die nukleare Kettenreaktion zum Laufen zu bringen, würde Copenhagen Atomics dabei die Transurane aus dem Atommüll verwenden, und der Reaktor würde deutlich mehr Transurane verbrauchen, als er erzeugt.

Flüssigsalz ist als Kühlmittel besser geeignet als Wasser, oder das leicht entflammbare, flüssige Natrium. Eine andere Option als ein Kühlmittel ist flüssiges Blei, gegebenfalls in einer Mischung mit Bismuth. Ein Blei-Bismut-Reaktor, der radioaktiven Abfall transmutieren soll, ist – unter dem Akronym MYRRHA – in Belgien im Bau. Ein weiteres Reaktordesign, der Dual-Fluid-Reaktor, würde im Kühlkreislauf flüssiges Blei verwenden; dies ist das Entwicklungsprojekt, bei dem deutsche Ingenieure beteiligt sind. Die Firma Dual Fluid plant einen Demonstrationsreaktor in Ruanda, hat aber ihren Sitz in Berlin.

Zur Beschreibung von Reaktoren, die Transurane als Brennstoff nutzen, wird oft der Begriff ‚Transmutation‘ verwendet; Transmutation bezieht sich jedoch allgemein auf die Umwandlung eines chemischen Elements in ein anderes – und dies kann nicht nur durch die Spaltung eines Atomkerns geschehen, sondern auch durch Neutroneneinfang. Insbesondere für Technetium-99 ist das relevant, ein Spaltprodukt der nuklearen Kettenreaktion mit einer Halbwertszeit von 210.000 Jahren, welches sich durch Neutroneneinfang in wertvolles Ruthenium transmutieren ließe. Als Neutronenquelle ließe sich auch ein Teilchenbeschleuniger verwenden.

Die technologischen Herausforderungen

Auch MYRRHA verwendet ein Teilchenbeschleuniger. Es handelt sich um einen unterkritischen Reaktor, der auf die damit erzeugten zusätzliche Neutronen angewiesen ist, um die Kettenreaktion aufrecht zu erhalten. Das deutsche Startup Transmutex forscht ebenfalls an einem unterkritischen Reaktordesign. Dabei ergibt sich jedoch eine spezielle technologische Herausforderung. Die bestehenden, für wissenschaftliche Forschung konzipierten Teilchenbeschleuniger sind nicht für kontinuierlichen Betrieb und Zuverlässigkeit ausgelegt; bei dem Reaktor darf der Teilchenbeschleuniger aber nicht länger als 3 Sekunden ausfallen, ansonsten fährt er für 24 Stunden herunter. Ein entsprechend zuverlässiger Teilchenbeschleuniger muss erst noch entwickelt werden.

Die Entwicklung der neuen Reaktordesigns hat eine weitere technologische Herausforderung. Um zu testen, wie gut die verwendeten Materialen den extremen Bedingungen im Reaktorkern gewachsen sind, müssen Demonstrationsreaktoren betrieben werden – wie der von Dual Fluid in Ruanda. Copenhagen Atomics plant den Small Modular Reactor in ihrer Werkstatt in Kopenhagen zusammenzubauen, und dann in einem anderen Land zu testen. Das Wartungsproblem wird bei SMRs jedoch nur verschoben; anstatt einzelner Bauteile muss dann der kompakte Reaktor ausgetauscht werden: Copenhagen Atomics plant aktuell mit einer Laufzeit von 5 Jahren. Wegen der hohen Kosten für die Wartung werden neue Reaktortypen kaum zu Stromerzeugung taugen.

Ein Transuran-Verbrenner jedoch, der die Menge des Atommülls verringern soll, muss bei den Kosten für die Stromerzeugung nicht mit den erneuerbaren Energien konkurrieren. Es gibt allerdings noch eine dritte technologische Herausforderung: Bei der Aufbereitung abgebrannter Kernbrennstäbe ging es bislang immer darum, das Uran-235 (und gegebenfalls das Plutonium) zu extrahieren. Nun kommt es aber auch darauf an, gezielt die Transurane von den Spaltprodukten zu trennen – ein Prozess, der als Partitionierung bezeichnet wird.

Diese Technologie befindet sich offenbar noch im Experimentalstadium. Moltex Energie berichtet, in einem Experiment 95 Prozent der Transurane aus dem verbrauchten Brennstoff der kanadischen CANDU-Reaktoren extrahiert zu haben.

Die Lösung für die Endlagerdebatte?

Die Forschung an einem Transuran-Verbrenner erscheint insbesondere dann sinnvoll, wenn man die schwierige Suche nach einem Endlager berücksichtigt. Gorleben als Endlager-Standort ist aus guten Gründen vom Tisch, er war geologisch nie geeignet. Die Suche hat jetzt von Null begonnen, aber welcher Ort auch immer als Endlagerstandort bestimmt wird, es ist deutlicher politischer Widerstand zu erwarten.

Der status quo der Zwischenlagerung ist jedoch auch nicht akzeptabel. Die Zwischenlager für die abgebrannten Kernbrennstäbe gelten, seitdem das OVG Schleswig 2013 dem Zwischenlager in Brunsbüttel die Genehmigung entzogen hat, nicht als hinreichend sicher. Außerdem laufen die Genehmigungen in den 2040ern aus, für Gorleben und Ahaus sogar schon in den 2030ern. Vorschläge jedoch, entsprechend sichere, längerfristige Zwischenlager (zum Beispiel in Felsgestein mit Rückholoption) zu errichten, müssten natürlich den erbitterten Widerstand vor Ort befürchten, weil dies den Eindruck erwecken würde, eine Vorfestlegung auf einen Endlagerstandort darzustellen.

Aus der Sicht der enthusiastischen Befürworter der Transmutation des Atommülls braucht man hingegen überhaupt kein Endlager. Zumindest aber bräuchte man sich noch nicht auf ein Endlager festlegen, während die Transuran-Verbrenner laufen. Der Atommüll wäre an den Standorten dieser Verbrenner besser untergebracht als in den aktuellen Zwischenlagern.

Wenn sich alle Transurane (zusammen mit dem Uran) aus den abgebrannten Kernbrennstäben extrahieren lassen, bleiben nur die Spaltprodukte aus der nuklearen Kettenreaktion übrig. Fast alle davon haben Halbwertzeiten in der Größe von Jahrzehnten, wichtige Ausnahmen sind jedoch das bereits erwähnte Technetium-99, sowie Cäsium-135 und Iod-129. Iod-129 hat eine Halbwertszeit von 15,7 Millionen Jahren. Bereits 2003 ist es gelungen, in einem anderen Experiment zur Transmutation Iod-129 mit einem hochintensiven Laserstrahl – unter Ausnutzung des Effekts der Bremsstrahlung – in das stabile Isotop Xenon-128 zu transmutieren.

Müsste man auch diese langlebigen Spaltprodukte transmutieren, um vollständig auf ein Endlager verzichten zu können? Oder ist ihre Radioaktivität so gering, dass die Endlagerung der Spaltprodukte zumindest weniger aufwendig und riskant ist? Transmutex verspricht, dass der Atommüll, der bei ihrem unterkritischen Reaktor noch übrigbleibt, nach ca. 810 Jahren nur noch so radioaktiv ist wie natürlich vorkommendes Uranerz, während dafür ansonsten ein für eine Millionen Jahre geologisch stabiles Endlager erforderlich ist.

Für die Partitionierung des hochradioaktiven Atommülls in Deutschland müsste das Atomgesetz geändert werden – denn dies untersagt aktuell die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente. Die staatlichen Experten des Bundesamts für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) lehnen Transmutation ab und haben eine kritische Studie dazu in Auftrag gegeben.

Es stimmt durchaus, dass sich das Risiko eines Zwischenfalls bei der Entscheidung für Transmutation erst einmal erhöht. Dr. Guide Huben von Transmutex beschreibt die Entscheidungssituation im Interview mit dem YouTube-Kanal Breaking Lab so: „Wir haben da vorübergehend eine erhöhte Gefahr, für 2-3 Generationen, bis das eben alles verbraucht ist, aber danach haben wir eben für 10.000 Generationen nicht mehr dieses Problem. Insofern ist das ein Abwägen, wem mute ich welche Belastung zu, um für wen später eine Entlastung zu haben.“ 

Diese Frage der Generationengerechtigkeit tritt auch beim Klimawandel auf – und da ist die Position vieler Linker und Grüner eindeutig. Es ist besser, der gegenwärtigen Generation die Kosten der Energiewende zuzumuten, als den zukünftigen Generationen die Kosten der drohenden Klimakrisen. Die gleiche Entscheidungslogik gilt auch hier. Deswegen ist der lange Zeitraum, der für die Entwicklung und den Betrieb der Transmutationsreaktoren prognostiziert wird, auch kein Kritikpunkt.

Fazit: Transmutation ja, Kernenergie nein

Gerade wem der Konflikt um Gorleben noch in Erinnerung ist, dürfte schwerlich befürworten, den hochradioaktiven Atommüll in einem anderen Salzstock in Niedersachsen endzulagern. Deswegen braucht es auch in Deutschland die Forschung an einem Transuran-Verbrenner und an Technologien zur Transmutation der Spaltprodukte. Transmutation ist jedoch kein Argument für den Wiedereinstig in die Kernenergie. Kernenergie lohnt sich nicht – ihre Kosten, wenn sie sicher sein soll, sind einfach zu hoch.

Paradoxerweise sind es diese Kosten, die ein Argument gegen Transmutation sind – denn die nötige Zahl von Transuran-Verbrennern für entsprechenden lange Zeiträume zu betreiben, könnte teuer werden. Wenn dies mehr kosten würde als die 24 Milliarden Euro, welche die Kernkraftwerksbetreiber für die Entsorgung des Atommülls bereitgestellt haben, dann hätte die Strategie der Transmutation des Atommülls das gleiche Legitimationsproblem wie die Energiewende. Wieviel zusätzliche Kosten darf man jetzt der Bevölkerung zumuten, um die Probleme für zukünftige Generationen zu mindern?

Aber – das Durchsetzen eines Endlager-Standortes wäre ebenso ein massives Legitimationsproblem für die Politik. Fast kein Politiker dürfte heute noch bereit sein, erneut so einen Konflikt wie den um Gorleben zu riskieren.  

Einen Forschungsreaktor für einen Transuran-Verbrenner in Niedersachsen zum Beispiel ließe sich akzeptieren, wenn zugleich ein zweiter Forschungsreaktor dieser Art in Süddeutschland gebaut wird. An diesen Standorten ließen sich dann neue Zwischenlager errichten, um dem Atommüll für einige Jahrhunderte sicher zu aufzubewahren, während die Menge der langlebigen Isotope durch Transmutation reduziert wird.

Dies würde den Deutschen mehr als genug Zeit geben, sich auf einen Endlagerstandort zu einigen. Mehrere Transuran-Verbrenner in Deutschland verteilt zu betreiben, und die Menge des Atommülls deutlich zu reduzieren, ist sicherlich gerechter als einem einzigen Standort den ganzen hochradioaktiven Atommüll zuzumuten.