Die drei Geldkreisläufe
Geld erfährt eine zunehmende Immunisierung gegenüber der natürlichen Realität. Das ist nicht zuletzt im Wesen des Zinses begründet.
Alle Welt fragt sich, was es mit diesen verflixten Zinsen auf sich hat! Schon seit geraumer Zeit und jeden Tag von neuem wird die Öffentlichkeit mit den Analysen von „Experten“ überschwemmt, die das nicht Erklärbare erklärbar machen wollen. Das Irrationale soll mit dem Anschein von Rationalität daherkommen. Was ist da los?
Wir müssen von einem historischen Ringen um die Vorherrschaft von privatem und staatlichem Geld ausgehen. Dahinter stehen das private und das öffentliche Interesse um das Erlangen von privatem und öffentlichem Reichtum.
Der staatliche Geldgeber institutionalisierte sich zum ersten Mal 1694 in England mit der Gründung der Notenbank. Damit sollte dem Währungschaos vieler privater Herausgeber von Münzen ein Ende bereitet werden. Das Chaos herrschte nicht nur in England. 800 verschiedene Münzen aus aller Herren Ländern kursierten schon zu Beginn des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden. Allerdings gab es von Anfang des 16. Jahrhunderts bis Anfang des 20. Jahrhunderts sogenannte Privatnotenbanken. Diese befanden sich gemäß dem Namen im privaten Besitz. Allein in Deutschland gab es im 19. Jahrhundert über dreißig.
Im 19. Jahrhundert etablierten sich eine Reihe von staatlichen Notenbanken – 1800 in Frankreich (Banque de France), 1814 in den Niederlanden (De Nederlandsche Bank), 1876 in Deutschland (Reichsbank), 1893 in Italien (Banca d’Italia). Im Jahr 1900 besaßen 18 Länder eine eigene Noten- oder Zentralbank.
Die privaten Geschäftsbanken wurden nie müde, ihr eigenes Geld, Giralgeld genannt, immer stärker in Umlauf zu bringen. Von historischer Bedeutung war die Etablierung von zwei Geldkreisläufen. Sie kommt einem Zurücktreten der Notenbanken hinter die privaten Banken und damit hinter die Interessen des großen privaten Kapitals gleich. Dieser Zustand existiert bis heute.
Der erste Geldkreislauf
Der erste Geldkreislauf verbindet Notenbanken mit privaten Geschäftsbanken. Man kann hier von einem exklusiven Geldkreislauf sprechen, denn in ihm sind lediglich Geschäftsbanken und Notenbanken als Akteure zugelassen. In diesem Kreislauf fließt das Geld der Notenbanken, Reserven genannt. Es ist das sicherste Geld. Vor allem dient es den Geschäftsbanken als stärkstes Absicherungsinstrument ihres Giralgeldes.
Die sogenannten Bieterbanken unter den Geschäftsbanken kaufen mit Zentralbankreserven Staatsanleihen – absurder geht es nicht mehr – von der Bundesfinanzagentur, die im Auftrag der Regierung handelt. Beim Erwerb dieser Wertpapiere sind die Bieterbanken aufgrund des geringen Ausfallrisikos der Papiere zumeist auf der sicheren Seite.
Joseph Huber, einer der besten Kenner des heutigen Geldsystems, macht seit Ende der 90er Jahre auf das äußerst prekäre Verhältnis zwischen staatlichem und privatem Geld aufmerksam. Der Mainstream neoklassischer Ökonomen behauptet, dass das private Geld durch das staatliche Geld „gedeckt“ würde. Früher haben sie verkündet – und es gibt immer noch viele Propagandisten für diesen Mythos –, dass Gold das Geld „decken“ würde. Doch 1971 mussten die USA vor aller Welt eingestehen, dass die Deckungserzählung ein Märchen ist. Der Goldstandard fiel.
Huber argumentiert berechtigt, dass Geld überhaupt nicht zu decken ist. Er spricht von Fiat-Geld, was heißt „es werde Geld“. Mit anderen Worten: Geld wird aus dem Nichts geschaffen, per Tastendruck. Wie soll so etwas zu decken sein?
Forscher, wie der US-amerikanische Geldökonom Irving Fisher, sind der Auffassung, dass eine 100%-Reservedeckung des Giralgeldes der Weisheit letzter Schluss sei. Dem hält Huber entgegen, dass Reserven, die das Giralgeld absichern sollen, nur noch einen minimalen Anteil ausmachen. Im Euroraum stehen 100 Euro Giralgeld gerade mal 1 Euro Reserven gegenüber, die sogenannte Mindestreserve. In Kanada oder Australien gibt es sogar gar keine Mindestreserveanforderungen mehr.
Hinter dem minimalen Mindestreservesatz oder sogar dem Verzicht auf derartige Anforderungen, verbirgt sich das (nicht offen ausgesprochene) Eingeständnis, dass Geld nicht zu decken ist. Das bestätigt eine weitere Entdeckung von Huber: Zentralbanken schieben den minimalen Reserveanteil nach. Das heißt: Erst nachdem Geschäftsbanken einen Kredit vergeben haben, hinterlegen sie anteilig Reserven bei der Zentralbank.
Wenn etwas, das eigentlich kontrollieren soll, erst im Nachhinein zum Einsatz kommt, wie soll es dann noch seine Funktion erfüllen? Die Notenbanken haben das Ruder gegenüber den Geschäftsbanken schon lange aus der Hand gegeben. Der schlagende Beweis: Über 90 Prozent des Geldes, das zwischen den Geschäftsbanken und den Kunden dieser Banken zirkuliert, ist Giralgeld.
Der zweite Geldkreislauf
Und damit kommen wir zum zweiten Geldzyklus, dem Giralgeldkreislauf. Das ist der Geldverkehr zwischen Herrn Mustermann oder Unternehmer Fleißig und ihren Geschäftsbanken.
Im Vergleich zum ersten Geldkreislauf ist die Sicherheit des Geldes hier wesentlich geringer. Warum? Weil das Geld, das Herr Mustermann und Unternehmer Fleißig zur Bank bringen, zwar das Geld von beiden ist. Aber in dem Moment, in dem es die Bank in Empfang genommen hat, ist es nicht mehr so ganz „ihr“ Geld. Es ist dann nur noch ein Kredit, den sie ihrer Bank zur Verfügung stellen.
Und ob ein Kreditgeber sein Geld wieder zu sehen bekommt, ist alles andere als sicher. Es braucht eine Bank nur in Bedrängnis zu kommen – Beispiele gibt es viele – und schon guckt er in die Röhre. Nach der Finanzkrise ab 2008 traf es in großem Stil viele Millionen Amerikaner, die ihre Häuser und große Teile ihrer Ersparnisse verloren.
Die beiden Geldkreisläufe, von denen bisher die Rede ist, sind in einer langen historischen Phase entstanden, in der die Realökonomie die entscheidende Rolle spielte. Unternehmer Fleißig ging zur Bank, nahm einen Kredit von 100.000 Euro auf, um ihn in sein Unternehmen zu investieren. Die Bank vertraute dem Unternehmer, dass er seine 100.000 Euro wieder zurückzahlt und die Zinsen auch noch drauflegen kann. Der Unternehmer vertraute darauf, dass seine Investition erfolgreich sein wird, also den gewünschten Ertrag einbringt.
Das Geld, das die Bank vorschoss, ist „gedeckt“ durch Vertrauen. Nicht durch einen Glauben in irgendeinen „inneren“ Wert des Geldes. Diesen Wert gibt es nicht. Aber die Bank, Unternehmer Fleißig und die in seinem Unternehmen arbeitenden Menschen gingen davon aus, dass ein wertvolles Produkt hergestellt wird, das die Menschen mit „ihrem“ Geld kaufen werden. Das hergestellte Produkt hat einen Wert. Geld repräsentiert lediglich einen Anspruch auf den Erhalt von etwas Wertvollem.
Nun erleben wir seit etwa 50 Jahren, wie der Finanzmarkt immer stärker über den Realgütermarkt dominiert. Das an der Realökonomie ausgerichtete „alte“ Geldsystem versucht geradezu verzweifelt, die herkömmlichen geldpolitischen Instrumente am Leben zu erhalten. Sie waren über lange Zeit recht erfolgreich eingesetzt worden. Mit dem Leitzins ließen sich die Zinsen sowie Angebot und Nachfrage nach Geld recht gut steuern. Und die Realökonomie war wertschöpferisch aktiv.
Das Verhältnis zwischen Realökonomie und Finanzmarkt ist alles andere als einfach zu bestimmen. Natürlich gibt es Beziehungen zwischen beiden. Oftmals finden sich beide unter dem gleichen Dach großer Unternehmen. Die Geldpolitik der Zentralbanken möchte die Interessen beider unter einen Hut bringen. Das wird aber immer schwieriger.
Am 30. Juni 2023 schaffte man den LIBOR ab, einen Standard-Referenzzinsatz der Großbanken. Denn es zeigte sich, wie sehr er den Großbanken die Möglichkeit gab, die Kredit-Zinssätze nach ihren Wünschen zu manipulieren. Es wäre blauäugig anzunehmen, dass damit den Zinsprofiteuren das Handwerk gelegt wäre. Die Macht des Zinses wird nicht aufzuhalten sein. Warum nicht?
Der dritte Geldkreislauf
Die Antwort ist, dass für den Zins ein eigener, dritter Geldkreislauf entstanden ist. Im Zins erleben wir die absolute Verselbstständigung des Geldes. Der Zins nährt sich aus sich selbst. Die Gesetze der Realökonomie verlieren in ihm ihre Gültigkeit. Denn laut Thermodynamik ist jede wirtschaftliche Aktivität, inklusive Arbeit, mit einem Energie- und materiellen Ressourcenverbrauch verbunden. Die erforderliche Arbeit, um Geld im Kontext der Kreditvergabe vorzuschießen, kann mit einer Gebühr abgegolten werden. Eines sich selbstvermehrenden Zinses und Zinseszinses bedarf es dazu nicht.
Wie dieser Kreislauf des sich selbst vermehrenden Geldes funktioniert, hat Felix Fuders 2023 in seinem Buch How to Fulfil the UN Sustainability Goals – Rethinking the Role and Concept of Money in the Light of Sustainabilitity beschrieben. Von dem Zinskreislauf profitieren nur die Nettozinsgewinner. Das sind die Menschen, die direkt an der privaten Geldschöpfungsquelle der Geschäftsbanken sitzen, die großen nicht-bankenartigen Kreditinstitute oder Geldverleiher, die großen Vermögensverwalter (Blackrock, Vanguard, State Street) und Milliardäre wie Elon Musk, Jeff Bezos oder Larry Ellison.
Die Nettozinsgewinner befinden sich an der Spitze des obersten Zehntels der Vermögenspyramide. Wenn sie alle Zinsen abziehen, die in den Produkten vorhanden sind, die sie kaufen, fahren sie noch immer riesige Nettozinsgewinne ein. Sie kommen durch ihre riesigen Geldeinlagen zustande, die ebenso riesige Guthabenzinsen verlangen. Diese vergrößern wiederum die Einlagen, die noch mehr Zinsen erzielen.
Die konventionelle Geldpolitik will mit hohen Zinsen das Geld verteuern und verknappen, um so die Inflation zu bekämpfen. Die „Erfolge“ dieser Strategie sind leidlich bekannt. Die Nettozinsgewinner aber lassen eine Geldverknappung nicht zu, denn ihre Einlagen werden mit immer mehr Zinsgeld versorgt.
Und die Zentralbanken laufen diesem privaten Gewinnspiel hinterher, indem sie Reserven nachschieben. Sie leisten den Geschäftsbanken sogar Beihilfe. Das erleben wir hautnah, denn das Bargeld verliert immer mehr an Bedeutung. Die Zentralbanken begnügen sich mit der wenig überzeugenden Behauptung, das digitale Zentralbankgeld würde das Bargeld nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Geschäftsbanken erschweren gleichzeitig ihren Kunden, an Bargeld zu gelangen. Eine erhebliche Reduzierung der Geldautomaten ist ungebrochen im Gange. Schalterzeiten der Banken, um an Bargeld zu gelangen, wurden und werden weiter enorm reduziert.
Nach einer öffentlichen Kritik der Zentralbanken sucht man vergeblich. Sie entziehen sich ihrer Aufsichtsverantwortung gegenüber den Geschäftsbanken. Kein Wunder, denn beide sind sich einig darin, dem Wunsch der Kunden nach bargeldloser Bezahlung nachzukommen. Die Zentralbanken machen sich damit zum Komplizen des allgemeinen Prozesses, Geld gegen den unmittelbaren Zugriff der Bevölkerung zu „immunisieren“. Aber nicht nur gegenüber Menschen, sondern ebenso gegenüber den thermodynamischen Gesetzen von Umwelt und Natur. Mit dem Verschwinden des Bargeldes wird den Menschen das letzte Zipfelchen genommen, den Banken im wahrsten Sinne des Wortes auf die Pelle zu rücken.
Im gesamten Geld- und Finanzsystem macht sich eine zunehmende Indifferenz gegenüber den Menschen mit ihren natürlichen Bedürfnissen und gegenüber der natürlichen Ordnung unserer Umwelt immer breiter. Im Zinskreislauf wird die Immunisierung und Autonomisierung des Geldes gegenüber der natürlichen Realität auf die Spitze getrieben. Thermodynamisch betrachtet, tritt wertschöpfende Arbeit gegenüber Zinsgewinnen in den Hintergrund.
Die Antriebskräfte liegen auf der Hand: Der Zins ist das Instrument, mit dem sich privates Geld und privater Reichtum am meisten vermehren lassen. Und was die realen Ressourcen betrifft, steht dafür schon eine virtuelle Realität bereit. KI macht’s möglich. Der öffentliche Reichtum aber hat das Nachsehen.