Trickle down
Liebe Leserinnen und Leser,
das goldene Zeitalter des Kapitalismus ist zum Mythos verblasst. Die glanzvolle Zeit steigender Produktivität und Löhne, hohem Wachstum, breitem Wohlstand sowie großer Ingenieurskunst ist dem Rost verlassener Fabriken, zerfallender Infrastruktur und prekärer Arbeit in der Dienstleistungsökonomie zum Opfer gefallen. Der alte Geist des Kapitalismus, der auf realwirtschaftlichen Investitionen, staatlichen Beteiligungen und einer langfristig orientierten Unternehmensführung basierte, wurde abgewickelt. Damit auch der Typus des gewerkschaftlich organisierten Angestellten, der zur Gründung und Ernährung einer eigenen Familie mit Eigenheim in der Lage war. Die Folge: Niedrige Löhne, niedrige Produktivität, wenig Wachstum und geringe Geburtenraten in den westlichen Industrienationen.
Die Trickle-down-Ökonomie und ein Management, dass sich der Logik des Shareholder-Value unterworfen hat, treibt traditionsreiche Unternehmen wie Boeing in den Untergang. Geistiges Eigentum, Geschäftsgeheimnisse und Daten verdrängen im Namen der „Wissensökonomie“ Werte wie "Denkvermögen", "Verständnis" und "komplexes Urteilsvermögen". Die unregulierte Kapital- und Datenkonzentration lässt dysfunktionale Monopole wie Google entstehen, die das Prinzip des Wettbewerbs auf Kosten der Nutzer aus den Angeln heben. Gleichzeitig wurde die Rolle des Staates darauf reduziert, allein die Risiken des privaten Gewinnstrebens zu sozialisieren.
Will der Kapitalismus aus der Krise kommen, muss er sich wieder aufs Neue erfinden. Dafür braucht es, schreibt Mariana Mazzucato in dieser Ausgabe, eine Rückbesinnung auf das, was Wertschöpfung ist: ein kollaborativer Prozess kollektiver Intelligenz. Sonst werden Innovationen weiter nur den Aktionären zugutekommen. Zach Silk fordert eine Steuer auf Aktienrückkäufe und die Verhinderung großer Unternehmensfusionen, um den Teufelskreis des Niedergangs durch Trickle-Down zu durchbrechen. Und Florian Schaaf plädiert für eine Stärkung der Tarifbindung, eine an der Produktivitätsentwicklung gekoppelte Lohnpolitik und eine Unternehmensbeteiligung der Belegschaften bei eingeschränkter Kapitalmobilität.
Diese und weitere Artikel finden Sie in unserer neuen Ausgabe:
- Boeing – Der Kanarienvogel in den Trickle-Down-Kohleminen „If it’s not Boeing, I’m not going”, einst Slogan der Boeing-Mitarbeiter, ist nur noch Geschichte. Der Neoliberalismus hob eine einst große amerikanische Marke buchstäblich aus den Angeln. Zach Silk
- Wie der Neoliberalismus die Care-Arbeit in die Krise führt Von KiTa-Krise bis Pflege-Notstand: Die soziale Reproduktion ist ökonomisch in die Enge getrieben. Wie es dazu kam und warum das vermeidbar wäre. Florian Schaaf
- Updates zur Konjunktur – 11 Eine Hiobsbotschaft jagt die nächste – die missliche Lage der deutschen Wirtschaft ist mittlerweile selbst bei den meisten Wirtschaftsforschungseinrichtungen angekommen. Die Redaktion
- Kollektive Intelligenz und das Gemeinwohl Lange Zeit hat die Politik wirtschaftliche Risiken sozialisiert und Gewinne privatisiert. Ohne eine neue Sicht auf das, was Wertschöpfung ist, werden Innovationen weiter nur den Aktionären zugutekommen. Mariana Mazzucato
- Googlen oder nicht googlen – das ist hier die Frage Mehr als 26 Milliarden Dollar jährlich zahlt Google an andere Technologieunternehmen, um seine Monopolstellung zu bewahren. Nun wurde dem Konzern rechtswidriges Verhalten vorgeworfen. Katharina Pistor
- Marshall Plan mal zwei „Die Fundamente der EU-Wirtschaft sind erschüttert“, proklamiert Mario Draghi im Vorwort seiner neuen aufsehenerregenden Studie. Seine Lösung: Ein Fiskalprogramm, das mehr als doppelt so groß wie der Marshallplan ist. Lukas Poths
- Für einen Klima-Soli – mit Hebelwirkung 2023 brachte der Soli dem Bund 12,2 Milliarden Euro ein. Noch sehr viel mehr Spielraum gäbe es, wenn man statt der Steuer dem Staat einen größeren zweckgebundenen Kredit gewährte. Gerd Grözinger
- Inflation isch over Nach drei Jahren ist die Inflation wieder da, wo sie sein soll. Ein Grund zum Feiern? Nicht so schnell. Maurice Höfgen
- Die drei Geldkreisläufe Geld erfährt eine zunehmende Immunisierung gegenüber der natürlichen Realität. Das ist nicht zuletzt im Wesen des Zinses begründet. Franz Schneider