MMT-Konferenz in Berlin

Navigieren in der Polykrise

| 28. September 2023

Die dritte MMT-Konferenz in Berlin war eine Ideenwerkstatt des theoretisch Möglichen. Zugleich wurde deutlich: In der modernen Geldtheorie steckt noch viel Entwicklungspotenzial.

Wie und was kann eine Geldtheorie zur Bewältigung der heutigen Krisensituation beitragen? Eine Antwort prangte an einem Montagvormittag an den Fassaden des Bundesfinanzministeriums auf einem riesigen Plakat: „Mit Geld und Verstand. Schulden bremsen, Chancen schaffen. Unser Bundeshaushalt.“

Besser könnte die Mentalität der schwäbischen Hausfrau nicht eingefangen werden: Man kann nicht mehr ausgeben als man eingenommen hat. Versucht man es dennoch, heizt man die Inflation an und belastetet künftige Generationen. Höchste Zeit, wieder zur Vernunft, gesunden Finanzen und zur Schuldenbremse zurückzukehren!

Was das nach dem Willen des Lindner-Ministeriums konkret heißt, ist dem Haushalts-Entwurf zu entnehmen: Die Gesamtausgaben sollen um 5 Prozent, die Neuverschuldung um ca. 60 Prozent gesenkt werden. Ziel ist ein ausgeglichener Haushalt in den kommenden Jahren. Gekürzt wird drastisch im Sozialen und bei der Entwicklungshilfe, aufgestockt werden die Militärausgaben. Die klare Ansage: Es ist nicht genug Geld da, der Gürtel muss enger geschnallt werden.

Geld ist politisch

Eine andere Sichtweise wurde vom 9. bis 11. September in einem Saal der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin präsentiert. Auf der dritten europäischen MMT-Konferenz Navigating the Polycrisis trafen unter Leitung des bekanntesten Gesichts der Modern Money Theory in Deutschland, Dirk Ehnts, sechszehn hochkarätige Redner zusammen.

Die durchaus heterogene Teilnehmerschaft der Konferenz[1] war sich einig, dass eine solche Haushaltspolitik, die steht und fällt mit dem Mythos vom knappen Geld des Staates, nicht dazu geeignet ist, bessere Zukunftsaussichten zu schaffen. Denn die Herausforderungen sind riesig: es muss gelingen, die „grüne“ Transformation der Gesellschaft mit einer gerechteren Verteilung von Einkommen und Wohlstand zu verbinden.

Aus sieben Ländern waren die Referenten und Moderatoren angereist. Zugegen waren das MMT-Mastermind L. Randall Wray, junge Ökonominnen, der Finanzexperte Fabio de Masi oder Medienschaffende wie Christian Reilly und Jennifer Pino vom britischen MMT-Podcast. Sie alle kamen, um in der Theorie zu beleuchten, warum der Staat eben keine schwäbische Hausfrau ist, und welche Politik in der Praxis möglich wäre, würden die Regierungen dieses Dogma endgültig ad acta legen.

Gibt man die „Scharnierthese“ (Lea Steininger, WU Wien) auf, nämlich „das theoretische Konzept, nachdem Geld primär ein Tauschmittel ist, das den Wert von Gütern und Dienstleistungen nur abbildet“, erkennt man: „Geld ist ein öffentlich-rechtliches Instrumentarium, um zu steuern und zu regieren.“ So erweist sich die empirische Theorie der Geldschöpfung, die MMT, von unmittelbarer praktischer Relevanz – sie erklärt, dass es in Wirklichkeit die Staaten sind, die (in Abstrichen) als Monopolanbieter das Geld schaffen.

Das eröffnet den Blick für die grundsätzlichen Möglichkeiten, die einer Regierung zur Verfügung stehen: Sie könnte Geld für öffentlichen Belange kostenlos bereitstellen, während sich der private Sektor für über seine Ersparnisse herausgehende Investitionen Geld leihen muss. Im Grunde, argumentiert Dirk Ehnts, hätten wir es also mit zwei konkurrierenden Mechanismen der Organisation der Gesellschaft zu tun: der eine sei gewinnmaximierend, der andere gemeinwohlorientiert. Demgemäß gäbe es durchaus reale Alternativen zur Sparpolitik. In einem Staat mit Währungssouveränität bestünde keine Notwendigkeit, öffentliche Dienstleistungen zu privatisieren. Und auch um grüne Investitionsprogramme zu finanzieren, sei der währungssouveräne Staat nicht auf die Finanzindustrie angewiesen.

Investitionen versus Institutionen

Doch das Wissen um die grundsätzlichen fiskalischen Möglichkeiten eines Staates genügt nicht; es ist notwendig die Institutionen, Strukturen und Mechanismen zu kennen, über die er seine Ressourcenallokation mithilfe der Geldschöpfungs- und Steuerpolitik zu realisieren in der Lage ist – oder eben nicht. Heinrich Röder, Geschäftsführer von MAKROSKOP, warb für ein Forschungsprojekt, das sich eingehend mit diesem Thema beschäftigt – insbesondere, was die dringend notwendige Stärkung der Kommunen betrifft.

Die institutionellen Hindernisse einer expansiven Fiskalpolitik jenseits von Schuldenregeln debattierten Dirk Ehnts, Warren Mosler und L. Wrandell Wray. Obwohl die Länder der Eurozone formal ihre Währungssouveränität aufgegeben haben, sei nicht zuletzt während der Pandemie deutlich geworden, dass es nicht die technischen Probleme der Geldschöpfung seien, die die Regierungen an der Ausübung ihrer Haushalts-Souveränität hinderten. Im Gegensatz zur gängigen Auffassung emittiert nicht die EZB, sondern emittieren die nationalen Zentralbanken die benötigten Euro selbst. Die Hürden seien vielmehr nationale Haushaltsvorgaben, die EU-Bestimmungen und die Bereitschaft der Kommission, Strafmaßnahmen gegen Abweichler zu beschließen.

Dabei wären umfassende staatliche Investitionen in grüne Infrastruktur, Wirtschaft und Bildung nicht nur dringend nötig, sondern auch technisch möglich: laut MMT sind Haushaltsausgaben nur durch die Produktionskapazität begrenzt. Berücksichtigt werden müssen jedoch auch die sozialen und ökologischen Grenzen. Will man eine breite gesellschaftliche Akzeptanz des ökologischen Umbaus gewährleisten, dann darf die soziale Abfederung der Kosten nicht zu kurz kommen.

Manche Stimmen argumentieren, dass in wohlhabenden Volkswirtschaften die MMT-Politik nicht für mehr Wachstum, sondern im Sinne der Nachhaltigkeit eingesetzt werden sollte. Als geeignete geld- und fiskalpolitischen Maßnahmen gelten mitunter eine stärkere Regulierung des privaten Finanzwesens, Steuerreformen, Preiskontrollen, öffentliche Versorgungssysteme und eine Arbeitsplatzgarantie. So schlagen zum Beispiel Leon Heckmann und Lasse Steffens vor, angesichts der Korrelation von BIP und Energieverbrauch, Geld als Versprechen zur Nutzung einer bestimmten Energiemenge zu betrachten und entsprechende Investitionslenkungsinstrumente der Klimapolitik einzuführen.

Nicht zuletzt die Schuldenbremse muss aus Sicht der MMT wieder aus dem Grundgesetz entfernt werden. In Deutschland gäbe es parteiübergreifend durchaus Parlamentarier, die in diese Richtung denken, berichtet Jamila Schäfer, die selbst für die Grünen im Bundestag sitzt. Tatsächlich forderte ihre Parteikollegin, die Vorsitzende der Grünen Ricarda Lang, zuletzt die Umgehung der Schuldenbremse.

Inflation oder Teuerung?

Das Thema Inflation nahm auf der Konferenz einen breiten Raum ein. Im Gegensatz zu landläufigen Behauptungen ignoriere die MMT bestehende Inflationsgefahren keineswegs, betont Randall Wray. Die Beschränkungen der realen Ressourcen habe man im Blick – natürlich sei es notwendig, deren Verteilung über Staatsausgaben und Steuern gezielt zu steuern. Die Referenten waren sich einig, dass die aktuellen Preissteigerungen nicht darauf zurückzuführen sind, dass zu viel Geld zu wenig Güter „jagt“ (Lea Steininger). Folglich müsse auch nicht über Lohnzurückhaltung und Arbeitslosigkeit die Nachfrage eingeschränkt und/oder über Zinspolitik die Geldmenge reduziert werden. Genauso wenig sei die Teuerung (Steininger weigerte sich, von „Inflation“ zu sprechen) eine Folge zu hoher Staatsausgaben während der Pandemie. Dafür seien die Maßnahmen viel zu wenig zielgerichtet gewesen, konstatierte Randall Wray; die Wirkungen der staatlichen "Stimuli" seien zudem inzwischen weitgehend aufgebraucht.

Die derzeitige Inflation, so Wray weiter, sei nicht nachfrage-, sondern angebotsbedingt. So gäbe es angesichts der Schwäche der Gewerkschaften keinerlei empirische Hinweise auf eine Lohn-Preis-Spirale. Inmitten in einer Energie-, Wohnkosten- und Klimakrise habe die Zentralbank jedoch wenig Möglichkeiten, etwas gegen die derzeitige Inflation zu unternehmen, denn diese sei eben kein monetäres Phänomen. Deswegen (und angesichts der ungewissen Folgen von Zinserhöhungen) sei Fiskalpolitik ein viel geeigneteres Mittel zur Bekämpfung von Preissteigerungen. Engpässe bei bestimmten Sektoren – etwa beim Wohnungsbau oder der Energie – könnten durch Staats-Investitionen beseitigt, Preiswucherer bestraft werden, und eine Job-Garantie für einen Puffer sorgen, der zur Stabilisierung von Löhnen und Preisen beiträgt.

Dass Fiskalpolitik bei der Bekämpfung von Preissteigerungen den Vorrang haben sollte, glaubt auch der amerikanische MMT-Guru Nathan Tankus. Natürlich seien stabile Finanzbedingungen nötig, und dazu könne die richtige Geldpolitik wesentlich beitragen. Eine Null-Zinsen Politik der Zentralbank verbunden mit vollständiger Einlagensicherung und direkter Kreditsteuerung sind für ihn geeignete geldpolitische Instrumente, um Finanzspekulationen und ein unkontrolliertes Wachstum der Privatschulden einzudämmen. Die Krise um die Silicon Valley Bank dient Tankus als Beispiel, warum eine Erhöhung der Leitzinsen kein gutes Mittel ist: sie führe national und international zu starken Verwerfungen und trage zur Destabilisierung der Volkswirtschaften bei.

MMT und Entwicklung des Globalen Südens

Einer der Höhepunkte der Konferenz waren der Online-Vortrag des senegalesischen Entwicklungsökonomen Ndongo Samba Sylla („MMT und die ökonomische Befreiung Afrikas“) sowie das anschließende Panel mit ihm, Yan Liang und Fadhel Kaboub. In der MMT sehen sie alle eine Perspektive, um die fiskalischen Spielräume der politisch unabhängigen afrikanischen Staaten zu verstehen. Zwar seien die meisten Entwicklungsländer in monetärer Hinsicht formal souverän. Da ihre Währungen auf den Devisenmärkten jedoch nicht gefragt seien, müssten sie sich häufig in Fremdwährungen verschulden, um notwendige Importe und frühere Schulden zu bezahlen. Gleichzeitig setzen sie auf Direktinvestitionen aus dem Ausland, um ihre Wirtschaft zu entwickeln; die ausländischen Unternehmen aber transferieren einen erheblichen Teil der im Land generierten Gewinne wieder zurück, so Yan Liang, und zwar in gleicher Höhe wie der Schuldendienst.

Einen tieferen Einblick in die Ordnung der internationalen Finanzmärkte bot Steffen Murau, Politökonom und Experte für das internationale Währungssystem an der FU Berlin. Als Weltwährung ist die Verfügbarkeit von Dollar für jedes Land von zentraler Bedeutung, besonders in Notfällen, wo sofortige Dollarliquidität erforderlich ist. Dabei habe sich eine klare Hierarchie der Zugriffsmöglichkeiten entwickelt, mit den USA an die Spitze und der Federal Reserve (Fed) als höchster Institution des Systems und ein großer Teil des Globalen Südens am unteren Ende. Viele Entwicklungsländer können nur über das bürokratisch komplizierte System von IWF-Sonderziehungsrechten Dollar erhalten, was selbst in Notfällen mindestens 14 Tage dauert.

Das Problem dieser Hierarchie: Internationale Finanzinstitutionen achten vornehmlich darauf, dass Entwicklungsländer ihre externen Schulden bezahlen können und ihre Märkte weiter für das internationale Handels- und Finanzwesen öffnen. „Solides Finanzmanagement“ sei dabei die Bedingung für die Gewährung von Krediten. Damit bleibt wenig Spielraum für eine eigenständige Wirtschafts-, Industrie- und Entwicklungspolitik.

Gerade deshalb sollten Entwicklungsländer aus MMT-Sicht alles in ihrer Macht Stehende tun, jene lokalen Ressourcen zu mobilisieren, an denen es ihnen trotz ihrer begrenzten monetären Souveränität keineswegs mangele: Land, Rohstoffe und insbesondere Arbeitskräfte. Das Problem läge eher darin, dass diese Ressourcen nicht zum Einsatz kämen bzw. ihre Einsatzweise nicht der breiten Bevölkerung diene. Dazu könnten die Regierungen die Staatsausgaben in der eigenen Währung durchaus stark erhöhen.

In vielen Staaten Afrikas sei ein Umdenken in diese Richtung zu beobachten und es gäbe auch einige praktische Ansätze für eine veränderte Wirtschaftspolitik, so Kaboub. Trotzdem fehle den führenden Politikern Afrikas immer noch eine klare Zukunftsvision. Und die sei die Voraussetzung für spürbare positive Veränderungen.

Auf der Konferenz traten durchaus Meinungsverschiedenheiten zu Tage. Leider etwas zu kurz geriet die spannende Debatte zwischen Steffen Murnau und Warren Mosler einerseits um die Frage, ob die MMT die Entwicklung der Geldsysteme historisch richtig darstelle. Andererseits, inwieweit die MMT-Thesen im internationalen Raum überhaupt gültig seien. Murau wies darauf hin, dass die international wichtigen Währungen, insbesondere der US-Dollar, auch "offshore" geschaffen werden, also außerhalb der eigentlichen rechtlichen Zuständigkeit des Heimatlandes.

Das zeigt: Die Auseinandersetzung mit der noch relativ jungen Modern Money Theory steht erst an ihrem Anfang und nicht an ihrem Ende.

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[1] Vertreten waren ca. 150 Menschen aller Altersgruppen aus 27 Ländern und höchst unterschiedlichen beruflichen Zusammenhängen. Viele von ihnen hatten vor dem Wochenendkonferenzmarathon in Berlin schon an der dreitägigen MMT-Summer-School in Poznan teilgenommen.