Wirtschaftswissenschaft

Mikroökonomik darf nicht Grundlage der Makroökonomik sein

| 17. September 2024
IMAGO / Steinsiek.ch

Basiert die Makroökonomik auf mikroökonomischen Annahmen, übernimmt sie gleichzeitig ein fehlerhaftes Menschenbild. Denn Menschen sind selten rational oder nutzenmaximierend.

Es ist keine Überraschung, wenn Wirtschaftspolitiken nicht funktionieren. Obwohl sie vor allem mit makroökonomischen („makro“ = „groß") Zusammenhängen zu tun haben, folgen sie doch zumeist der Mikroökonomik („mikro“ = „klein“), an die auch die meisten Ökonomen glauben.

Doch die Mikroökonomik ist eine absurde Wissenschaft – sowohl in der Art und Weise wie sie angewandt und gelehrt wird, als auch wie sie menschliches Verhalten beschreibt. Sie geht von Menschen aus, die ihr Bestes geben und völlig rational sind. Wir würden alles über unsere Zukunft wissen und daher fundierte Entscheidungen treffen können. Dies ist alles Unsinn.

Zwar sind auch orthodoxe Ökonomen zumindest teilweise skeptisch gegenüber ihrem eigenen Fach und versuchen daher, einige ihrer Annahmen zu lockern, um zu sehen, ob sie unter bestimmten Umständen noch zutreffen oder nicht. Doch gleichzeitig gehen fast alle Wirtschaftsstudien von Rationalität, dem Streben nach maximalen Einkommen und Wohlergehen (meist) in Geldeinheiten sowie vollständigen Informationen über Gegenwart und Zukunft der Wirtschaftssubjekte aus.

Mit anderen Worten: Die Mikroökonomik basiert auf völlig irrationalen Annahmen. Folglich sind Annahmen wie "Märkte sind großartig", "Menschen sind Nutzenmaximierer" und "die Folgen unseres Handelns für andere sind uns gleichgültig, denn wen interessieren schon deren Belangen?" in der Gesellschaft weit verbreitet. Es zähle nur unser eigener Nutzen.

Eine winzige Weltanschauung

Wenn die überwiegende Mehrheit der Makroökonomen diese mikroökonomische Theorie als Grundlage für volkswirtschaftliche und wirtschaftspolitische Analysen wählt, nehmen sie einen Misthaufen und versuchen darauf ein ganzes Fachgebiet aufzubauen.

Ob das überhaupt gelingt, ist ohnehin zweifelhaft. Es wäre selbst dann ein völlig unlogisches Unterfangen, die Makroökonomik auf der Mikroökonomik aufzubauen, wenn man in der Mikroökonomie gewisse Rationalitäten finden könnte. Denn die gesamte Makroökonomik betrachtet ein völlig anderes Themenfeld als die Mikroökonomik.

In der Mikroökonomik geht es um den Einzelnen, das Unternehmen oder das Geschäftsleben. Im Grunde genommen ist es eine Weltanschauung in einem Mikrokosmos. In der Makroökonomik betrachtet man die ganze Welt, oder zumindest Nationalstaaten. Damit berücksichtigt sie Dinge, welche die Mikroökonomik völlig ignoriert.

Blinder Fleck externe Effekte

Daneben blendet die Mikroökonomik externe Effekte aus. Das sind Auswirkungen wie Umweltverschmutzung oder Krankheiten, die Unternehmen „nebenbei“ verursachen, wenn sie Alkohol, Tabak, hoch verarbeitete Lebensmittel und so weiter herstellen.

Während die Mikroökonomik meint, es wäre durchaus vernünftig, Externalitäten zu ignorieren, muss die Makroökonomik sie berücksichtigen. Tut sie das nicht, verstärken sich die übernommenen Fehler aus der Mikroökonomik. Die Folgen der Umweltverschmutzung oder des Konsums von Alkohol, Tabak oder hoch verarbeiteten Lebensmitteln werden so noch gravierender.

Das lässt sich auch beim Wetter und den Klimawandel beobachten. Die Welt wird heißer, weil wir beim Verbrennen riesiger Mengen an Kohlenstoff die Folgen unseres mikroökonomischen Verhaltens ignoriert haben. Es wird Jahrzehnte dauern, diese Folgen zu beheben – vorausgesetzt, wir schaffen es.

Und dasselbe gilt für Dinge wie hoch verarbeitete Lebensmittel und den übermäßigen Gebrauch von Zucker. Die Folgen sieht man überall. Fettleibigkeit und Diabetes sind ein ernsthaftes Problem. Der übermäßige Konsum von Zucker scheint sogar die Entstehung von Alzheimer und Demenz zu fördern.

Management statt Politik

Und doch klingen die politischen Reden von Ministern so, als ob sie diese externen Effekte ignorieren. Adressiert beispielsweise der britische Minister für Gesundheit und Soziales, Wes Streeting (Labour Party), das öffentliche Gesundheitssystem, spricht er vom „Management“: Er will die Nachfrage nach öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen in der Art und Weise managen, dass Gesundheitskosten begrenzt werden. Der Grund: mikroökonomisch gesehen ist das vernünftig.

Aber er spricht nicht darüber, wie er den übermäßigen Alkoholkonsum in den Griff bekommen will, obwohl dieser definitiv zu Depressionen, Fettleibigkeit und so vielem beiträgt. Er spricht nicht über die Bekämpfung der Zuckerindustrie, obwohl man mittlerweile weiß, dass ein großer Teil der Nachfrage nach öffentlichen Gesundheitsdienstleistungen auf den hohen Zuckerkonsum zurückzuführen ist, während die Tabakindustrie bis zu einem gewissen Grad besiegt wurde.

Streeting lässt also wirtschaftliche Aspekte unberücksichtigt, die jedoch zentral für die Bewertung der Frage danach sind, wie das öffentliche Gesundheitswesen verwaltet werden müsste. Er bewegt sich immer noch in einem mikroökonomischen Rahmen und geht davon aus, dass diese Dinge außerhalb seiner Kontrolle liegen

Doch Streeting ist ein Regierungsminister. Gänzlich anders als in einer mikroökonomischen Welt kann er Verordnungen erlassen, um wirtschaftliche Aspekte zu wandeln und damit gleichzeitig die Umwelt zu verändern.

Makroökonomik neu gedacht

Während die Mikroökonomik davon ausgeht, dass es eine Welt da draußen gibt, die wir nicht ändern können, ist die reale makroökonomische Welt durchaus politisch gestaltbar. Solange der Mainstream in der Makroökonomik aber fälschlicherweise lehrt, dass die Welt unveränderbar sei, werden Minister wie Streeting weiterhin dieser Fehlannahme nachhängen.

Denkt man Makroökonomik neu, könnte man die Art und Weise, wie Wirtschaft gesteuert und verwaltet wird, grundlegend ändern. Das betrifft nicht nur Institutionen wie das Finanzministerium oder die Zentralbank und ihre Zinspolitik, sondern grundsätzlich alles, was sich auf unser Wohlergehen auswirkt. Denn in der Wirtschaft geht es letztendlich darum – um das allgemeine Wohlergehen.

Darauf konzentriert, begrenzt die Wirtschaftspolitik Verwerfungen und fördert den Wohlstand. Aber im Moment scheint die Politik grundlegende Probleme nur managen aber nicht beseitigen zu wollen – und das ist ein großer Denkfehler.

Die Originalversion dieser Übersetzung ist auf Richard Murphys Blog funding the future erschienen.