Deutschland, die Welt und das Klima
Was machen wir mit der Mainstream-Klimaforschung? Und vor allem: Was tun wir, wenn widerstreitende Positionen auf dem Tisch liegen? Erik Jochem macht es sich in seinem Aufsatz „Der Planet muss schwitzen“ zu einfach.
Kritische Kritiker müssen sich immer vom Mainstream abgrenzen. Der Hauptstrom fließt immer falsch. Deswegen muss der kritische Kritiker sich äußern, um Schlimmeres zu verhindern. Das ist die perfideste Art des Groupthinking, die es gibt. Man stellt sich außerhalb der gedankenbeschränkenden Hauptgruppe, wähnt sich im Reich des freien Denkens und ist doch nur ein Reflex auf den Mainstream: Wenn der Mainstream „A“ sagt, muss der kritische Kritiker „Non-A“ sagen. Die Mainstreamgroup hat das Denken der Kritiker bestimmt, und die Kritiker hocken dann – solcherart fremdbestimmt – alle zusammen im gleichen Gruppenraum.
Sieht so ein reflektierter Umgang mit dem Mainstream aus? Wohl kaum.
Wenn wir auf die Diskussionen über den menschengemachten Klimawandel schauen, dann gibt es im Mainstream die mehr oder weniger ausgeprägte Überzeugung, dass es eben diesen menschengemachten Wandel gibt und dass er eine Bedrohung für die Menschheit darstellt. Wie groß ist sie, wann sind welche Kipppunkte erreicht? Das weiß letztlich niemand präzise. Es kann viel schlimmer kommen, als in den schlimmsten Szenarien angenommen. Es kann aber auch glimpflicher ausgehen.
Wie es sich für eine demokratische Gesellschaft und die dazugehörige Wissenschaft gehört, muss es einen wissenschaftlichen und öffentlichen Streit darüber geben, was richtig ist und was zu tun ist. Dazu gehören auch Stimmen und Argumente, die Zweifel an den von der überwiegenden Mehrheit der Klimaforscher vorgetragenen Prognosen und Ursachenanalysen vortragen. Leider finden diese Auseinandersetzungen zu selten im sachlichen Rahmen statt. Es ist inzwischen zu einem Allgemeinplatz geworden, dass unsere Debattenkultur verdorrt. Diejenigen, die mit ihrem Boot im Mainstream rudern, disqualifizieren anders Denkende schnell als unwissenschaftlich ab und erheben ihre Position zur einzig wahren Wissenschaft. Das ist vermessen und macht aus Wissenschaft Ideologie. Andere hocken in ihren Darkrooms und meinen ohnehin zu wissen, dass sie alles besser wissen.
Was machen wir nun mit der Mainstream-Klimaforschung? Und vor allem: Was tun wir, wenn widerstreitende Positionen auf dem Tisch liegen?
Erik Jochem jedenfalls macht es sich in seinem Aufsatz „Der Planet muss schwitzen“ zu einfach. Für ihn gibt es „Wissenschaft“ eigentlich nur, wenn das nackte Faktum sich zeigt. So etwas gibt es natürlich nicht. Aber deswegen gibt es für Jochem auch wenig Wissenschaft, aber viel bloßen „Meinungsstreit“. Und da die Klimawissenschaft „modelllastig“ ist und das factum brutum nicht auf den Tisch liegt, sind wir berechtigt, ihre Wissenschaftlichkeit in Frage zu stellen.
So funktioniert Wissenschaft aber nicht. Wissenschaft stellt Behauptungen auf, die sie mit Argumenten zu beweisen sucht. In diese Argumente können einfache Annahmen fließen, aber auch ganze „Modelle“ (also eine Vielzahl von Annahmen, die in einen Kausalnexus miteinander gestellt werden) oder Ergebnisse aus empirischen Untersuchungen. Wissenschaft ist ein permanenter Lernprozess, in dem theoretische Annahmen und Interpretationen empirischer Forschung (Empirie ohne Interpretation gibt es nicht) einer permanenten Revision unterliegen. Den Punkt der absoluten Wahrheit werden wir nie erreichen. Wahrheit ist eine regulative Idee, aber nichts, was wir auf den Tisch legen können. In der Wissenschaft sollte der zwanglose Zwang des besseren Argumentes gelten. Wer sich dem entzieht, ist entweder ein Ideologe oder jemand, der sich seine Narrenfreiheit erhalten will. Wer Wissenschaft auf bloßen „Meinungsstreit“ reduziert, möchte zur Beliebigkeit eines „anything goes“ einladen.
Wir können also der Klimaforschung nicht die Wissenschaftlichkeit absprechen, nur weil sie mit Modellen arbeitet. Was macht ein verantwortungsvoller Politiker in dieser Situation? Hört er einfach auf den Mainstream, weil es der Mainstream ist? Nein, er hört sich die widerstreitenden Positionen an und wird dann sein Handeln an seriösen Szenarien orientieren, die vor den Gefahren des Klimawandels warnen – selbst, wenn er für sich nicht ausschließen kann, dass es falsch ist. Die kölsche Überzeugung „Et hätt noch immer jot jejange“ zum Leitsatz des Handelns zu machen, wäre jedenfalls unverantwortlich.
Eine monothematische Politik allerdings, die nur noch eine Verhinderung des menschenbedingten Klimawandels zur Maxime hat, kann nicht die Konsequenz sein. Jede monothematische Politik birgt die Gefahr des Terrors in sich, weil alles andere ignoriert und unterdrückt wird. Politik muss deswegen die berechtigten und auch die nur imaginierten Sorgen und Nöte der Bevölkerung im Blick haben. Ein Umbau der Energieversorgung zum Beispiel, der die Versorgungssicherheit ausblendet oder die Grenzen der finanziellen Belastbarkeit der Bürger überdehnt, ist zum Scheitern verurteilt. Kompromiss und Augenmaß gehören zu guter Politik. Ansonsten entsteht eine Gegenbewegung, der sich Menschen gerne anschließen, weil sie ihnen einfache Geschichten erzählt: etwa, dass der Klimawandel nur ein Märchen des linksgrünen Mainstreams ist und alles so bleiben kann, wie es ist. Wer lässt sich nicht gerne belügen, wenn man dann mit angenehmerem Gefühle nach Hause gehen kann? Der Märchenerzähler heißt in unserem Land AfD.
Alle von Jochem geforderten Maßnahmen für eine Verbesserung des lokalen Klimas in Hamburg sind wahrscheinlich richtig. Wer würde ihm widersprechen? Aber warum diskreditiert er gleichzeitig das angeblich nur deutsche und dem Rest der Welt fremde Streben, den CO2-Ausstoß zu mindern? Bei der Lektüre hat man zudem manchmal den Eindruck, dass Jochem uns – auch die Klimaforscher? – meint darüber belehren zu müssen, dass CO2 für ein Leben auf Erden notwendig ist. Dieser Zusammenhang ist bekannt.
Unsere Außenministerin hat diesen Sommer Brasilien bereist. Weder Präsident Lula noch sein Außenminister hatten Zeit für Annalena Baerbock. Dies ist einer von vielen Belegen, dass die Welt nicht hinter dem „Westen“ oder Deutschland steht, wenn es um eine Positionierung im Ukrainekrieg geht. Der Westen hat die Welt nicht gegen Russland vereint. Sie ist in dieser Frage gespalten und viele Staaten, die der Westen gerne gewonnen hätte, verweigern die Gefolgschaft. Das dokumentiert die aktuelle Schwäche des Westens.
Aber wie ist es in der Klimafrage? Ist die CO2-Reduzierung ein westliches, gar bloß deutsches von falschem Moralismus und Aktionismus geprägtes Anliegen, das wir Deutsche in die Welt hinaustragen, die es aber nicht hören will?
Jochem hat Recht, dass auf dem G20-Gipfel im September kein Zeitpunkt für den Ausstieg aus der Kohleverbrennung beschlossen wurde. Aber wenn man den ganzen von ihm verlinkten Artikel liest, wird deutlich: Globale Erwärmung ist keine Marotte deutschen Denkens, sondern beschäftigt natürlich die Weltöffentlichkeit. So wurde auf dem Treffen eine Verdreifachung der Erneuerbaren Energien beschlossen. Und: Auch wenn sich Staaten des globalen Südens nicht das westliche Gängelband umlegen lassen wollen und sich auf einen zeitlich festgelegten Verzicht von Kohle nicht einlassen, um sich Entwicklungsmöglichkeiten offenzuhalten, heißt das nicht, dass die Zukunft zum Beispiel in Afrika fossil ist. Wahrscheinlicher ist, dass Afrika das fossile Zeitalter überspringt.
Schauen wir ferner auf die Pläne Chinas, das nicht im Verruf steht, sich von Baerbock und Kollegen die Welt erklären zu lassen. China ist „selber groß“. Xi hat 2020 einen Plan für eine CO2-freie Wirtschaft vorgestellt. Nach diesem Plan wird China 2030 seinen CO2-Peak erreicht haben und in 2060 CO2-neutral sein. Über Indien und andere Staaten lässt sich ähnliches berichten. Wir scheinen nicht ganz allein zu sein. Deutschland will zwar schon früher, nämlich 2045, CO2-neutral sein. In diesen unterschiedlichen Daten spiegelt sich wieder, dass China immer noch ein Entwicklungsland ist und die Energieversorgung einer nach Wohlstand für alle strebenden Nation nicht einfach Klimazielen untergeordnet werden kann. Deutschland ist ein Industrieland, das in einer anderen Ausgangssituation ist.
Stellen wir uns das Jahr 2100 vor. Die ganze Welt hat es geschafft, die Energieerzeugung auf Erneuerbare Energien umzustellen und sich von endlichen Ressourcen abzukoppeln. Die Versorgung ist stabil und der einzige Risikofaktor ist die endgültige Abdankung der Sonne, was aber noch ein paar Milliarden Jahre Zeit hat. Die Wüsten dieser Welt behalten ihre Bedeutung für die Energieversorgung. Sie schicken nun kein Öl mehr, sondern Wasserstoff, durch Wüstenwind – und Sonne gewonnen. Es gibt viele und überraschende technische Innovationen, weil Forschung und Industrie wussten, wohin die Reise geht.
Treiber für diese Entwicklung war die Angst vor dem von Menschen gemachten CO2-Ausstoß. Jetzt stellt sich heraus, dass die ganzen Prognosen zum Klimawandel und die Annahmen über die Wirkzusammenhänge falsch waren. Die Welt war Opfer einer kollektiven Verblendung. Doch es gibt Schlimmeres als auf Basis eines Irrtums eine nachhaltige Energieversorgung aufzubauen. Es ist alles, alles gut.