Geeintes EUropa – der geplatzte Traum
Liebe Leserinnen und Leser,
die älteren von Ihnen erinnern sich sicher noch: die Europäische Union wollte ein Projekt der Stärke sein – ökonomisch und politisch, gewachsen aus den Lehren der Geschichte. Viele Krisen später ist davon nicht viel mehr übriggeblieben als die leere Rhetorik von Ursula von der Leyen.
Der Traum eines souveränen und machtvollen Europas ist geplatzt, weil Anspruch und Wirklichkeit immer weiter auseinanderklaffen. Und weil das technokratische Monster EU reformunfähig ist. Schon lange sind die selbstsicheren Lobeshymnen aus dem Elfenbeinturm der Ökonomik auf das vermeintliche Erfolgsmodell Euro und gemeinsamer Binnenmarkt verstummt.
Der Euro, als Symbol europäischer Einheit gedacht, hat die Kluft zwischen Nord und Süd vertieft. Der angestrebte Angleichungsprozess hat sich in sein Gegenteil verkehrt. Für viele Länder ist der Euro kein Motor, sondern eine Fessel, die Wachstum verhindert, Wettbewerb verzerrt und Krisen verschärft.
Europa, einst durch Offenheit und Dynamik reich geworden, hat – dafür hätte es den Draghi-Bericht nicht gebraucht – den Anschluss an die Großmächte USA und China längst verloren. Auf der einen Seite ersticken fiskalische Fesseln und ökonomische Dogmen die volkswirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedsstaaten, auf der anderen Seite Überregulierung sowie zahllose bürokratische Verordnungen und Gesetze wichtige Innovationen.
Nur das jüngste Krisensymptom des ins Extrem getriebenen Supranationalismus ist die Lage in Frankreich: Die nach den willkürlich definierten Maastricht-Kriterien zu hohen Staatsschulden des Landes haben nicht zum ersten Mal eine Regierungskrise ausgelöst. Macron wird in Brüssel und Berlin um jeden Preis gestützt – nicht aus Überzeugung, sondern weil sein Sturz das fragile französische aber auch innereuropäische Machtgefüge ins Wanken bringen könnte.
Das Muster könnte deutlicher kaum sein: Unfähig zu grundlegenden Reformen, verwaltet die EU-Kommission ihre Probleme und verlangt noch mehr Kompetenzen – heißt: noch mehr von der falschen Medizin. Der große Traum von Integration und neuer Stärke ist an einer dysfunktionalen Architektur gescheitert. Weil weniger manchmal mehr ist, steht Europa an einem Scheideweg: Rückbau oder Absturz.
Alle Artikel dieser Ausgabe:
- Wie Europa reich wurde – und warum es heute den Anschluss zu verpassen droht Die EU-Institutionen verstehen sich immer weniger als Förderungsagenturen. Sie wollen lenken und kontrollieren. Tobias Straumann
- Scheitern auf Raten: Der Euro und das wirtschaftliche Desaster der EU Die Einheitswährung spaltet statt verbindet – Gewinner sind nur wenige. Das supranationale Integrationsmodell der EU steht an einem Scheideweg. Thomas Fazi
- Hauptsache, Macron bleibt an der Macht Die Politik des französischen Staatschefs ist aus deutscher und europäischer Sicht alternativlos. Dass er keine Mehrheit mehr hat und schon wieder den Premierminister auswechseln muss, löst zwar große Sorgen aus, bewirkt aber kein Umdenken. Eric Bonse
- Brasiliens Grenzen im Kampf gegen die Finanzwelt Brasiliens Wirtschaft wächst – doch die Inflation, der Zinsschock und internationale Spannungen drohen den Aufschwung abzuwürgen. Hält Lula 3.0 dennoch Kurs? Sergio Paez
- Chinas Weg in eine gelenkte Marktwirtschaft: die Transformation der Staatsbetriebe 1984 bis 2007 Sonderwirtschaftszonen statt Schocktherapie, Joint Ventures und Kooperationen als Laboratorien der Reform – wie China der Weg in die Marktwirtschaft gelang, ohne das ganze Land aufs Spiel zu setzen. Rainer Land
- Amerika – zwischen Boom und Bust Trump verspricht den großen Boom, die Börsen feiern euphorisch – doch die US-Wirtschaft stolpert: Zölle, Steuerreformen und Chaos verzerren die Zahlen. Was steckt hinter dem scheinbaren Aufschwung und wie fragil ist er? Jörg Bibow
- Statt regionale Erbschaftsteuer: eine zentrale Zucman-Steuer Markus Söder will die Erbschaftssteuer regionalisieren. Doch das würde dazu beitragen, sie letztlich abzuschaffen. Klüger wäre es, die Einnahmen dem Bund zukommen zu lassen – und eine Mindeststeuer auf sehr große Vermögen einzuführen. Gerd Grözinger
- Fördern Schulden des Staates die soziale Ungleichheit? Schulden gehen mit Ersparnissen einher. Vor allem aber wohlhabendere Teile der Gesellschaft sparen. Fördern damit die Schulden des Staates die soziale Ungleichheit? Die Redaktion