Die Cum-Ex-Lobby schlägt zurück
Mit ihren hartnäckigen Ermittlungen im Cum-Ex-Betrug hat sich die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker Feinde gemacht. Wollte der Grüne Justizminister in NRW die Strafverfolgungsbehörde deshalb umbauen?
Die Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker hätte es sich im „verworrenen“ Cum-Ex-Skandal leichter machen können, schrieb die Süddeutsche Zeitung bereits vor fast drei Jahren: „Vergleiche mit Banken, kurze, schnelle Verfahren, nur wenige Beschuldigte. Aber sie wollte das ganze Bild haben. (…) Einzelne Banker anzuklagen, genügt der diskreten Juristin nicht.“
Doch „verworren“ ist die Wahrheit nur deshalb, weil ein Teil der führenden Politiker der Meinung ist, dass es kein Unrecht sei, nicht gezahlte Steuern vom Staat zurückzuverlangen. Und „zum ganzen Bild“ gehört natürlich auch die Kehrseite eines solchen Bewusstseins: dass es rechtmäßig und in Ordnung sei, Staat und Kommunen die nötigen Mittel zu entziehen, um die Infrastruktur, also den öffentlichen Verkehr oder die Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen in einem akzeptablen Zustand zu halten.
Dass die öffentlichen Güter, die Gemeingüter dramatisch unterfinanziert sind, ist längst kein Geheimnis mehr.
Um das zu ändern, gäbe es zwei sich ergänzende Möglichkeiten: erstens, ausreichende und sozial gerechte Steuern; zweitens, der Steuerflucht die Grundlagen zu entziehen.
Für letzteres hatte sich Brorhilker eingesetzt. Dafür bekam sie bis vor kurzem auch die Unterstützung ihres zuständigen Justizministeriums in Nordrhein-Westfalen, von dem vorherigen Justizminister Biesenbach (CDU), oder zuvor auch die des Sozialdemokraten Norbert Walter-Borjans, der das Finanzministerium von 2010 bis 2017 führte. Damals kämpfte Borjans selbst als Minister gegen Steuerbetrug und seine Hintermänner. (Walter-Borjans, „Steuern – der große Bluff“)
Grüner Justizminister wollte Cum-Ex-Ermittlerin entmachten
Jetzt aber scheint sich der Wind zu drehen. „Neuer Behördenleiter will Deutschlands wichtigste Cum-Ex-Ermittlerin entmachten“, titelte das Handelsblatt am 20. September. Der Focus berichtete kurz darauf von dem Verdacht einer „schleichenden Demontage der als Mrs. Cum-Ex gefeierten Strafverfolgerin Brorhilker“.
Ausgerechnet der neue grüne NRW-Justizminister Benjamin Limbach hatte die Absicht, jene Strafverfolgungsbehörde umzustrukturieren, die nach Einschätzung der Fachleute bisher überaus erfolgreich gearbeitet hat. Brorhilker wurde als Hauptabteilungsleiterin für die Hauptabteilung H (Bearbeitung von Wirtschaftsstrafsachen in Zusammenhang mit sogenannten Cum/Ex-Geschäften) vom US-Medienhaus Bloomberg 2021 zu den „50 Most Influential People“ in der Kategorie Finance weltweit gerechnet.
Was Bloomberg für bemerkenswert hielt: dass sie mit dem BGH-Urteil, wonach Cum-Ex-Geschäfte strafbar sind, einen „landmark court case“ gewonnen habe, und des weiteren eine dritte Verurteilung und die Auslieferung eines Verdächtigen aus England erreichen konnte. Brorhilker wurde deshalb als deutsche Anklägerin bezeichnet, welche die Finanzinstitute fürchten, so die (übersetzte) Überschrift bei Bloomberg im Dezember 2021.
Dazu muss man wissen, dass Brorhilker mit 30 Staatsanwälten sowie Kriminalbeamten und Steuerfahndern gegen mehr als 1.700 von insgesamt 1.800 Beschuldigten ermittelt. Darunter auch Verantwortliche der Landesbanken WestLB und HSH Nordbank, die trotz ihrer staatlichen Eigentümer im Verdacht stehen, ordentlich in die Staatskasse gegriffen zu haben.
NRW-Justizminister Limbach hatte nun vor, Brorhilkers Hauptabteilung zu teilen, sodass sie ihr halbes Team im Kampf gegen Steuerhinterzieher verliert. Das Handelsblatt attestierte dem vorgesehenen neuen Co-Chef Ulrich Stein-Visarius, bisher Leiter des Referats für Jugendstrafrecht im NRW-Justizministerium, keine Erfahrung in der Steuerfahndung zu haben: „Viele Banker dürften aufatmen.“
Deutliche Kritik kommt auch vom Kölner Generalstaatsanwalt, wie der WDR berichtete: Es sei fraglich, ob ein solcher Umbau der Strafverfolgungsbehörde gegen den Willen von Oberstaatsanwältin Brorhilker zielführend sei. Die Cum-Ex-Fälle seien derart komplex und verwoben, dass die jetzige Struktur mit Brorhilker an der Spitze inhaltlich Sinn ergebe. Es könne gar der Eindruck entstehen, dass durch eine Aufspaltung die Cum-Ex-Ermittlungen behindert würden.
In der Tat steht viel auf dem Spiel – sowohl für die Politik in Berlin als auch für den Rechtsstaat und die Glaubwürdigkeit des demokratischen Systems insgesamt.
Die Politik ist gleich mehrfach betroffen
Die ersten sieben Gerichtsverfahren haben alle mit Gefängnisstrafen geendet, mit vielen weiteren ist zu rechnen. Das BGH-Urteil von 2021 hat die große Beschwichtigung von der vielleicht nicht legitimen, aber doch legalen Cum-Ex-Praxis endgültig vom Tisch gewischt.
Mit dem Gerichtsverfahren gegen den Warburg-Bankchef Christian Olearius trifft es die Hamburger High Society. Ebenso involviert sind die Spitzen der Hamburger SPD bis hin zu Bundeskanzler Scholz, damals Erster Bürgermeister von Hamburg. Das Pech für die SPD und Scholz: Olearius hat seine Tätigkeiten penibel in einer Lederkladde aufgezeichnet, wie Oliver Schröm und Oliver Hollenstein in ihrem Buch „Die Akte Scholz“ festgehalten haben. Dass dieses Beweismittel beschlagnahmt wurde, ist ebenfalls das Verdienst der Oberstaatsanwältin Brorhilker. Der Hamburger Untersuchungsausschuss wird mit Sicherheit weitere Details liefern, wenn dies nicht vom NRW-Justizministerium verhindert wird. Doch die massive Kritik scheint nun auch Limbach unter Druck zu setzen. Neuesten Meldungen zufolge rudert er zurück und will von der Umstrukturierung „bis auf weiteres“ Abstand nehmen.
Es sind aber auch Mitarbeiter und Vorstände der größten Finanzplayer Deutschlands betroffen, unter ihnen die Deutsche Bank, die WestLB, die DekaBank und die Deutsche Börse. Mit der WestLB und der HSH-Nordbank ist auch das personelle Gewebe von Kommunal- und Landespolitikern und den öffentlich-rechtlichen Großbanken ins Visier der Ermittlungen zu Cum-Ex gekommen. Beide Banken gibt es in dieser Form nicht mehr, beide hatten zu viele Skandale geliefert und für die Steuerzahler „Altlasten“ hinterlassen. Allein Olearius wird vorgeworfen, den Staat und damit das Gemeinwesen um 280 Millionen Euro betrogen zu haben.
Aber noch verheerender ist der Glaubwürdigkeitsverlust von Spitzenpolitikern. Das zeigt sich nirgends deutlicher als an der Person von Olaf Scholz. Nicht nur fehlt ihm jede Erinnerung an seine Begegnungen mit Olearius, er hat auch den Abteilungsleiter im Bundesfinanzministerium, der die Hamburger Finanzbehörden drängte, die Forderungen aus den kriminell erlangten Cum-Ex-Millionen zurückzufordern, in den vorzeitigen Ruhestand geschickt. Das geschah, nachdem Scholz Bundesfinanzminister wurde.
Auch auf Gesetzesebene hat Scholz versucht, Altfälle im Cum-Ex-Bereich verjähren zu lassen. Gleichzeitig trat er in der Öffentlichkeit als der Vorkämpfer gegen Wirtschaftskriminalität à la Cum-Ex auf. Am 1. Juli 2020 klang das nach einer Sitzung des Bundestagsuntersuchungsausschusses so:
„Ich bin überzeugt, dass wir alle eine große Gemeinschaftsanstrengung nötig haben, um die schlimmen Cum-Ex-Fälle aufzuklären … Unser Geld Stück für Stück zurückzuholen … Alle arbeiten hart daran. Erstens, diese Fälle der Vergangenheit aufzuklären. Und zweitens, was ebenfalls sehr sehr wichtig ist, alle Erkenntnisse zu gewinnen, die uns in die Lage versetzen, dass wir uns so aufstellen, dass so etwas nie wieder passiert.“
Das ist nichts anderes als eine gewaltige Irreführung der Öffentlichkeit. Denn auch auf benachbarten Feldern wie dem Kampf gegen Geldwäsche hat die Bundesregierung, der Scholz als Finanzminister angehörte, versagt. Zusammen mit dem Experten für Geldwäsche Andreas Frank stellt der Finanzkorrespondent Markus Zydra im Buch „Dreckiges Geld“ fest: „Der deutsche Staat verletzt das eigene Gesetz.“ Und sie fragen: „Aber wo bleibt der öffentliche Aufschrei?“ Dass der ausbleibt, ist kein Wunder, wenn schon der kritische Bericht des Bundesrechnungshofs als „vertrauliche Verschlusssache“ behandelt wird.
Ein hoher Preis
Mindestens ebenso bedeutend ist die mutige Einsatzbereitschaft jener Steuerfahnderinnen und -fahnder, die sich gegen alle Widerstände und unschönen Behandlungen für den Rechtsstaat einsetzen. Frauen wie Birgit Orths haben ihre Arbeit unter erschwerten Bedingungen veröffentlicht („Als Steuerfahnderin auf der Spur des Geldes“). Der Verein zur Untersuchung von Wirtschaftskriminalität „Business Crime Control“ hatte sie im Sommer dieses Jahres zu seiner Jahrestagung eingeladen.
Dort lieferte auch Dirk Peglow, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter e.V., eine Menge an Beispielen dafür, wie der Kampf gegen Steuerbetrug und Geldwäsche von der Politik regelrecht behindert wird: „Wir arbeiten nur mit dem, was uns andere Länder über den Zaun werfen.“ Die Politik setze Justiz und Ermittlungen beim Kampf gegen Geldwäsche und Steuerbetrug oft außer Gefecht, sorge nicht für genügend gesetzliche Grundlagen, organisatorische Ressourcen und ausreichend Personal.
Erinnert sei an die vier hessischen Steuerfahnder, für deren rechtwidrige Entlassung und Psychiatrisierung das Land Hessen, damals unter dem CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, nie angemessenen Schadensersatz leistete. (Siehe dazu das Buch „Ausgekocht“ von Matthias Thieme und Pitt von Bebenburg).
Was mit Mitarbeitern passiert, wenn sie – nach ihren Maßstäben – unrechtmäßige Vorgänge nicht mittragen wollen, zeigen neuere Beispiele aus der Versicherungswirtschaft und der Rüstungsindustrie, die gegenwärtig „Business Crime Control“ erreichen: ihre Entlassung aus dem Unternehmen und ihre Isolation. Das ist ein hoher Preis.