Neues Themenheft
Energie für die Wende?
Von Heinrich Röder
| 12. Oktober 2023IMAGO / Daniel Reinhardt
Ist Deutschland Avantgarde oder auf dem Weg in die Sackgasse? Über Probleme, Irrwege und unlösbar scheinende Herausforderungen der Energiewende.
Deutschland kommt aus der Nummer nicht mehr raus. Die Energiewende ist gesetzt. Da gibt es kein Zurück mehr. Was haben wir uns da nur eingebrockt? Begeben wir uns mal wieder auf einen deutschen Sonderweg? Und am Ende stehe wir ganz alleine da ‒ mit unserer merkwürdigen Ambition von 100 Prozent erneuerbar! Womöglich alles viel zu teuer! Und wir haben auch noch vergessen, dass die Sonne nachts nie scheint und der Wind macht, was er will! Können wir diesen Sonderweg nicht mehr verlassen, weil wir zum einen ideologisch vernagelt sind und uns zum anderen vor der Weltöffentlichkeit der Lächerlichkeit preisgeben würden?
Bei Lichte betrachtet gibt es keine Alternative zu 100 Prozent erneuerbar, wenn man CO2-Neutralität anstrebt. Immer wieder wird mal die Atomkraft als Alternative oder Ergänzung zu den erneuerbaren Energien aus dem Hut gezaubert. Aber es gibt im Wesentlichen nur Renaissancen der Ankündigung einer Renaissance der Atomkraft. Schaut man sich die Statistiken der letzten 20 Jahre an, ist ihr Zubau gering. Weltweit gab es einen massiven Ausbau der Windenergie – und leider – in viel größerem Maße – der Kohlekraft. Der weltweite Energiemix wird sich in den nächsten Jahrzehnten immer mehr von den fossilen Energieträgern zu Windenergie und verstärkt Fotovoltaik verschieben. In welchem Maße und in welcher Geschwindigkeit dies geschehen wird, darüber wird natürlich gestritten – und die Prognose hängt leider oft genug von den mit Interessen verwobenen Annahmen der Prognostiker ab. Und die weltweite Atomkraft? Man wird sehen.
Es spricht viel dafür, dass das deutsche Ziel – 100 Prozent erneuerbar – richtig ist. Und es sind auch vielfach die richtigen politischen Instrumente in die Hand genommen worden. Das deutsche EEG, das den Preis und die Abnahme von erneuerbar gewonnenem Strom regelt, war und ist eine Erfolgsgeschichte – trotz vieler politischer Fehler. Teuer kommt uns die Energiewende, weil durch politische Entscheidungen (Atomausstieg, Kohleausstieg) funktionierende Kraftwerke zu Industrieruinen wurden.
Langfristiges Denken hätte uns viel Geld erspart und insbesondere Merkel hat sich als teure Opportunistin erwiesen: Erst weicht sie den seinerzeit von der Rot-Grünen Bundesregierung in 2001 mit der Energiewirtschaft ausgehandelten Atomausstieg auf, dann bremst sie nach Fukushima die Atomenergie radikal aus. Das kostete den Staat viel Geld – und der Ministerpräsident in Baden-Württemberg wurde 2011 trotzdem nicht mehr von der CDU gestellt. Ob eines Tages – wenn die neue Energieinfrastruktur steht – erneuerbare Energie billiger oder teurer als die andere sein wird, wird sich zeigen. Der Prognosen gibt es viele. Es spricht viel dafür, dass auch preislich die Erneuerbaren an den Konventionellen vorbeiziehen.
Die Energiewende ist heute vielfach diskreditiert, nicht nur weil es unpopuläre und vielleicht auch falsche politische Entscheidungen wie das Heizungsgesetz gibt, sondern weil in der Öffentlichkeit – insbesondere von der AfD – Energiewende und das Handeln der Ampelregierung im Wirtschaftskrieg mit Russland in einen Topf geworfen werden. Ob wir es bei letzterer mit der „dümmsten Regierung Europas“ (Wagenknecht) zu tun haben, möge jeder für sich selbst entscheiden. Sicher ist nur: ohne Gas keine Energiewende. Es wird als Ergänzung der fluktuierenden Erneuerbaren gebraucht, heute primär als natürliches Gas, in Zukunft primär als mit Erneuerbaren produziertes Gas.
Krieg ist immer auch eine ökologische Katastrophe ‒ und der Verzicht auf russisches Gas ist mit Sicherheit keine ökologische Heldentat. Weil wir Gas auch und gerade für die Energiewende brauchen, kommt es nun woanders her: teurer und mit zusätzlichen ökologischen Folgekosten (man denke nur an das amerikanische Fracking-Gas). Die bittere Ironie dieses Krieges ist aber, dass er gleichzeitig die Energiewende voranbringt. Die Panik, dass ohne russisches Gas die Lichter ausgehen, führte zum Beispiel zu einer EU-Notfallverordnung, die deutliche Vereinfachungen im Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen zur Beschleunigung der Energiewende erlaubt. Brauchen wir erst einen Krieg, damit wir handeln? Warum reicht die Einsichtsfähigkeit einer Gesellschaft nicht auch ohne ein solch schreckliches Ereignis aus?
Auch wenn es oft anders von interessierter Seite suggeriert wird: Deutschland ist mit seinen Energieambitionen in Europa und der Welt nicht alleine.
Wir dürfen uns aber nichts vormachen. Den Klimawandel werden die Menschen nicht verhindern können. Dazu geht alles viel zu langsam. Politik muss zudem das rechte Maß finden. Sie muss konsequent den Weg gehen, aber sie darf die Menschen nicht überfordern. Das Umweltbewusstsein mag täglich zunehmen, das Handeln ändert sich aber nicht. Flüge nehmen nicht ab, es wird nun allenfalls schambesetzt geflogen. Ökologische Missionare der Ober- und Mittelschicht predigen öffentlich Wasser, trinken aber weiterhin ihren Wein. Teuerungen können sie zudem wegstecken. Die weniger Begüterten wissen das und sind deswegen nicht bereit, das Spiel mitzumachen. Das darf man nicht vergessen.
Ist Deutschland Avantgarde oder auf dem Weg in die Sackgasse? Das wird die Geschichte zeigen. Dieses Editorial wirbt für das Ziel „100 Prozent erneuerbar“, das wir nicht aus dem Auge verlieren sollten. Die Beiträge in unserem neuen Themenheft "Energie für die Wende" beschreiben dabei die Probleme, Irrwege und unlösbar scheinenden Herausforderungen, vor denen wir stehen. Dabei schimmert schon einmal Resignation durch. Das ist nur zu verständlich – zumal uns nicht nur die Energiewende, sondern eine wie auch immer geartete umfassende Transformation unseres Wirtschaftens ins Haus steht, wenn wir denn wollen, dass es auf dieser Erde ein gutes Leben für die Menschen gibt.
Bei diesem Text handelt es sich um das Editorial unseres neuen Themenhefts "Energie für die Wende".