Mehr Mittel für die Multikrise
Die Finanzlage beim EU-Budget ist derzeit angespannt. Die multiplen Krisen auf EU- und globaler Ebene schlagen sich in erheblichen unvorhergesehenen Ausgaben nieder. Die Europäische Kommission schlägt daher eine deutliche Mittelaufstockung für die EU-Budgets bis 2027 vor. Aber nicht nur das: Auch eine Reaktion auf den US-Inflation Reduction Act ist im EU-Haushalt eingeplant. Auf der Strecke bleiben jedoch gerade Mittel für sozialpolitische Anliegen.
Mittelaufstockung erforderlich
Die Europäische Kommission informiert in einer Mitteilung anlässlich der Überprüfung des EU-Finanzrahmens 2021–2027, dass mehrere Anpassungen bei den EU-Budgets für die nächsten vier Jahre notwendig sind. Binnen kurzer Zeit ist es demnach zu einer Reihe von Krisensituationen gekommen, die im EU-Haushalt nicht eingeplant waren:
- Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat zu zusätzlichen unvorhersehbaren Aufwendungen geführt. Für die nächsten vier Jahre (2024 bis 2027) plant die Kommission nun Mittel in Höhe von zusätzlichen 50 Milliarden Euro ein, die für den Wiederaufbau und die Modernisierung der Ukraine verwendet werden sollen.
- Gerade bei den zahlreichen Waldbränden in der EU hat die Union umfangreiche Unterstützungsmaßnahmen gesetzt. So wurden unter anderem die Kapazitäten der EU-Löschflugzeugflotte mit EU-Mitteln verdoppelt. Auch auf die Überschwemmungen in vielen Mitgliedsländern wie beispielsweise Slowenien hat die Europäische Union erst kürzlich mit umfangreichen Finanzhilfen reagiert. Hilfen wurden zudem bezüglich der Unwetter in Bulgarien und Griechenland angekündigt. Außerhalb der EU sind insbesondere das verheerende Erdbeben in der Türkei und Syrien mit mehr als 50.000 Toten im Februar 2023 und die Überschwemmungen in Libyen mit mehr als 10.000 Toten im September 2023 zu nennen, für die Hilfsleistungen bereitgestellt wurden. Aufgrund der zahlreichen Krisensituationen sind die EU-Mittel für humanitäre Hilfe jedoch bereits jetzt vollkommen ausgeschöpft. Zudem kommt es zu einer verstärkten Migration aus Drittstaaten, die ebenfalls zu höheren Kosten führt. Die Kommission rechnet mit einem finanziellen Zusatzbedarf von rund 15 Milliarden Euro bis 2027 für humanitäre Hilfe und Migration.
- Die durch den starken Anstieg bei Energiepreisen, Lebensmitteln und Mieten ausgelöste hohe Inflation hat auch zu einer erheblichen Erhöhung bei den EZB-Leitzinssätzen geführt. Dadurch steigen auch die Finanzierungskosten für das NextGenerationEU-Konjunkturprogramm, für das die EU-Kommission eigene Kredite aufgenommen hat. Die zusätzlichen Aufgaben erhöhen aus Sicht der Kommission zudem die Aufwendungen für die Verwaltung, die ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Konkrete Zahlen nennt die Europäische Kommission keine, der Think-Tank Bruegel geht aber von Zinskosten in Höhe von rund 30 Milliarden Euro aus – doppelt so viel wie ursprünglich veranschlagt.
Neues Programm zur Förderung von strategischer Technologie
In Reaktion auf den technologiefokussierten Inflation Reduction Act der USA und ähnlichen Initiativen Chinas schlägt die Europäische Kommission zudem die Gründung einer neuen Plattform für strategische Technologien für Europa (STEP) vor. Ziel ist die verstärkte Ansiedelung von Konzernen aus dem Hochtechnologie-Bereich in der Europäischen Union. Zudem soll mit dem neuen Programm Expertise im High-Tech-Bereich gefördert und dem Arbeitskräftemangel in diesem Wirtschaftssektor entgegengewirkt werden.
Grundsätzlich ist STEP damit durchaus begrüßenswert. Absolut nicht nachvollziehbar ist jedoch, warum eine Einbeziehung der Sozialpartner nicht vorgesehen ist, obwohl die Plattform sowohl beschäftigungs- als auch wirtschaftspolitisch hohe Relevanz hat. Auch sonst weist der Vorschlag noch einige Lücken auf. So fehlen klare Kriterien für die Vergabe von Förderungen. Trotz der EU-Mittel, die zur Verfügung stehen werden, muss zudem der hohe Finanzierungsbedarf für diese Initiative mitbedacht werden. Gelder zur Finanzierung der Plattform sind in bestehenden EU-Programmen wie dem Innovationsfonds, InvestEU, Horizont Europa oder dem Aufbau- und Resilienzfonds vorgesehen. 10 Milliarden Euro sollen über eine eigene Aufstockung des EU-Budgets aufgebracht werden.
Es ist jedoch davon auszugehen, dass vor allem die Mitgliedsstaaten viele der Vorhaben mitfinanzieren werden. Dafür muss den EU-Staaten ein entsprechender finanzieller Spielraum eingeräumt werden. Eine Möglichkeit wäre die Einführung einer goldenen Investitionsregel für Fördermittel im Bereich strategischer Technologien.
Sozialpolitische Programme werden außer Acht gelassen
Nicht nachvollziehbar ist, dass sich gerade in Zeiten der Krise in der Kommissionsmitteilung zur Überprüfung des EU-Budgets kein Wort zu den Fonds mit sozialpolitischer Ausrichtung findet. Bereits bei der Verabschiedung des EU-Finanzrahmens im Jahr 2020 war festzustellen, dass das Budget für den Europäischen Sozialfonds gekürzt wurde, statt es zu erhöhen. Die Mittel aus dem EU-Klimasozialfonds wiederum sollen erst ab 2026 zur Verfügung stehen. Viel zu spät, denn viele Haushalte benötigen schon jetzt finanzielle Unterstützung.
Die Halbzeitüberprüfung muss nun dazu genutzt werden, um den Europäischen Sozialfonds, den Fonds für den gerechten Übergang und den Klimasozialfonds entsprechend höher zu dotieren, um die von Armut bedrohten Haushalte ausreichend unterstützen zu können.
Reform auf der Einnahmenseite des EU-Haushalts notwendig
Auch auf der Einnahmenseite des EU-Budgets ist es höchste Zeit für eine Reform. Darüber diskutiert wird bereits seit Jahren, beginnend mit den Verhandlungen zum mehrjährigen EU-Finanzrahmen 2021–2027. Eines der wesentlichen Ziele war es, damit die Finanzierung des EU-Konjunkturpakets sicherzustellen. Einen Beschluss über die Eigenmittel im Rat gibt es jedoch bis heute noch nicht. In einer Mitteilung vom Juni 2023 wiederholt die EU-Kommission noch einmal ihre Forderungen. Darin enthalten ist die Erweiterung des Emissionshandelssystems, ein CO2-Grenzausgleichsmechanismus für Produzenten aus Drittländern und eine Steuer für Unternehmensgewinne als Einnahmenquelle für das EU-Budget. Auf mehr als 36 Millarden Euro könnten sich die Einnahmen aus diesen neuen Quellen belaufen.
Die Pläne haben jedoch gleich mehrere Haken: Die Gelder sollen zum Großteil erst ab 2027 fließen. Die Steuern aus den Unternehmensgewinnen kommen zudem nicht aus den Gewinnen der Betriebe selbst, sondern aus den allgemeinen nationalen Budgets. Hier wäre ein EU-KöSt-Zuschlag wesentlich zielführender. Das größte Problem jedoch ist wie oben bereits angeführt, dass sich der Rat noch immer nicht auf die neuen EU-Eigenmittel einigen konnte.
Die Verhandlungen auf EU-Ebene laufen
Das Europäische Parlament hat bereits einen Bericht zur Halbzeitüberprüfung des EU-Finanzrahmens verabschiedet. Die Pläne der Kommission werden grundsätzlich unterstützt. Wesentlich schwieriger dürften die Verhandlungen im Rat werden. Eine Einigung muss jedoch rasch erzielt werden, denn sonst könnte bei einigen EU-Programmen schon 2024 das Geld ausgehen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf dem österreichischen A&W Blog und steht unter Creative-Commons-Lizenz (CC BY-SA 4.0).