Kreislauf, Klima, Kapital

Falsche Labels, echte Projekte

| 25. September 2025

Die Energiewende stockt – zwischen Atom-Debatte, Speicherstau und neuen Wüstenstromprojekten.

Nachhaltigkeit ist kein Schlagwort, sondern eine Systemfrage. In seiner Serie „Kreislauf, Klima, Kapital“ beleuchtet Lukas Poths die Schlüsselindustrien der ökologischen Transformation – von der Energiebranche über Mobilität und Landwirtschaft bis zu den Finanzmärkten.

Einen „Herbst der Reformen“ hat Bundeskanzler Friedrich Merz proklamiert – und nicht nur der Sozialstaat soll auf dem Prüfstand stehen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie veröffentlichte am Montag der letzten Woche (15. September) den angekündigten Monitoringbericht zum Stand der Energiewende. Die wichtigsten Hinweise der Forschungsgruppe:

  • Der Ausbau der Erneuerbaren müsse weiter „in hohem Umfang“ erfolgen.
  • Systemkosten können durch das netzdienliche Zusammenspiel aller Komponenten gesenkt werden.
  • Der weitere Ausbau des Transport- und Verteilnetzes sei „zwingend erforderlich“.
  • Es fehlen gesicherte Leistung, Flexibilitäten bei Einspeisen und Entnahme sowie eine intelligente Steuerung durch sogenannte Smart Meter, also Stromzähler, die den Energieverbrauch und die Einspeisung in Echtzeit messen.

Damit widersprechen die Forscher dem Bundeskanzler, der vor kurzem noch sagte, man könne in diesem Bereich „ein bisschen weniger machen“.

Soweit die Lage in Deutschland. Doch wie sieht es in der Europäischen Union und der Welt der Unternehmen aus?

Geregelt:

Vielleicht schwenkt die Bundesregierung wieder stärker auf Atomkraft ein. Denn die gilt weiterhin als „grün“. Das hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil am 10. September verkündet. Damit bestätigen die Richter die Terminologie der EU-Kommission, die infolge des Kriegsbeginns 2022 den Nuklearreaktoren – ebenso wie Naturgas – ein Öko-Label verpasste.

Hintergrund dieser Regulierung: Durch die Embargos gegen Russland wurden eklatante Mängel in der europäischen Energieversorgung sichtbar. Weil die industriellen Zugpferde der Europäischen Union nicht in ausreichendem Maß auf erneuerbare Energien und elektrifizierte Industrieprozesse zugreifen konnten, mussten die verfügbaren Energiequellen umdeklariert werden, damit die EU ihre eigenen Ziele nicht reißt.

Inwiefern Kernkraft und Gas Teil eines zukünftigen Energiesystems sein können, ist Thema zahlreicher Studien. Allerdings sind diese Energieträger nicht gleichzusetzen mit Wind, Photovoltaik und Wasserkraft. Denn sie sind endlich und aus ihnen resultieren Abfallprodukte (Kohlendioxid, Atommüll), die weitere Probleme verursachen. Vielmehr dürfte die Deklaration der EU dem Opportunismus geschuldet sein.  

Vernetzt:

Die Übertragungsnetzbetreiber verzeichnen dieses Jahr einen massiven Anstieg von Netzanschlussanfragen. Etliche Unternehmen drängen auf den Markt für Batteriespeicher – mit viel mehr Leistung, als die Netzbetreiber anschließen können. Einerseits zeigt das, dass die Hersteller optimistisch sind, die Kapazitäten für den Speicherausbau stellen zu können – denn mit ihrem Antrag bekunden Sie auch ihr Interesse, einen Auftrag der Netzbetreiber zu erhalten.

Auf der anderen Seite steht ein Problem des derzeitigen Genehmigungsverfahrens. Denn es gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Heißt, Unternehmen melden lieber möglichst schnell hohe Kapazitäten an, um einen Auftrag zu erhalten. Auf diese Weise werden wesentlich mehr Anträge gestellt als nötig, was einen hohen Verwaltungsaufwand in der Genehmigung erzeugt. Wesentlich sinnvoller wäre ein alternatives Verfahren.

Das Beispiel verdeutlicht aber, dass Herausforderungen der Energiewende nicht nur im technischen und ökonomischen Bereich liegen, sondern auch regulatorischer Natur sind. Um Verbraucher und Industrie gleichermaßen abzuholen, sind neben moderner Technik auch moderne Verfahren notwendig.

Verbunden:

Die marokkanische Sonne könnte bald Dunkelflauten in Deutschland ausgleichen – und damit das Stromnetz stabilisieren. Im Zuges Sila Atlantik-Projekts soll eine Hochspanungsleitung von Solaranlagen von Marokko nach Deutschland verlegt werden. Denn der Maghreb-Staat hat ein hohes Potenzial zur Energieerzeugung aus erneuerbaren Quellen: Viel Sonne am Tag, Atlantikwind in der Nacht. Bis zu 26 Terrawattstunden Strom könnte aus der Wüste nach Deutschland fließen – konstant und zuverlässig. Zum Vergleich: Der gesamte Stromverbrauch der Bundesrepublik im Jahr 2024 belief sich auf knapp 500 Terrawattstunden.

Anfang der Nuller-Jahre scheiterte ein ähnliches Projekt (Desertec) an hohen Kosten. Das durchführende Konsortium hatte damals mit Solarthermie geplant, nicht mit Photovoltaik. Statt den photovoltaischen Effekt – wie es ein PV-Modul tut – zur Energiegewinnung zu nutzen, sollten Spiegel die Hitze der Sonne bündeln und damit konventionelle Turbinen zur Stromerzeugung antreiben. Das war teuer und ineffizient. Ein ähnliches Problem dürfte jetzt nicht mehr auftreten, da die Kosten für Solarpaneele in den letzten Jahren rapide gesunken sind und sich ein innovativer PV-Markt entwickelt hat. Trotzdem rechnet die verantwortliche Firma Xlinks Germany für das Mammutprojekt mit Investitionskosten von 30 bis 40 Milliarden Euro.

Offene Fragen bleiben: Muss Sila Atlantik eine eigene Fertigung der benötigten Unterseekabel aufbauen? Hier gibt es Produktionsengpässe. Ist Marokko ein dauerhaft verlässlicher geopolitischer Partner? Spielen Anrainerstaaten wie Frankreich, Portugal und Spanien (durch die das Kabel laufen würde) mit?

Trotz aller Hürden ist das Projekt ein wichtiger Schritt, um die üppigen Energieressourcen der Wüstenregionen nutz- und handelbar zu machen.