Die neue deutsche Rüstungsmaschine
Rheinmetall expandiert aggressiv: Von Panzern über Flugzeuge bis hin zu Kriegsschiffen und Weltraumtechnik – das Unternehmen will seinen Umsatz in wenigen Jahren vervier- bis verfünffachen. Doch mit der Transformation zum reinen Rüstungskonzern wächst auch die politische Brisanz.
In Deutschland entsteht wieder ein großer, breit aufgestellter Rüstungskonzern. Rheinmetall, international schon länger einer der führenden Hersteller von Kanonen, großkalibrigen Maschinenwaffen, gepanzerten Fahrzeugen und Munition drängt in weitere Märkte. Seit einigen Jahren bietet die Firma auch schwere Panzerfahrzeuge an. In diesem Jahr wurde eine Fabrik zur Herstellung von Teilen für Kampfflugzeuge in Weeze in Nordrhein-Westfalen eröffnet, mit dem Kauf der Marinewerften von Lürssen plant Rheinmetall den Einstieg in die Herstellung von Kriegsschiffen und gemeinsam mit skandinavischen Partnern den Aufbau einer Sparte, die militärisches Gerät für den Weltraum herstellt.
Der Vorstandsvorsitzende von Rheinmetall hat angekündigt, den Umsatz von derzeit weniger als 10 Milliarden Euro bis 2030 auf 40 bis 50 Milliarden Euro erhöhen zu wollen. Finanziert wird diese Expansion vor allem durch die hohen Gewinne, die Rheinmetall in den Rüstungssektoren erzielt, in denen die Firma zumindest national weitgehend ohne Konkurrenz ist. Zudem will Rheinmetall durch den Verkauf der zivilen Fertigung, die in der Vergangenheit knapp 30 Prozent des Umsatzes ausmachte, zu einem reinen Rüstungskonzern werden.
Hintergrund dieser Expansion sind offensichtlich die stark gestiegenen und weiter steigenden Beschaffungsausgaben der Bundeswehr, verbündeter Staaten und der Militärhilfe für die Ukraine. Aber die Bemühungen von Rheinmetall gehen deutlich über den finanziellen Spielraum durch erweiterte Nachfrage nach Rüstung hinaus. Rheinmetall ist bereits aktuell, mit einem Anteil von über 10 Prozent, das größte in Deutschland beheimatete Rüstungsunternehmen. Sollte die Firma die Pläne ihres Vorstandsvorsitzenden umsetzen können, dürfte sich der Anteil verdreifachen. Dabei hat Rheinmetall, wie schon in der Vergangenheit, nicht nur den deutschen Markt in Fokus, sondern baut sowohl die Fertigung im Ausland wie den Export in alle Welt aus.
Europäisches Wettrennen um Rüstungs-Champions
Auch im europäischen Kontext ist Rheinmetall – bisher eher im oberen Mittelfeld – dabei, in die Top-Liga der Rüstungsfirmen aufzuschließen, die von BAe aus Großbritannien angeführt wird. Noch hat Rheinmetall einen geringeren Rüstungsumsatz als eine andere Firma mit starker deutscher Beteiligung: die deutsch-französisch-spanische Airbus-Gruppe.
Aber während Rheinmetall ganz auf rasches Wachstum durch Rüstung setzt, fokussiert Airbus auf einen Sektor, den Bau von Flugzeugen und Hubschraubern – wobei das zivile Geschäft mit einem Anteil von unter 20 Prozent am Umsatz deutlich wichtiger ist als das militärische. Das war in der Vergangenheit anders. Der deutsche Vorgänger von Airbus, DASA (Daimler Benz Aerospace Aktiengesellschaft), war gegen und kurz nach Ende des Kalten Krieges so etwas wie der deutsche nationale Rüstungs-„Champion“ – eine Rolle, die nun Rheinmetall anstrebt.
In einer Reihe von Ländern lassen sich nationale „Champions“ identifizieren, die den nationalen Rüstungsmarkt oder zumindest finanziell gewichtige Teilsektoren, wie Luft- und Raumfahrt, dominieren. Oft beruht ihre Stellung auf gezielter staatlicher Förderung. Beispiele dafür sind etwa Frankreich, Japan und Italien. In Frankreich lenkt der Staat die Geschicke der nationalen Rüstungsindustrie, zentral über die im Verteidigungsministerium angesiedelte DGA (Direction générale de l’armement).
Hintergrund sind sowohl betriebswirtschaftliche – große Firmen können auf Grund größerer Produktionslose in der Regel günstiger produzieren – wie strategische Überlegungen. Starke Firmen sind im europäischen Markt wie im außereuropäischen Export wettbewerbsfähiger und auch eher in der Lage, die technologische Abhängigkeit von den übermächtigen US-Rüstungskonzernen zu mindern. Während in Frankreich umfassend Beschaffungsvergaben wie staatliche Beteiligungen und die Förderung des Rüstungsexports für die Lenkung der Industrie genutzt werden, sind es in Japan weitgehend nur Beschaffungsentscheidungen. In Italien ist der Staatsbesitz an den beiden nationalen Champions Fincantieri und Leonardo zentral.
Die Schattenseiten der Konzentration
Die Förderung von nationalen Rüstungschampions ist allerdings nicht unproblematisch. Sie ist tendenziell mit der Einschränkung von Wettbewerb verbunden, sowohl durch ausländische wie andere nationale Anbieter. Ein besonders drastisches Beispiel dafür ist Japan, wo die Beschaffungskosten durch die fast durchgängige Vergabe von Herstellungsaufträgen an nationale Firmen extrem hoch sind. Die Einschränkung von Wettbewerb erhöht nicht nur die Beschaffungskosten, sie kann auch zu Fehlentscheidungen bei Beschaffungen führen. Große Firmen haben die Tendenz, das produzieren zu wollen, was sie gut können, und sich gegen Innovationen abzuschotten. Aktuell betrifft dies insbesondere den Bereich der Drohnen, in dem viele Start-ups unterwegs sind, die es schwer haben, sich gegen die Etablierten mit ihren anderen technologischen Schwerpunkten durchzusetzen.
Große Rüstungsfirmen, insbesondere nationale Champions, haben häufig großes politisches Gewicht – weil sie viele Beschäftigte aber meist auch enge Beziehungen zu lokalen und nationalen politischen Akteuren haben. Damit steigen ihre Möglichkeiten, ihre eigenen Interessen durchzusetzen, auch da, wo dies aus gesamtstaatlicher Sicht problematisch ist.
Ein besonders sensibler Bereich in dieser Hinsicht ist der Rüstungsexport in kritische Länder, etwa weil sie autoritär regiert werden oder Konflikte schüren. Das muss nicht so sein, wie das Beispiel Japan zeigt, wo der Rüstungsexport sehr streng reguliert ist, führt aber, Beispiele Frankreich und Italien, öfter zu besonders laxen Regelungen des Rüstungsexports.
Lehren für Deutschland
Was folgt daraus für den Expansionskurs von Rheinmetall mit der Perspektive nationaler Rüstungs-Champions in Deutschland? Einerseits bietet die Entwicklung eines großen, breit aufgestellten Rüstungskonzerns potenziell gewichtige Vorteile im Bereich sektorenübergreifender Technologieentwicklung – etwa im Bereich künstlicher Intelligenz, ebenso wie für Kostenersparnisse durch größere Produktionsserien. Andererseits wächst das Risiko von Monopolgewinnen durch mangelnden Wettbewerb, von stärkerer Einflussnahme auf politische Entscheidungen bei Beschaffungen und Rüstungsexporten.
Die Risiken lassen sich aber einhegen. Notwendig ist dafür allerdings die Einsicht, dass auch in Zeiten von Aufrüstung die Bewahrung des politischen Primats über die Rüstungsindustrie gesichert bleiben muss. Im Fall von Rheinmetall braucht es eine Debatte darüber, wie der Wettbewerb in den Bereichen der Rüstungsproduktion – in denen der Konzern aktuell durch Monopolpreise das Geld für seinen Expensionskurs verdient – gestärkt werden kann.
Eine Möglichkeit wäre, dass Rheinmetall durch die Wettbewerbsbehörden aufgegeben wird, Teile der Munitionsfertigung zu verkaufen. Eine weitere Auflage für die Genehmigung des Kaufs der Lürssen-Werften könnte sein, nicht nur Rüstung zu produzieren, sondern auch zivile Standbeine zu haben. Um gesamtstaatliche Ziele umzusetzen, sollte auch eine Staatsbeteiligung bei Rheinmetall kein Tabu sein. Die größten Anteilseigner bei Rheinmetall sind US-amerikanische institutionelle Investoren, denen es vorrangig um hohe Rendite gehen dürfte. Für einen nationalen Champion macht da ein dezidiert nationales Gegengewicht Sinn.