Bundestagswahl

Den Vorhang zu und alle Fragen offen  

| 27. September 2021
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Die surrealistisch anmutenden Aussagen von Politikern und Medienvertretern nach der Wahl zeigen: Es bedarf eines Magazins wie MAKROSKOP, das mit seiner postkeynesianischen Perspektive rationale Diskussionen über ökonomische und soziale Voraussetzungen des ökologischen Umbaus erst erlaubt.            

Die Überschrift bezieht sich auf einen Satz von Berthold Brecht, der einem mit Blick auf die politischen und medialen Reaktionen auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2021 unvermeidlich ins Gedächtnis kommt. Liest man dann, dass eine Regierungsbildung durchaus auch an den kulturellen Differenzen der jungen Wähler- und Parteibasis von FDP und Grünen scheitern könnte, darf man den diesem Satz vorangehenden auf gar keinen Fall verschweigen:

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen“

Enttäuscht und betroffen! Weil das Spektakel nach der Wahl belegt, dass die von uns zusammen mit unseren Freunden von den Freiburger Diskursen in unserer Broschüre „Wahlprogramm sucht Partei“ angesprochenen Themen bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen kaum oder gar keine Rolle spielen.

Scheiterte eine Regierungsbildung, weil die Grünen sich weigerten, in eine Regierung einzutreten, die sich nicht klipp und klar vom Fetisch der „schwarzen Null“ verabschiedete, dann wäre das verständlich. Denn damit würden sie deutlich machen, dass sie sich nicht damit zufriedengeben wollen, die Klimakatastrophe zu beschwören und sich über den Zeitpunkt der Zielerreichung der Klimaneutralität zu streiten, sondern gewillt sind, ihren Worten wirklich Taten folgen zu lassen.

Liest man aber, dass eine Einigung zwischen FDP und Grünen daran scheitern könnte, dass „die Nachwuchsorganisationen von FDP und Grünen sich in herzlicher Abneigung verbunden“ sind, realisiert man, dass man nur eine Partei als politisch denkender Mensch bei dieser Bundestagswahl wirklich wählen konnte. Die Rede ist von der Partei „Die Partei“, die in ihrem Wahlprogramm gleich auf der Titelseite fragte:

„Wollen wir wirklich die Wirtschaft zerstören, nur um den Planeten zu retten?“

Was man eigentlich nur als bitterböse Satire verstehen kann, erweist sich schon nach der Ouvertüre der Koalitionsverhandlungen als bittere Zustandsbeschreibung unserer politischen Lage. Sachfragen sind von Fragen nach Befindlichkeiten vollkommen in den Hintergrund verdrängt worden.

Die schwierige Frage nach der Zukunft „Europas“, oder anders gesagt, nach dem Umgang mit den vielen sogenannten Dysfunktionalitäten des institutionellen Aufbaus der EU, werden unter flotten Sprüchen, wie etwa dem der Grünen „Kommt, wir bauen das neue Europa“, begraben.

Wir haben nicht erwartet, dass „Europa“ bei den Koalitionsverhandlungen zum Thema wird. Obwohl wir zu diesem Thema statt eines Programms lediglich ein „Nachdenkstück“ verfasst hatten, war es für uns kaum überraschend, dem Vorwurf des Nationalismus ausgesetzt zu werden.

Richtig ist, dass auf MAKROSKOP Autoren schreiben, die statt einer weiteren Integration eine Rückübertragung von Kompetenzen auf die nationalstaatliche Ebene verlangen. Darüber wollen wir auch in Zukunft ergebnisoffen diskutieren, anstatt offensichtliche europäische Probleme, zum Beispiel im Zusammenhang mit den Anleihekäufen der EZB, unter den Teppich zu kehren. Denn es geht bei "Europa" nicht um ein religiöses Bekenntnis, sondern um die Frage, welche staatlichen Organisationsformen einer sozialen Demokratie am besten zuträglich sind und sich im Hier und Jetzt realisieren lassen.

Ganz oben auf der Tagesordnung, das unterstreichen insbesondere Aussagen zur deutschen Wettbewerbsfähigkeit etwa von Olaf Scholz, muss weiterhin das Thema des deutschen „Exportismus“ stehen. Obwohl im Zuge der Corona-Krise die Schattenseiten der deutschen Exportweltmeisterschaft sich als ein fatales Abhängigkeitsverhältnis erwiesen hat, klagen Unternehmer und Wirtschaftsverbände gleich nach der Wahl lauthals darüber, dass „der Standort unter Angela Merkel stetig an Attraktivität verloren“ habe.

Das ist schon schlimm genug. Dass aber keine der möglichen Koalitionäre gegen einen solchen Unsinn auch nur zaghaft die Stimme erhebt, lässt erwarten, dass die deutsche Wirtschaftspolitik, trotz aller Beschwörungen der Europäischen Solidarität, weiterhin rücksichtlos ihre merkantilistische Strategie fortzuführen gedenkt.

Gerade den Grünen sei gesagt: Wer sich wie Winfried Kretschmann öffentlich zu Schuldenbremsen bekennt und nicht bereit ist über den deutschen Exportismus auch nur nachzudenken, der sollte über einen föderal organisierten Bundesstaat Europa und die "Menschheitsaufgabe Klimawandel" kein Wort verlieren. Den Grünen, weil bei ihnen zumindest, wie etwa bei Robert Habeck, nachdenkliche Töne zu hören sind.

Erst wenn diese Themen als Probleme deutlich angesprochen werden, kann man die vielen weiteren in unserem Wahlprogramm angesprochenen Themen mit Aussicht auf Erfolg beackern. Themen, über die in den Koalitionsverhandlungen gestritten werden sollte, wie zum Beispiel eine Sicherstellung der Leistungsfähigkeit von Kommunen, einer Regionalpolitik, die die Arbeit zu den Menschen anstatt die Menschen in überfüllte Metropolen bringt, einer Lohnpolitik, die auf Teilhabe statt auf Lohndumping setzt, einem Rentensystem, das Altersarmut verhindert und vieles andere mehr.

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