Kongress in Freiburg

MAKROSKOP, Quo vadis?

| 27. September 2021
istock.com/SvetaZi

Auf dem Beirats-, Förderer und Autorentreffen wurde viel über Ideen, Konzepte und die Zukunft von MAKROSKOP gesprochen. Der Vortrag von Sebastian Müller gab einen Überblick.

Liebe Freunde von MAKROSKOP,

ich möchte ein wenig über die Herausforderungen, Hürden und Ziele im redaktionellen Bereich von MAKROSKOP reden. Über Anspruch und Realität, über die Autorenentwicklung, die mit diesen Ansprüchen und Realitäten untrennbar zusammenhängt, über inhaltliche Fragen, und was das alles in einer veränderten Medienlandschaft für uns bedeutet.

Die meisten von Ihnen – als Stammautoren, Beiräte und Fördermitglieder – kennen die Geschichte von MAKROSKOP und wissen, was wir wollen.

Ich fasse es einmal kurz zusammen: In der Tradition von Keynes und seiner geistigen Nachfolger (auf unserer Startseite sehen Sie das Bild von Joan Robinson) wollen wir auf journalistischer Basis ein anderes ökonomisches Denken vermitteln. Das heißt, wir wollen ökonomischen Denkansätzen, die von der Neoklassik abweichen, wieder mehr Gehör verschaffen. MAKROSKOP heißt auch: Wir wollen das große Ganze hinter dem zahllosen Kleinen erfassen.

Dabei gibt es in meinen Augen verschiedene Herausforderungen, die wir uns alle immer wieder vor Augen führen sollten, will man Menschen erreichen, in unserem Fall – Abonnenten dazugewinnen:

  • Journalismus bedeutet auch Allgemeinverständlichkeit (eine Herausforderung bei oft analytischen und akademischen Texten)
  • Wiedererkennungswert in Format und Darstellung
  • Neben Theorie und Hintergrundberichten das Angebot von tagesaktuellen Themen
  • Ausbau des Angebots, dazu gehören auch mehr journalistische Formate
  • Und damit zusammenhängend: gute Autoren zu finden, die zum Projekt MAKROSKOP passen

Das sind die Punkte, auf die ich als Redakteur und Lektor der Artikel immer das Augenmerk zu legen versuche. Allerdings: Für eine kleine Redaktion, die streng genommen aus zwei Redakteuren besteht, die auch selbst schreiben, ist das nicht immer leicht und manches mal eine Gratwanderung.

Autoren: Die kostbare Ressource

Gerade der letzte Punkt, Autoren zu halten und gleichzeitig neue zu finden, ist eine Herausforderung. Doch Autoren sind unsere kostbarste Ressource.

Daher im Folgenden etwas zur Autorenentwicklung.

Abbildung 1

Es gibt einen Stammautorenkreis der ersten Stunde. Bis heute schreiben regelmäßig für MAKROSKOP neben dem Spiritus Rector Heiner Flassbeck unter anderem: Paul Steinhardt, Rainer Fischbach, Dirk Ehnts, Hartmut Reiners, Jörg Bibow, Werner Vontobel, Günther Grunert, Martin Höpner, Daniel Deimling, Peter Wahl und Patrick Kaczmarczyk

Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, denn mit jedem Jahr ändert sich bei einzelnen Autoren die Schlagzahl. Regelmäßigkeit wird damit allzu oft zur Definitionssache. Einige Autoren der ersten Stunde haben mit den Jahren weniger geschrieben: aus persönlichen, beruflichen oder inhaltlichen Gründen. Einige sind auch ganz gegangen. Das zwingt uns unentwegt – allein um Planungssicherheit zu haben – nach neuen Autoren zu suchen. Umso erfreulicher ist es, dass wir unter anderem mit Wolfgang Streeck, Ulrike Simon, Sabine Beppler-Spahl oder Eric Bonse Verstärkung finden konnten. Doch unsere Suche – auch und verstärkt nach Autorinnen – ist nie zu Ende, sondern vielmehr eine Arbeit im Prozess.

Abbildung 2

Welches Fazit lässt sich aus den dargestellten Zahlen und der beschriebenen Entwicklung ziehen? Zusammengefasst lässt sich konstatieren:

  • Die immense Bedeutung der Stammautorenschaft (rückläufige Tendenz, Stabilisierung durch regelmäßige Kolumnisten)
  • Das Jahr 2020 als vorläufiger Höhepunkt bei der Neugewinnung von Autoren und der Diversifizierung
  • Eine (hohe) Fluktuation unter der erweiterten Autorenschaft
  • Eine hohe Zahl an Autoren, die nur einen Beitrag im Jahr verfassen (2020 wurde mit 46 einmaligen Autoren ein Höhepunkt erreicht)

Zwischen rotem Faden und Pluralität

Diversifizierung und eine breitere Autorenschaft bedeuten fast zwangsläufig, dass wir in den letzten Jahren zunehmend pluraler geworden sind. MAKROSKOP, das ist schon lange nicht mehr nur ein Update von flassbeck economics.

Womit wir beim nächsten Punkt wären, der uns wichtig ist: Wir sind nach unserem Anspruch kein Blog, sondern ein Magazin – und das heißt auch: mehr Debatte, Diskurs, Pro und Contra, These und Antithese. Zudem: Wollen wir Schreiber gewinnen - die wir so dringend benötigen -, dann müssen wir bis zu einem gewissen Grad auch unterschiedliche Meinungen zulassen.

Wir glauben, dass die meisten Leser das goutieren, auch wenn uns einige vorwerfen, MAKROSKOP hätte seinen „Kompass“ verloren. Doch wenn man eines im Redaktionsalltag immer wieder sieht: es gibt nicht immer ein Richtig und Falsch, nicht alles ist so eindeutig, wie man anfangs vielleicht manchmal glauben mag. Wir sind keine Missionare. Je mehr mal liest und sich mit den Argumenten und Thesen unterschiedlicher Autoren auseinandersetzt, je tiefer man sich ein in eine Thematik hineinversetzt, desto komplizierter wird der Sachverhalt. Oder wie Goethe einst sagte: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“

Das alles heißt nicht Beliebigkeit. Natürlich müssen wir immer aufs Neue auf die inhaltliche Qualität schauen, auf die Argumentation, auf die Expertise des Autors. Passen die Themen zu uns, bereichern sie uns, bieten sie den Lesern das, was sie von MAKROSKOP erwarten, folgen sie dem roten Pfad einer Kritik des dominanten (neo)liberalen Weltbildes? Nach diesen Kriterien wägen wir ab, welche Artikel auf MAKROSKOP erscheinen können und welche nicht.

Denn einfacher wird das Verkaufen von Inhalten und die Gewinnung von Abonnenten in Zukunft sicher nicht. Womit ich beim nächsten Punkt wäre:

(Wissenschafts)Journalismus und ein verändertes Spielfeld

Das Konzept von MAKROSKOP, mit tiefgründigen und anspruchsvollen, aber trotzdem verständlichen Texten das weite Feld der politischen Ökonomie zu beackern und dabei verschiedene Standpunkte zuzulassen, ist in gewissem Maß anachronistisch.

Anachronistisch, weil der Trend im Zeitalter des Internets, der Digitalisierung und der Aufmerksamkeitsökonomie (Stichwort Twitter, Facebook und Instagram) in die entgegengesetzte Richtung zu laufen scheint: Schnelllebigkeit, Oberflächlichkeit, Kürze, Emotionen.

Dem passen sich auch neue journalistische Formate und Geschäftsmodelle an: Kurzweilige Podcasts, YouTube-Videos oder eine App Namens Blinkist, ein deutsches Startup, das Sachbücher auf ihre Kernaussagen zusammenfasst. Sehr beliebt bei Studenten, die nun nicht mehr genötigt sind, ein Buch in Gänze lesen zu müssen. Die Zeit schrieb: „Die perfekte Lösung für die Generation der gestressten Smartphone-Großstädter.“

Soziale Medien, Eilmeldungen und Push-Nachrichten: Es verwundert nicht, dass durch die mediale Informationsflut die Aufmerksamkeitsspanne unserer Gesellschaft sinkt. Das zeigt eine Studie zur "sozialen Beschleunigung", an der unter anderem die Technische Universität Berlin und das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung beteiligt waren.

Das heißt auch: „Der lange Text“ befindet sich in Rückzugsgefechten, er scheint zusammen mit dem älteren Publikum einen langsamen Tod zu sterben.

Das bleibt nicht ohne Folgen für unsere politische Kultur: Infotainment statt Information, Filterblase statt Auseinandersetzung, Verurteilen statt Zuhören. Nicht mehr Inhalt und Argumentation zählen, sondern immer stärker Empörung und Etikettierung.

Diese Entwicklung ist nicht nur für uns, sondern für den gesamten Journalismus, der immer noch auf der Suche nach einem funktionierenden Geschäftsmodell ist, ein großes Problem.

Doch was bedeutet das für uns konkret? Kann und sollte MAKROSKOP darauf reagieren? Liegt in der Kürze die Würze oder sollen wir zu den letzten Dinosauriern gehören?

Ich denke, die Antwort liegt irgendwo dazwischen.

Ideen und Konzepte

Ideen gibt es viele, wie die Beiratssitzung gezeigt hat. Paul Steinhardt hat zudem die geplante Werkreihe angesprochen. Dann gibt es die Idee, eine Interviewreihe mit den Stammautoren auf die Beine zu stellen. Wir brauchen insgesamt auch mehr journalistische Formate, die ihren Platz neben den längeren Analysen einnehmen, die verstärkt in unserem Spotlight zu finden sind.

Die Idee von Lesern, einen übersichtlichen Guide über die Grundzüge der Wirtschaftstheorien und ihre Thesen und Irrtümer prominent anzulegen, haben wir auf unserer Seite mittlerweile umgesetzt.

Die Rubrik Pro&Contra wäre ausbaufähig, aber das steht und fällt auch mit der Diskursbereitschaft der Autoren.

Nicht selten aber mangelt es schlicht an den zeitlichen und finanziellen Ressourcen.

So auch, was das Spotlight betrifft: Mittlerweile nehmen wir ja seit unserem Relaunch jede zweite Woche ein Thema genauer unter die Lupe. Dabei verwenden wir auch ältere Perlen aus unserem Archiv. Hartmut Reiners hatte hier zuletzt zu Recht angemerkt, dass in den politischen Debatten immer wieder dieselbe Sau durchs Dorf gejagt wird und man als Autor zu Wiederholungen gezwungen wird. Zum Beispiel die Bürgerversicherung, die pünktlich zu jeder Wahl wieder ins Blickfeld kommt.

Hier hatte Hartmut eine gute Idee zur Diskussion vorgeschlagen: Nicht immer hat man als Autor eine Idee für ein neues Thema, oder gar die Zeit, einen komplett neuen Artikel zu schreiben. Warum nicht ein Thema, das nach wie vor aktuell ist, oder sogar wieder in die Schlagzeilen kommt, neu aufwärmen? Warum nicht einen Artikel von 2016 – ohne großen Aufwand für den betreffenden Autor – aktualisieren?

Uns in der Redaktion fehlt dafür die Kapazität – die Autoren aber könnten sich und uns damit eine große Hilfe sein.

Fest steht, MAKROSKOP steht mitten in einem nicht endenden Prozess – und es ist an Ihnen, diesen zu begleiten und zu bereichern.

Vielen Dank