Warum die Beiträge der Krankenkassen steigen
Die Krankenkassenbeiträge werden im nächsten Jahr deutlich steigen. Dieser Kostensprung hat seine Wurzeln in Strukturmängeln des Gesundheitswesens, die Karl Lauterbach mit seinen Reformplänen vorerst kaum beseitigen kann.
Es war am 16. Oktober 2024 die Topmeldung in allen Medien: Der aus Vertretern der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV), des Bundesamts für soziale Sicherung (BAS) und des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) bestehende „Schätzerkreis“ hat für 2025 eine durchschnittliche Anhebung des Zusatzbeitrages der Krankenkassen von 0,8 Prozentpunkten errechnet.[1] Damit würde der gesamte Beitragssatz im Durchschnitt auf über 17 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens steigen.
Gesundheitsminister Lauterbach hält das für eine bedauerliche Entwicklung. Sie sei aber nicht ihm, sondern seinen Amtsvorgängern anzulasten, die seit zwanzig Jahren keine effektive Strukturreform im Gesundheitswesen zustande gebracht hätten. Er werde mit seiner Krankenhausreform und der Stärkung der Gesundheitsvorsorge die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen in den Griff bekommen. Das ist nicht nur ein frommer Wunsch, sondern auch verlogen, weil er mit seiner Politik den Krankenkassen bewusst zusätzliche Kosten aufbürdet.
Haltlose Versprechungen und unsoziale Nebenwirkungen
Das am 17. Oktober 2024 vom Bundestag verabschiedete Krankenhausreformgesetz muss noch den Bundesrat passieren. Die von der Union geführten Landesregierungen wollen den Vermittlungsausschuss anrufen. Dadurch kann sich die endgültige Verabschiedung des Gesetzes bis in die nächste Legislaturperiode hinziehen. Selbst wenn das nicht passiert, muss das Gesetz dann neu aufgerollt werden, weil seine Umsetzung etwa bei der Reform der Krankenhausvergütung an eine neue Bundespflegesatzverordnung gebunden ist, die nur mit Zustimmung der Länder durchgesetzt werden kann. Das kann sich, wie schon bei der Einführung der DRG-Fallpauschalen vor über zwanzig Jahren, über ein paar Jahre hinziehen.
Eine reine Luftbuchung ist auch die Ansage Lauterbachs, er werde über eine verbesserte Gesundheitsvorsorge die Kosten im Gesundheitswesen senken. Sein Ansatz einer Präventionsmedizin im „Gesundes-Herz-Gesetz“ ist eher dazu geeignet, die GKV-Ausgaben zu erhöhen als sie zu senken. Es hat keine Evidenz außer der, dass mehr Geld in die Arztpraxen gespült wird ohne einen nennenswerten gesundheitlichen Nutzen.
Die Ankündigung Lauterbachs, er werde die GKV-Ausgaben eindämmen, ist zudem vor dem Hintergrund verlogen, dass er die Krankenkassen mit 25 Milliarden Euro für einen Transformationsfonds belastet, mit dem Krankenhausinvestitionen, verteilt auf zehn Jahre, finanziert werden sollen. Dafür gibt es keine rechtlich belastbare Grundlage, weil laut Krankenhausfinanzierungsgesetz die GKV nur für die Finanzierung der laufenden Betriebsausgaben der Krankenhäuser verantwortlich ist. Der Bund hat solche Zuschüsse zu den Investitionen der Länder allein zu finanzieren, wie er es schon bei der Sanierung der Krankenhäuser in den 1970er Jahren und in den neuen Ländern in den 1990er Jahren gemacht hat.
Aber dafür müsste Karl Lauterbach mit Christian Lindner und der FDP in den Ring steigen. Es ist auch fraglich, ob er dabei von Olaf Scholz und Robert Habeck unterstützt würde.
Das gilt auch für das nicht eingehaltene Versprechen der Ampel-Koalition, den Krankenkassen kostendeckende Beiträge für Bürgergeldempfänger zu zahlen. Das würde etwa 10 Milliarden Euro kosten oder umgerechnet etwa 0,6 Beitragssatzpunkte, also in etwa so viel wie die anstehenden Beitragsanhebungen. Der Bund könnte für einigermaßen stabile Krankenkassenbeiträge sorgen, wenn er seine Verpflichtungen wahrnehmen würde, anstatt sie auf die GKV abzuwälzen.
Die auch von früheren Bundesregierungen praktizierte Verlagerung von Kosten aus dem Bundeshaushalt in das GKV-Budget ist keine belastungsneutrale „Verschiebebahnhofspolitik“ von einem Behördenkonto zum anderen. Sie trifft die unteren und mittleren Einkommensgruppen deutlich stärker als die höheren. Durch die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) von zurzeit etwa 5.300 Euro im Monat werden die Versicherten mit einem höheren Einkommen davon weniger belastet. Privat Versicherte werden überhaupt nicht an dem Transformationsfonds beteiligt.
Weshalb ist unser Gesundheitswesen so teuer?
Beitragssatzanhebungen in der GKV werden stets von der Behauptung begleitet, unser Gesundheitswesen sei generell zu teuer. Die Süddeutsche Zeitung fasst das so zusammen:
„Das Preis-Leistungs-Verhältnis des Gesundheitssystems stimmt nicht. Die Deutschen zahlen besonders viel, leben dafür aber nicht besonders lange. In anderen europäischen Ländern ist das Gesundheitssystem billiger und die Lebenserwartung länger.“
Richtig ist, dass die Gesundheitsausgaben pro Kopf und Jahr bei uns nach Angaben der OECD (2022) mit umgerechnet 8011 US-Dollar deutlich höher sind als in Ländern mit einem vergleichbaren Versorgungsniveau wie die Niederlande (6729 US-Dollar), Frankreich (6630 US-Dollar), Schweden (6438 US-Dollar) oder Kanada (6319 US-Dollar). Richtig ist auch, dass die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt bei uns mit 80,8 Jahren unter dem Niveau dieser Länder liegt (Schweden: 83,1 / Frankreich: 82,4 / Niederlande: 81,7 / Kanada: 81,6).
Aber diese Unterschiede haben kaum etwas mit den jeweiligen Medizinsystemen zu tun, wie das Beispiel Japan zeigt. Es hat mit 84,5 Jahren eine sehr hohe allgemeine Lebenserwartung bei der Geburt, aber mit 5251 US-Dollar relativ niedrige Pro-Kopf-Ausgaben im Gesundheitswesen. Entscheidend für die Höhe der Lebenserwartung sind die genetischen Veranlagungen und die allgemeinen Lebensbedingungen der Menschen und weniger die Versorgungsdichte mit Arztpraxen und Krankenhäusern.
Das deutsche Gesundheitswesen ist vor allem wegen seines dualen Krankenversicherungssystems so teuer. 11 Prozent der Bevölkerung sind privat krankenversichert und zahlen für die gleichen Leistungen etwa ein Drittel mehr als GKV-Mitglieder. Das gilt insbesondere für die Behandlung in Arztpraxen, die für die Behandlung von privat Versicherten für die gleichen Fälle mehr als doppelt so viel abrechnen wie bei GKV-Mitgliedern.
Modellrechnungen haben ergeben, dass der durchschnittliche Beitragssatz in der GKV rein rechnerisch um über drei Prozentpunkte sinken würde, wenn alle Deutschen in der GKV versichert wären und die Beitragsbemessungsgrenze auf das in der Rentenversicherung geltende Niveau angehoben würde.
Die Arbeitgeberverbände müssten mit Blick auf die Sozialabgaben eigentlich entschiedene Befürworter einer allgemeinen Bürgerversicherung sein. Aber das lässt ihr Weltbild nicht zu, wonach Sozialversicherungen grundsätzlich zur Verschwendung neigen, Privatversicherungen hingegen zur Kosteneffizienz. Dass es sich in der Wirklichkeit genau anders herum verhält, wird nicht zur Kenntnis genommen.
Ideologische Borniertheit
Gegen diese ideologische Verstrahlung ist offenbar ebenso kein Kraut gewachsen wie gegen die faktenresistente Behauptung, Zuzahlungen der Versicherten und Leistungseinschränkungen seien effektive Instrumente zur Kostensteuerung im Gesundheitswesen. Dieses Mantra bemüht die Frankfurter Allgemeine regelmäßig, so auch jetzt anlässlich der anstehenden Anhebung der GKV-Beitragssätze:
„Das All-inclusive-Angebot mit kurzen Wegen, freier Arztwahl, fast unbeschränkten Leistungen und kaum Zuzahlungen lässt sich im bisherigen Umlagesystem nicht länger finanzieren.“
Tatsächlich gibt es keinen empirischen Beleg für die Behauptung, ein reduziertes Leistungsangebot der Krankenversicherungen und private Zuzahlungen würden die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitswesens erhöhen. Langzeituntersuchungen zeigen zwar, dass mit der Anhebung von Eigenbeteiligungen der Versicherten die Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen sinkt. Aber sie belegen auch, dass dadurch medizinisch notwendige Behandlungen unterbleiben, sich die allgemeine Morbidität verschlechtert und die durchschnittlichen Fallkosten wachsen.
Die Mängel des Gesundheitswesens werden nicht von einer herbeifantasierten Hängemattenmentalität der Krankenversicherten verursacht. Sie haben strukturelle Ursachen, die sich nicht nur in relativ hohen Kosten äußern, sondern auch in einer nicht sachgerechten Struktur der medizinischen Versorgung liegen. Es gibt große Mängel in der Koordination von ambulanter und stationärer Versorgung sowie unter den Arztpraxen und den Gesundheitsberufen, mit buchstäblich fatalen Folgen.
Die OECD-Indikatoren zum Vergleich von Gesundheitssystemen stellen Deutschland bei den durch bessere Behandlungsabläufe vermeidbaren Todesfällen kein gutes Zeugnis aus. Hier stehen wir mit 66 Fällen pro 100.000 Einwohnern deutlich schlechter da als vergleichbare Länder wie die Niederlande (48), Frankreich (51), Schweden (53 oder Kanada (58).
Mit bloßen Kostenverlagerungen zwischen den öffentlichen Haushalten oder einer weiteren Privatisierung der Gesundheitsausgaben löst man keine Strukturprobleme, sondern verschärft sie. Ein Bundesgesundheitsminister kann sie auch nicht im Alleingang angehen, sondern nur durch eine Kooperation mit den politischen Verantwortungsträgern in den Ländern. In der nächsten Legislaturperiode ist ein neuer Anlauf zur Reform der Versorgungsstrukturen erforderlich, egal von welcher Regierung.
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