Amerika am Scheideweg
Liebe Leserinnen und Leser,
das politische und wirtschaftliche Panorama in den USA ist zutiefst polarisiert, geprägt von einem Spannungsfeld zwischen dem Machtstreben der alten Eliten aus den großen zwei Parteien und alternativen Stimmen. Die Geschäfte des Trump-Clans, stehen als Sinnbild politischer Dynastien, die sich gerade noch innerhalb der Grenzen der als „normal“ akzeptierten Sozialstruktur bewegen. In Projekten, die von Golfplätzen bis hin zu Kryptowährungen reichen, tritt die Eigenmarke Trumps greller hervor als der materielle Profit. Es handelt sich weniger um Korruption im großen Stil, die ihm von seinen politischen Gegnern vorgeworfen wird, als vielmehr um die Definition der tatsächlich existierenden Hegemonie, schreibt Adam Tooze.
Gegen diese hegemoniale Stellung der alten Eliten Amerikas will sich Jill Stein positionieren, Präsidentschaftskandidatin der Green Party, die zunehmend enttäuschte Wähler aus dem Lager der Demokraten anzieht. Besonders in Nahost stellt Stein den Status quo der amerikanischen Außenpolitik radikal infrage, wie Ulrike Simon berichtet. Ihre Kritik an der amerikanischen Nahost-Politik zielt auf jene Amerikaner, die Israels Krieg in Palästina verurteilen und die ungebrochene Militärhilfe hinterfragen. Auch ihre Forderungen nach einem „Green New Deal“ und einem sozial-demokratischen Reformkurs mit ökonomischen Modellen wie der Modern Monetary Theory passen so gar nicht in das seit mehr als einem halben Jahrhundert fest vermessene politökonomische Terrain der USA.
Doch auch innerhalb dieses Terrains gibt es durchaus Spielräume. So wird Bidenomics, das große wirtschaftspolitische Programm der letzten Jahre, in den US-Medien schlechter dargestellt als es ist – trotz Rekorden bei Beschäftigungszahlen oder Unternehmensgründungen, wie Dean Baker zeigt. Diese verzerrten Darstellungen lenken von tatsächlichen Erfolgen ab: Sinkende Arbeitslosenquoten und steigende Löhne insbesondere am unteren Ende der Gehaltsskala belegen, dass Bidenomics für die Wirtschaft und viele Amerikaner Vorteile gebracht hat. Doch Medienberichte über atypische Einzelfälle tragen zur negativen Wahrnehmung bei und verstärken die Entfremdung zwischen Eliten und „normalen“ Amerikanern.
Es sind Schlaglichter, die die wachsende Kluft und das erodierende Vertrauen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchten. Die USA stehen am Scheideweg: außenpolitisch das Ringen um den schwindenden Weltmachtstatus, innenpolitisch die Sehnsucht nach einem anderen, sich erneuernden Amerika. Es ist eine Sehnsucht, die auch die bevorstehende Wahl kaum stillen dürfte.
Diese und weitere Artikel finden Sie in unserer neuen Ausgabe:
- Das 100-Billionen-Dollar-Gefängnis Gefangen in World Wide Debt? Die Metaphern des Wirtschaftsjournalisten Henrik Müller werfen Fragen auf: Wer sind Häftlinge, Wärter und Betreiber in diesem Staatsschulden-Gefängnis? Und vor allem: Wer teilt ihnen diese Funktionen zu? Malte Kornfeld
- Wertebasierte Demokratie? Die Geschäfte des Trump-Clans Die Geschäfte des Trump-Clans polarisieren und werfen Fragen auf: Sind die Deals Korruption im großen Stil – oder vielmehr Ausdruck moderner Machtstrategien? Adam Tooze
- Das „kleinere Übel“ oder – Jill Stein? Trump und Harris spalten die Nation. Doch Jill Stein von der Green Party bietet für enttäuschte Demokraten eine Alternative – mit einer deutlichen Position zum Nahostpolitik. Sie könnte das Zünglein an der Waage sein. Ulrike Simon
- Sechs Fakenews über Bindenomics Sechs Artikel in den US-Medien zeigen: Bidenomics wird schlecht geredet – dabei können sich die Ergebnisse des Wirtschaftsprogramms durchaus sehen lassen. Dean Baker
- Netanjahu vs. Gallant und die deutsche Politik Netanjahu und sein Verteidigungsminister Yoav Gallant ringen um die Libanon-Strategie Israels. Netanjahus Position wird nicht nur von der Bundesregierung unterstützt – sondern auch ungewollt von der deutschen Linken. Yotam Givoli
- Neue Mittelstreckenraketen: Fluch oder Segen für Deutschlands Sicherheit? Ein Gespräch über die Hintergründe des Aufstellungsbeschlusses mit Oberst a. D. Wolfgang Richter. Freiburger Diskurse
- Boden als Ware: Ein Systemfehler mit weitreichenden Folgen Die Marktwirtschaft behandelt den Boden wie eine Ware. Dieser Systemfehler ist nicht leicht zu korrigieren. Doch das geltende Recht bietet dazu einige Handhaben. Werner Vontobel
- Waldumbau mit Hürden Land- und Forstwirtschaft machen keinen großen Anteil der deutschen Wirtschaftsleistung aus. Trotzdem sind sie elementar für eine nachhaltige Rohstoff-Ökonomie. Die Krux: Beide hängen stark von ineffizienten EU-Fördergeldern und -Regularien ab. Lukas Poths
- Updates zur Konjunktur: Wirtschaftslage bedroht Zusammenhalt der Ampel Mit einem Investitionsfonds will Wirtschaftsminister Habeck Deutschland aus der Konjunkturkrise helfen. Doch der schlechte Steuereinnahmeprognosen machen Finanzminister Lindner nervös – neuer Sprengstoff für die Ampel. Die Redaktion