Thomas Fazi: Der Staat, der vergessene Freund
Liebe Leserinnen und Leser,
unser Autor Thomas Fazi fordert, was vielen heute fremd erscheint: die Rückgewinnung staatlicher Macht – als demokratisches, soziales und wirtschaftspolitisches Instrument.
Gemeinsam mit dem Ökonomen William Mitchell schrieb er das Buch Reclaiming the State, ein Manifest gegen den neoliberalen Konsens, der in den Augen der Autoren seit Jahrzehnten politische Handlungsspielräume blockiert. Nun liegt das Buch erstmals auf Deutsch vor. Wir haben es veröffentlicht.
Fazi, 1982 in London geboren und in Italien lebend, ist Journalist, Filmemacher und Publizist. Mittlerweile gehört er zu den Stammautoren von MAKROSKOP. Für ihn ist der Staat kein Feind der Freiheit, sondern das zentrale Werkzeug demokratischer Selbstbestimmung: Ohne nationale Souveränität bliebe Demokratie – sowohl wirtschaftlich als auch politisch – ein leerer Anspruch.
Als das Buch 2017 erschien, galt dieser Ruf nach mehr Staat als Tabu – besetzt von Brexitiers, Nationalkonservativen und Xenophoben. Fazi hält dagegen: Nur wer die ökonomische und politische Handlungsfähigkeit der Nationalstaaten wiederherstellt, könne die Macht globaler Eliten begrenzen.
Die jüngsten Krisen – Pandemie, Krieg und Deindustrialisierung – haben zwar gezeigt, dass der Staat zurück ist, in den Augen Fazis aber allzu oft nur als Repressionsapparat oder ohnmächtiger Verwalter. Gerade deshalb sei es „schwieriger denn je, für eine demokratische und wirtschaftlich interventionistische Rolle des Staates zu argumentieren“. Die politische Linke habe sich in kulturpolitischen Debatten verloren, während rechte Kräfte das Terrain der materiellen Interessen besetzen, aber in wirtschaftsliberalen Dogmen verhaftet blieben.
Fazi plädiert für den Staat als emanzipatorisches Projekt seiner Bürger, gestützt auf postkeynesianische Instrumente. Nur wer Geldpolitik, Investitionen und Industriepolitik unter demokratischer Kontrolle hält, könne soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Sicherheit sichern.
Auf MAKROSKOP hat er in einer vierteiligen Artikelreihe (hier, hier, hier und hier) verdeutlicht, dass er in der EU ein Instrument sieht, das gegen die Demokratie gerichtet ist: Brüssel zentralisiert immer mehr Kompetenzen, während nationale Parlamente zunehmend handlungsunfähig werden. Für Fazi gibt es nur eine Lösung: den starren Weg der Supranationalisierung zu verlassen und stattdessen auf eine Kooperation souveräner Staaten hinzuarbeiten. Denn demokratische Selbstbestimmung und internationale Zusammenarbeit sind kein Widerspruch, so sein Credo.
Im Interview mit MAKROSKOP plädiert er für eine „links-konservative Synthese“: soziale Umverteilung und kulturelle Verwurzelung, wirtschaftliche Demokratie und nationale Verantwortung. In einer Zeit, in der die politischen Eliten des Westens an Legitimität verlieren, klingt Fazis Botschaft unbequem, aber notwendig: Ohne den Staat gibt es keine Demokratie. Und ohne die Rückeroberung wirtschaftlicher Souveränität bleibt jeder Ruf nach sozialer Gerechtigkeit ein moralischer Appell – ohne politische Substanz.