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Von der zerstörerischen Kraft des Geldsystems

| 30. Oktober 2024
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Das aktuelle Geld- und Finanzsystem verursacht einen weltweiten Zerstörungsfeldzug gegen soziale und ökologische Systeme, sagt der Ökonom Felix Fuders. Er plädiert für eine radikale Reform.

Die Denk- und Handlungslogik des gesamten modernen Geld- und Finanzsystems stellt der Ökonom Felix Fuders mit seinem Buch How to Fulfil the UN Sustainability Goals. Rethinking the Role and Concept of Money in the Light of Sustainability (2023) fundamental in Frage. Wer sich für die Überlegungen des Professors für Volkswirtschaftslehre an der Universidad Austral de Chile öffnen möchte, muss also sehr offen für ungewohnte Denkmuster sein.

Fuders plädiert für eine humane Wirtschaftsform, in der die Menschen sich selbst als Teil der Natur betrachten. Die Achtung vor dem „divine equilibrium“ (göttlichen Gleichgewicht) der Natur und ein sich selbst beschränkender nachhaltige Umgang mit ihr sei die grundlegende Voraussetzung, um die Zerstörung der Umwelt zu beenden.

In Anlehnung an den Ökonomen Manfred Max-Neef (1932–2019) soll das Geld- und Wirtschaftssystem nicht weniger als die fundamentalen menschlichen Bedürfnisse befriedigen. Das sind jene Wirtschaftsaktivitäten, die zur Verbesserung der Lebensqualität führen. Damit das möglich wird, so Fuders, ist eine grundlegende Reform unseres Geldsystems unabdingbar. Das sei keineswegs ein schmerzvoller Prozess: Die Schaffung eines „tatsächlich neutralen“, das heißt zinsfreien Geldes, würde den quantitativen Wachstumsimperativ beseitigen und wie von einer „unsichtbaren Hand“ gesteuert zu dem gewünschten Ziel führen.

Das gegenwärtige Geldsystem hingegen leide an einem fundamentalen und nicht auflösbaren Widerspruch: Geld könne nicht zugleich „fließen“ (zum Tauschen und Zahlen) und „gehortet“ (zum Sparen verwendet) werden. Dieses Diktum, das erstmals der Finanztheoretiker, Sozialreformer und Begründer der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesell (1862–1930) aufstellte, ist ein zentraler Referenzpunkt von Felix Fuders.

Die „natürliche“ Funktion des Geldes sah Gesell im störungsfreien Fließen des Geldes. Demnach passe sich „natürliches“ Geld den beim Zirkulieren in Geldkreisläufen natürlichen Wachstumsprozessen an. Fuders schließt daraus, dass der Widerspruch zwischen „fließendem“ und „gehortetem“ Geld aufgelöst werden muss, indem dessen Fließunktion gestärkt wird. Die destruktive Akkumulations- bzw. Wertspeicherfunktion des Geldes wäre damit beseitigt.

Die tieferen Ursachen der Zerstörungen im Ökosystem sieht Fuders in der unaufhaltsamen Beschleunigung der Geldzirkulation, die wiederum durch den Wachstumszwang der Wirtschaft angetrieben werde. Sie unterwerfe die Natur ihren Imperativen und missachte die Naturgesetze. Den Hunger nach natürlichen Ressourcen, den das Geldsystem schürt, könne die Natur nicht befriedigen. Es bleibe ihr keine Zeit zur Regeneration, weil die Wachstumsprozesse der Wirtschaft einerseits und des Ökosystems andererseits nach unvereinbaren Prinzipien ablaufen: "Zeit ist Geld" – aber Natur braucht Zeit.

Eine weitere destruktive Dynamik sieht Fuders in einer sich unaufhaltsam weiterdrehenden Verschuldungs- und Vermögensspirale des Geldsystems, aus der sich die immer weiter zunehmende Vermögensungleichheit ableite. Ihre Ursache liege im Zins begründet. Denn der Zins – auch hier ist Fuders wieder ganz bei Gesell – sei der einzige Mechanismus, der es ermöglicht, dass sich Geld selbst vermehrt.

Fuders: Der Mechanismus des Zinses erzeugt keine Stabilität

Daraus leitet sich Fuders Prämisse ab: Die größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Macht haben die privaten Geldschöpfer und die größten Geldbesitzer. Mit der „Geldmacht“ können sie die Güterproduktion maßgeblich beeinflussen. Die Nachfrage nach werthaltigen Gütern – namentlich durch das produzierende Gewerbe, Regierungen und generell Konsumenten – sind von der Geldemission abhängig.

Eine Sonderrolle nehmen die ganz großen Geldbesitzer und Finanzmarktakteure (Vermögensfonds) ein. Ohne selbst Geldschöpfer zu sein, arbeiten sie mit privaten Geldschöpfern zusammen, etwa mit Hebelungsbeteiligungen (= Fremdkapital) von Geschäftsbanken an Finanzmarktransaktionen der großen Akteure.

Die weitere Prämisse Fuders ist in der ersten enthalten. Sie besagt, dass der Zins das Fundament von Geldmacht und gesellschaftlicher Macht schlechthin ist. Denn der Zins ist „als Opportunitätskosten einer jedweden realwirtschaftlichen Investition“ zu begreifen. Wenn ein Unternehmer nicht wenigstens eine Rendite einfahren kann, die er für eine Geldanlage bei der Bank bekommt, macht die Investition keinen Sinn. Die Opportunitätskosten demonstriert Fuders auch am Barwert. Eine Investition ist dann rentabel, wenn der abgezinste Barwert der zukünftigen Rückflüsse aus der Investition über den Investitionszahlungen zu Beginn liegt.

Dieser Mechanismus ist für Fuders allerdings in keiner Weise dazu geeignet, Ordnung und Stabilität in das Geld- und Finanzsystem zu bringen. Denn der Zinsmechanismus funktioniere nicht immer so, wie die Vertreter der konventionellen Geldpolitik in Zentralbanken und ihrem gleichgesinnten Umkreis in Geschäftsbanken und neoklassischer Ökonomik denken: Hat die EZB die Zinsen zu wenig gesenkt oder vielleicht doch zu stark, um nicht wieder eine Inflation zu entfachen? Die Zinssteuerung steht auf wackligem Fundament.

Fuders stört sich daran, dass sich private Geldschöpfer und die Besitzer hoher Einlagen am Finanzmarkt orientieren. Sie verlangen immer – das heißt kurz-, mittel- und langfristig – die Bedienung ihrer Geldvermögen mit Guthabenzinsen. Die dadurch wachsenden Einlagen erzeugen eine immer höher werdende Menge an Guthabenzinsen. Sie entstehe durch unentwegte „Zins-Geldschöpfung“.

Der Ökonom gesteht der konventionellen Geldpolitik zwar zu, dass ihre Zinssenkungen kurzfristig die Nachfrage nach Waren steigern. Auf mittlere und lange Frist aber wären es hohe Zinsen, die zu Geldmengenwachstum, BIP-Wachstum und hoher Inflation führen würden. Durch Zinserhöhungen können die Besitzer großer Einlagen diese vermehren. Wenn die Zentralbank jedoch die Zinsen senkt, entstehe ein kurzfristiger Effekt nach erhöhter Geldnachfrage für Investitionen in die Realökonomie, der aber bald wieder von der durchgängigen Zinsnachfrage der Hochvermögenden überlagert werde, so Fuders. Das führe zu einer Abkoppelung des Geldmengenwachstums vom BIP-Wachstum.

Mit dem wachsendem Geldangebot werden Kredite billiger. Die Zinsen auf Schulden fallen. Gehen aber die Einnahmen aus den Zinsen zurück, wird es für die Geschäftsbanken immer schwieriger, die wachsenden Guthabenzinsansprüche der immer größer werdenden Einlagen der Hochvermögenden zu befriedigen. Dieser krisenhafte Zustand sei nur noch dadurch zu toppen, dass die solventen Schuldner ausgehen.

Das Monopol der Geldbesitzer über die Warenbesitzer

Fuders begreift Keynes Deficit-Spending als eine Kompensations- und Duldungsstrategie des Staates gegenüber der privaten Geldhortung. Der Staat agiert als borrower of last resort, das heißt: wenn die Kreditvergabe der Geschäftsbanken zurückgeht, kompensiert der Staat dies durch eigens vergebene Darlehen.

Auch mit John Maynard Keynes umfangreiche Ausführungen zum Zins setzt sich Fuders auseinander. Diese sind in der gängigen Lesart nicht eindeutig und so stellt auch Fuders Uneindeutigkeiten heraus. Keynes sehe im Sparzins eine Belohnungsprämie dafür, dass ein Geldbesitzer die direkte Verfügung über den Gebrauch seines Geldes an die Bank abgibt. Er verzichtet auf Liquidität, weshalb der Brite von einer Liquiditätsprämie spricht.

Tatsächlich war Keynes war einer der wenigen Ökonomen, der sich ebenfalls mit Silvio Gesell auseinandersetzte, ihn sogar als einen Visionär bezeichnete, der den Menschen Bedeutenderes mitzuteilen habe als Karl Marx. Gesell gehe es um die Beseitigung des „Urzinses“, dessen Wert er bei etwa fünf Prozent ansetzt. Die Geldbesitzer öffneten die Geldschleuse erst, wenn sie diese Rendite einfahren können.

Gesell glaubte, dass dem freien Umlauf des Geldes in Form einer negativen Sanktionierung nachgeholfen werden müsse – am besten in Form eines Negativzinses. Dem Negativzins geben „Freigeldler“ wie Gesell und Fuders den Namen „Umlaufsicherungsgebühr“. Dieser Negativzins wird auf gehortetes Geld erhoben – sowohl auf Bargeld, das dadurch nicht mehr „unter der Matratze“ aufbewahrt wird, als auch auf Geld, das nicht für eine Zirkulation durch Kreditvergabe (zum Nullzins!) zur Verfügung gestellt wird. Das „schmerzt“.

Den Freigeldlern geht es darum, die Verfügungsgewalt des Geldes über die Waren zu durchbrechen. Der Geldbesitzer dürfe nicht den auf seinen verfaulenden Kartoffeln sitzenden Warenbesitzer warten lassen. Und bei Millionen von Autos, die auf Halde liegen, fallen erhebliche Lagerhaltungskosten an. So argumentiert Fuders, dass die Negativzins-Phase der Europäischen Zentralbank von Juni 2014 bis Juli 2022 nicht funktionieren konnte, weil sie das Bargeld nicht miteinschloss.

"Tatsächlich neutrales“ Geld ist für Fuders zinsfreies Geld. Damit werde die Geldschranke beseitigt, Geld und Waren könnten störungsfrei zirkulieren. Die Nachfrage nach Krediten sei dann die einzige Variable, welche die Zunahme und Abnahme der Geldmenge bestimmt. Fuders beruft sich hierbei auf das nach John Fullarton (1780-1849) benannte Fullartonsche Gesetz, demnach sich der Geldbedarf einer Volkswirtschaft von ganz alleine regeln würde.

Leistungslose Zinsgewinne

An dieser Stelle sind einige grundsätzliche Reflexionen über das Geld angebracht, denn Fuders Argumentation beruht auf diesen. Geld ist das Gegenstück einer Schuld, was eine Kredit-Schuld- oder Gläubiger-Schuldner-Beziehung impliziert. Geld entsteht durch Kredit, weil es in unvermeidbarer Weise immer das Gegenstück einer Schuld ist. Geld muss vorgeschossen werden, wenn eine wirtschaftliche Aktivität, zum Beispiel der Bau einer Brücke oder eines Hauses finanziert werden soll.

Das Vorschießen von Geld ist ohne und mit Zinsen gleichermaßen möglich. Ohne Zinsen würde für die Kreditvergabe lediglich eine Bearbeitungsgebühr und Vermittlungsgebühr fällig. Auch ein Risikoausgleich sei nicht notwendig, da in der Regel der Kreditnehmer das Risiko trage, so Fuders. So gesehen ist zinsfreies Geld nicht zwangsläufig ein Problem. Da Geld keinen „inneren“ Wert hat – es kann unbegrenzt per Tastendruck erzeugt werden – ist es auch kein Vermögensgegenstand. Es ist nicht knapp.

Nur die zeitweise Überlassung eines Vermögensgegenstandes rechtfertige eine Leihgebühr, argumentiert Fuders. Ein verliehenes Auto zum Beispiel verliert durch die Benutzung an Vermögenswert. Geld in Form einer Banknote, einer Bankkarte und so weiter ist dagegen lediglich ein Dokument, ein Ausweis für einen Anspruch auf ein werthaltiges Gut. Die wichtigste „Wert“-Grundlage von Geld ist das Vertrauen der Geldnutzer in das Dokument/die Karte, mit ihm/ihr ein wertvolles Gut zu erhalten.

In unserem Geldsystem ist es jedoch in der Regel nur möglich, in Form eines verzinsten Kredits über neues Geld zu verfügen – von der Phase des Quantitative Easing und Negativzinses einmal abgesehen.

Wegen den mit dem Kredit automatisch verbundenen Zins- und Zinseszinsen beruht das gesamte Geldsystem auf einem Verschuldungsmechanismus. Dass dadurch verzinste Einlagen und entsprechende Schuldenberge parallel und exponentiell wachsen, sieht Fuders als Problem. Auch Staaten müssen sich bei privaten Geldgebern verschulden und Zinsen zahlen, obwohl ihnen ein gesetzliches Geldschöpfungsmonopol zusteht. Die Europäischen Verträge „sehen darüber hinweg“, indem sie die monetäre Souveränität der Staaten in empfindlichem Maße eingeschränkt haben.

Die grundsätzliche Fragwürdigkeit des zinsbasierten Geldsystems besteht laut Fuders darin, dass Zinsgewinne aus der Kreditvergabe leistungslos erworben werden. Das ist eine Kernthese des Gesellianers: in einem Gesellschafts- und Wirtschaftssystem sein, das Arbeit und Leistung als Tugenden herausstellt, seien Zinsen ein Fremdkörper.

Was Fuders von Keynes unterscheidet, ist die Tatsache, dass er dem neoklassischen Gleichgewichtsdenken von Angebot und Nachfrage nach Geld, dem Keynes anhing, wenig abgewinnen kann. Der Zins ist für Fuders auf keinen Fall ein Marktpreis und damit ein Instrument, um beide in ein Gleichgewicht zu bringen. Auch nach Heiner Flassbeck entsteht der Zins aus einer „reinen Willkür der Zentralbank“.

Fuders wird sich der Kritik stellen müssen, Utopisches zu wollen. Etwa dann, wenn er vom monopolfreien „perfekten Wettbewerb“ sich „quasi-liebender“ Menschen in Form vieler kleiner und mittelgroßer Produzenten spricht oder gar von einer wettbewerbsfreien Form des Wirtschaftens von Nächstenliebe erfüllter Menschen.

Doch zumindest hat er in einem Punkt recht: Auch die Apologeten des real existierenden Geld-, Finanz- und Wirtschaftssystems verschließen vor den Realitäten die Augen: Die vielen Krisen der letzten Jahrzehnte zeigen, wie instabil und selbstzerstörerisch dieses System sein kann.

Felix Fuders: How to Fulfil the UN Sustainability Goals. Rethinking the Role and Concept of Money in the Light of Sustainability (2023), Springer Cham, 357 Seiten.