Editorial

Das Projekt Trump II

| 14. November 2024
@midjourney

Das Projekt Trump II

Lieber Leserinnen und lieber Leser,

seit Donald Trumps Wiederwahl ist die Welt in Aufruhr. Vor allem eine Frage gewinnt immer mehr an Bedeutung: Inwieweit wird der neue und ehemalige Präsident seine radikalen Wahlversprechen umsetzen? Den Kongress hat er im Gegensatz zu letztem Mal hinter sich – ein entscheidender Machtfaktor. Wird er daher seine großspurigen (wirtschaftspolitischen) Ankündigungen diesmal besser umsetzen können? 20 Prozent Zölle auf alle Importwaren würde insbesondere Deutschlands wichtige Exportindustrie vor große Herausforderungen stellen.

Wie weit wird sein Kabinett mit gleichsam schillernden und radikalen Persönlichkeiten gehen – nicht zuletzt Elon Musk, der als reichster Mann der Welt Staatsausgaben radikal kürzen will? Und besonders wichtig für Europa: Wie geht es mit der Ukraine weiter, deren Krieg mit Russland Trump vermeintlich innerhalb eines Tages beenden will? Eines ist jetzt schon klar: Trump wird mit Bidens Politikstil brechen – wie sehr, wird sich zeigen.

So kontrovers solche Fragen nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und dem Rest der Welt diskutiert werden, so sehr scheiden sich auch die Geister in der MAKROSKOP-Autoren- und Leserschaft – nicht zuletzt sind dir kritischen Leserbriefen in Reaktion auf Sebastian Müllers und Gregor Baszaks Artikeln aus der letzten Ausgabe symptomatisch. Und auch diese Woche sind die Geister gespalten.

Nach wie vor beschäftigt die Autorenschaft, wie Trump dermaßen eindeutig gegen Kamala Harris gewinnen konnte – am Ende standen 312 Wahlleutestimmen für den Republikaner 226 für die Demokratin gegenüber. Die Wirtschaftswissenschaftler Jörg Bibow und Maurice Höfgen spüren sozio-ökonomischen Gründen für die Wahlentscheidung nach. Kein Wunder: denn für die Trump-Wahl war „Wirtschaft“ laut Umfragen der entscheidende Faktor.

Während Höfgen betont, dass Trump durch den Hauptfokus auf Inflation ihre Verlierer für sich mobilisieren konnte, sind dafür laut Bibow vor allem positive Assoziationen an „Trump I“ verantwortlich, namentlich an die Hochkonjunktur zwischen 2017 und 2019. Auf Seiten der Demokraten gibt es obendrein „zwei stark belastende Negativposten“ in Form von Preisschocks und Migrationskrise, die Biden und Harris anhaften und sie gegenüber dem Republikaner unattraktiv machen.

Langfristig betrachtet ist sicherlich auch die Vernachlässigung und der mangelnde Respekt der akademisierten Schichten gegenüber der Arbeiterklasse ein wichtiger Faktor des großen Zuspruchs für „Trump II“ unter einfachen Leuten. Aktionen wie eine Müllwagen-Fahrt und die Aushilfe bei MC Donalds strotzten vor proletarischer Symbolik, sprachen eine „multiethnische Mehrheit aus der Arbeiterklasse“ an und bescherten dem 78-jährigen starke Stimmengewinne bei schwarzen und hispanischen Arbeitern. Mit dieser Strategie haben es zuvor auch die Demokraten versucht – erfolglos, so der New-York-Times-Kolumnist David Brooke in MAKROSKOP.

Wird Trump in seiner zweiten Amtszeit dieser „multiethnischen Arbeiterklasse“ zu neuem Glanz verhelfen? Wohl kaum. Denn unter Preissteigerungen, die aufgrund von Zollerhöhungen drohen, und der von Musk angekündigten Kürzungspolitik im sozialen Bereich leiden vor allem ärmere Schichten. Unten diese sind nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA stark multiethnisch geprägt.

Aber trotzdem bietet Trump II auch eine Chance. Wie unser Autor Thomas Fazi provokant herausstellt, ist es gerade der neue alte Präsident, der „Europa befreien könnte“. Denn eine Isolierung vom Rest der Welt, bietet der EU die Chance, eine „Brücke zwischen dem Westen und den aufstrebenden eurasischen Mächten des neuen Jahrtausends“ zu bauen. Diese Neuorientierung würde jedoch das transatlantizistische Establishment unverhohlen herausfordern. Neue Konfliktlinien zeichnen sich ab.

Diese und weitere Artikel finden Sie in unserer neuen Ausgabe:

  • Wie Trump Europa befreien könnte Auch wenn Trump eine isolationistische Politik verfolgen sollte, ist es unwahrscheinlich, dass er sich kurzfristig komplett von Europa und der Ukraine lösen wird. Langfristig jedoch bietet sich für Europäer die Chance, mehr strategische Autonomie zu erlangen. Thomas Fazi
  • BRICS fordern den westlichen Unilateralismus heraus Eines der wichtigsten Wirtschaftstreffen fand in den westlichen Medien kaum Beachtung – zu Unrecht, denn der BRICS-Gipfel in Kasan stellt die Weichen für eine multilaterale Weltordnung. Tiago Cardão-Pito
  • Trump II: Aufbruch zur Größe oder Denkzettel mit unbeabsichtigten Folgen? Wirtschaftliche Gründe haben Donald Trumps Wiederwahl bestimmt. Denn mit Ausnahme des ersten Coronajahrs assoziieren viele Wähler seine vormalige Amtszeit mit einem ökonomischen Aufschwung. Jörg Bibow
  • Schularick: Krieg zum Wohle des deutschen Volkes Der Ukrainekrieg tobt seit fast drei Jahren. Während die Stimmen derer, die Verhandlungen fordern, immer lauter werden, hält der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Moritz Schularick eisern an einer militärischen Lösung fest. Die Argumente sind heute so wie zu Anfang – höchst brüchig. Ein offener Brief. Heinrich Röder
  • Inflation runter, Zölle hoch: Trumps großer Widerspruch Trump hat die US-Wahl gewonnen, weil er die Inflationsverlierer auf seine Seite gezogen hat. Aber kann er seine Versprechen halten? Maurice Höfgen
  • Der Scheidungsbrief Die finale Provokation von Finanzminister Lindner hat seine Entlassung bezweckt und damit die Ampel beerdigt. Stein des Anstoßes war das Wirtschaftswendepapier des Finanzministers, mit dem er klassische liberale Ideen propagiert und sich fundamental von den Ex-Koalitionspartnern abgrenzt. Überraschend oder neuartig ist sein Inhalt aber keineswegs. Lukas Poths
  • Seht ihr uns jetzt? Donald Trumps Wahlsieg läutet ein neues Zeitalter ein. Auch Kamala Harris Politik der guten Laune konnte die Wunden nicht heilen, für die Vernachlässigung und mangelnder Respekt gegenüber der Arbeiterklasse verantwortlich sind. Trump war geschickter. David Brooks
  • Über Freiheit „Wenn wir wirklich frei sein wollen, werden wir bejahen, nicht nur verneinen müssen“ – sagt der US-Historiker Timothy Snyder. Aber was folgt daraus? Joseph Kuhn