Lasst uns den Euro zu einem Glücksfall der Geschichte machen!
Aber wie? Mit einer Fiskalunion oder Lohnkoordination? makroskop – das institut möchte einen dritten Weg prüfen und das Forschungsprojekt „EURO-RECONCEPT“ initiieren.
In der EDITION MAKROSKOP ist diesen Herbst von Thomas Fazi und William Mitchell das Buch „Wie wir den Staat zurückgewinnen“ erschienen. Das Buch ist die deutsche Übersetzung von „Reclaiming the state“.
Die Lektüre sei jedem empfohlen, der etwas darüber lernen will, wie ab den 1970er Jahren die Politik – vielleicht weil sie es nicht besser wusste – den Finanzmärkten alle staatlichen Türen und Toren öffnete und am Ende die Staaten vor den Finanzmärkten kapitulierten. Das Buch liest sich passagenweise wie ein spannender Krimi. Die Autoren zeigen, dass es keine Notwendigkeit für diesen Prozess gab, und sie werben für die Einsichten der Modern Monetary Theory, die es uns erlauben diesen Prozess umzukehren.
Das härteste Brett, das es zu bohren gilt, wenn wir diesen Prozess umkehren wollen, finden wir im Euro-Raum. Darüber ist auf MAKROSKOP oft geschrieben worden. Die EZB ist vor politischer Einflussnahme weitgehend geschützt. Eine Änderung des EZB-Gesetzes bedürfte der Zustimmung aller Euro-Staaten, und die Schuldenobergrenzen des Maastricht Vertrages schränken die Staaten in ihrer Währungssouveränität ein. Wenn die EZB will, tanzen die Staaten nach der Pfeife der Finanzmärkte.
Der Euro stand schon immer in der Kritik. Lange vor seiner Einführung wurde vor ihm und seinen Konsequenzen für die europäische Wirtschaft gewarnt. Aus der linken Ecke wurde insbesondere das Risiko eines zu sparsamen Staates beklagt, das durch die Maastricht-Kriterien gegeben sei, während von konservativer Seite vorgetragen wurde, dass der Euro dazu führen würde, dass die starken Staaten für die Schulden der schwachen haften müssen.
Es gab und gibt immer wieder die Forderung, den Euro abzuschaffen, weil er dysfunktional sei und mehr schade als nütze. Es gab in der Europäischen Union auch immer wieder Krisen, in denen der baldige Zusammenbruch des Euros prophezeit wurde. Dies geschah aber nicht. Insbesondere die EZB wusste nach dem Desaster mit Griechenland potenzielle Katastrophen abzuwenden.
Der Euro wird bleiben und die (ökonomische) Zukunft Europas mitbestimmen. Er steht auch für das Projekt einer wirtschaftlichen Einheit Europas, vielleicht wird eines Tages eine politische Einheit folgen. Letztere ist noch in weiter Ferne – und sie wird ewig in der Ferne liegen, wenn es nicht gelingt, Europa wirtschaftlich zusammenzuführen.
Goldene Lohnregeln und Fiskalunion?
Dies ist im Augenblick nicht gegeben, auch weil die europäischen Staaten unterschiedliche Zielsetzungen verfolgen: Während Deutschland oder die Niederlande (noch) stark exportorientierte Ökonomien haben und tendenziell auf niedrige Lohnstückkosten achten, sind andere Länder (zum Beispiel Italien oder Frankreich) eher konsumorientiert und der Widerstand gegen Lohn- und Transferkürzungen ist dort größer als in Deutschland.
Insbesondere Heiner Flassbeck hat immer wieder darauf hingewiesen, dass diese unterschiedlichen Ökonomien, in einem einheitlichen Währungsraum zusammengezwungen, Leistungsbilanzdefizite – und überschüsse produzieren. Er wirbt für eine Lohnkoordination. Alle Euro-Länder sollen der goldenen Lohnregel folgen, nach der sich die Löhne der Länder an der europäischen Zielinflationsrate und dem Produktivitätszuwachs des jeweiligen Landes orientieren. Selbst wenn eine solche Koordination durchsetzbar ist, bleibt allerdings immer noch die Frage, wie mit den Schuldenobergrenzen für die Staaten zu verfahren ist.
Eine Alternative (oder vielleicht auch Ergänzung zur Lohnkoordination) ist die Fiskalunion. In ihr würde ein europäischer Finanzminister Gelder an die Länder nach festzulegenden Kriterien verteilen. In der konsequentesten Variante würde dann der größte Schuldner die europäische Union als Bundesstaat sein, für den man auch die Schuldenobergrenzen neu definieren könnte.
Beide Ideen unterstellen eine große Bereitschaft der Euro-Staaten zur Kooperation.
Lässt sich eine europaweite Lohnkoordination durchsetzen? Es stellt sich dabei auch die Frage, ob die unterschiedlichen Lohnfindungsprozesse in den einzelnen Staaten zu einem einheitlichen europäischen System weiterentwickelt werden müssen (was eine sehr anspruchsvolle Zielsetzung wäre) oder ob es möglich ist, die unterschiedlichen Systeme auf ein identisches Ziel zu verpflichten. Eine ganz andere Frage ist, ob überhaupt die Lohnstückkosten, die durch die Lohnkoordination auf ein gleiches Niveau gehoben werden sollen, die entscheidende Ursache für die aktuellen Leistungsbilanzungleichgewichte sind.
Eine Fiskalunion wiederum wird sicher zu einem Verteilungskampf unter den Staaten führen. Sie bringt eher Konfrontation denn Kooperation. Die rechten Parteien der Euro-Staaten werden bei einer solchen Lösung nicht müde zu betonen, dass die anderen Länder auf Kosten des eigenen Landes in Saus und Braus leben (man denke an die Beschimpfung der „faulen“ Griechen durch deutsche Medien in 2015).
„EURO-RECONCEPT“
makroskop – das institut, eine Schwestergesellschaft von MAKROSKOP – Das Magazin und im Aufbau befindlich, möchte einen dritten Weg prüfen und ein Forschungsprojekt mit dem Arbeitstitel „EURO-RECONCEPT“ initiieren.
Die zentrale Forschungsfrage ist:
„Kann das Regelsystem des Euros so umgeschrieben werden, dass Verschuldungsquoten eines Staates keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen und der Fokus dafür auf die Leistungsbilanzen verschoben wird? Könnte es sein, dass ein einheitlicher europäischer Wirtschaftsraum mit Hilfe des Euros am besten geschaffen werden kann, indem den Staaten wieder eine größere wirtschaftliche Autonomie gegeben wird – die Grenze der Autonomie wird dabei durch das Postulat einer ausgeglichenen Leistungsbilanz gesetzt.“
Keynes hatte für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ein Währungssystem mit dem „Bancor“ als Weltwährung vorgeschlagen. Wie bekannt, konnte er sich nicht durchsetzen. Die Idee war, dass die Staaten der Welt an einem Währungssystem teilnehmen, das Leistungsbilanzüberschüsse genauso bestraft wie Leistungsbilanzdefizite.
Ein Leistungsbilanzdefizit stellt für das jeweilige Land ein Problem dar, wenn es dieses Defizit nicht in der eigenen Währung ausgleichen kann und sich in einer fremden Währung verschulden muss. Es ist aber auch ein Problem für Länder mit starken Währungen wie zum Beispiel die USA. Die USA haben zwar kein Verschuldungsproblem gegenüber dem Ausland, da sie in der eigenen Währung ihre Verbindlichkeiten begleichen können, aber die Fertigkeiten und das Knowhow eines Landes gehen zurück. Langfristig zerstört ein Land, das sich nicht um das Defizit kümmert und munter im Ausland einkauft, seine produktive Basis.
Überschüsse wiederum werden oft als volkswirtschaftlicher Erfolg gefeiert. Dass es diese Überschüsse nur geben kann, wenn andere Länder Defizite ausweisen, ist auf MAKROSKOP oft genug dargelegt worden. Alle Länder können nicht gleichzeitig Überschüsse erwirtschaften. Wichtiger ist aber, dass diese vermeintlich stolze Leistung – auf Permanenz gestellt - dem eigenen Land schadet. Was nützen mir die ganzen Geld-Forderungen gegenüber dem Ausland, wenn ich sie nie einlöse, weil ich immer wieder nur Überschüsse erwirtschaften will. Das Überschussland hat zwar Geld, die Waren, die den materiellen Wohlstand ermöglichen, sind aber im Ausland. Das Überschussland mag finanziell reich sein, materiell ist es aber arm – mit Händen zu greifen im Deutschland der maroden Infrastruktur und der Exportweltmeisterschaft.
Ein europäischer Bancor?
Den Bancor als Weltwährung wird es so bald nicht geben. Aber warum backen wir nicht erst einmal europäische Brötchen? Welche Ziele auch immer die Väter des Euros verfolgt haben: Die Frage ist, ob der Euro zum europäischen Bancor umgebaut werden kann.
Das Forschungsprojekt von makroskop – das institut wird sich mit vielen Fragen beschäftigen müssen. Hier seien ein paar aufgelistet:
- Lässt sich zeigen, dass ein europäischer Bancor zum Vorteil aller Euro-Staaten ist?
- Wie erreicht man, dass Defizit- und Überschussabbau nicht zu einer ungewollten Verringerung des BIP führen?
- Kann man mit einem solchen Euro-Konzept den Staaten zugleich eine größere wirtschaftliche Autonomie geben und das Zusammenwachsen der Staaten fördern?
- Kann jeder Staat – salopp formuliert – machen, was er will, und die einzige Schranke seines Tuns ist die ausgeglichene Leistungsbilanz? So bliebe Lohnfindung Sache der Einzelstaaten (das gleiche gilt zum Beispiel für die Sozialsysteme) und die Subventionierung bestimmter Industrien bräuchte keine Genehmigung aus Brüssel.
- Könnte so auch eine gemeinsame Industriepolitik verschiedener europäischer Staaten einfacher werden?
- Braucht man Ausnahmeregeln für die schwachen Euro-Staaten?
- Welche Rolle spielt die EZB in diesem System?
- Brauchen wir weiterhin Grenzen für die Staatsverschuldung oder reguliert sich das Maß der Verschuldung von selbst durch die ausgeglichenen Leistungsbilanzen?
- Welche Risiken bringt das System mit sich und wie kontrollieren wir diese?
- Welche Sanktionsmechanismen sind notwendig und wirksam?
Das junge Institut will mit dem Projekt im nächsten Jahr beginnen.
Wenn wir unterstellen, dass das Forschungsergebnis ist, dass ein solcher europäischer Bancor machbar und richtig ist, dann bleibt noch die Petitesse der politischen Durchsetzbarkeit. Auch diese Reform des Euros erfordert zum Teil einstimmige Änderungen europäischer Gesetze. Der Vorteil dieses Konzepts ist aber, dass es den einzelnen Staaten eine größere Autonomie gibt. Und wenn sich zeigen lässt, dass das Konzept für alle von Vorteil ist, hat es vielleicht eine Chance der Umsetzung. Wichtig ist auch an bestehende Institutionen und Verfahren, wo immer möglich, anzuknüpfen, zum Beispiel an das europäische Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten.
Wir wissen, dass Menschen in ihren ideologischen Denkmustern und Gewohnheiten gefangen sind. Deswegen: Die Reform des Euros wäre ein hartes Brett – egal, wie viele gute Argumente für einen europäischen Bancor sprechen. Hoffentlich gibt es diese vielen guten Argumente, dass wir am Ende guten Gewissens sagen können: „Lasst uns den Euro zu einem Glücksfall der Geschichte machen, indem wir ihn zum europäischen Bancor machen.“