Die Frustration in den USA nimmt zu
Die Amerikaner sind so pessimistisch wie seit 50 Jahren nicht mehr. Trotz sinkender Inflation fühlen sich viele überfordert – und Donald Trump ignoriert die Krise.
Selten hatten die Amerikaner in den letzten 50 Jahren eine so schlechte Meinung von der Wirtschaftslage wie heute. Seit 50 Jahren erhebt die University of Michigan in ihrer als Goldstandard geltenden Umfrage Daten zur Verbraucherstimmung. Die Grafik zeigt, dass die Verbraucher nur während der letzten Inflationskrise in den 1970er und frühen 1980er Jahren ähnlich pessimistisch in die Zukunft blickten wie jetzt:
Und die Umfrage „Current Economic Conditions”, die misst, wie die Menschen die Wirtschaftslage einschätzen, ergab den niedrigsten Stand seit Beginn der Umfrage im Jahr 1951:
Da der Bericht am 7. November veröffentlicht wurde, wurde ein Großteil der Daten mitten in der Haushaltssperre erhoben – also bevor die Demokraten im Senat am Wochenende den Beschluss zur Beendigung der Haushaltssperre fassten.
Da die Zahlungen für das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), im Rahmen dessen 46,4 Millionen US-Bürger Lebensmittelhilfen erhalten, bald wieder aufgenommen und die Regierungsangestellten bald wieder ihre Gehaltsschecks erhalten werden, ist es unwahrscheinlich, dass der nächste Bericht der University of Michigan ebenso negativ ausfallen wird wie dieser – sofern keine bedeutende wirtschaftliche Katastrophe eintritt.
Die US-Bevölkerung brachte jedoch in den letzten vier Jahren auf vielfältige Weise ihre Unzufriedenheit mit den Preisen und der Wirtschaftslage zum Ausdruck. Gegenwärtig sind sie sogar noch wütender darüber als 2022, als die Inflation ihren Höhepunkt erreichte.
Anstatt Maßnahmen zu ergreifen, um die Preise zu senken, behauptet Präsident Donald Trump fälschlicherweise, dass die Preise seit Beginn seiner Amtszeit sinken würden. Oder, dass die Benzinpreise bei zwei Dollar pro Gallone liegen, obwohl der tatsächliche Durchschnittspreis zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels bei über drei Dollar liegt.
Und er versuchte mit der vermeintlichen Tatsache zu punkten, dass der Preis für den jährlichen „Thanksgiving-Korb” von Walmart mit Grundnahrungsmitteln für das Thanksgiving-Essen gegenüber dem Vorjahreskorb um 25 Prozent gesunken ist. Dabei ignoriert er jedoch, dass sich nach Recherchen des CNN-Faktenprüfers Daniel Dale „der diesjährige Korb vom Vorjahreskorb unterscheidet – insbesondere dadurch, dass er deutlich weniger Artikel enthält”.
Der Korb von Walmart für 2025, erklärt Dale, „enthält 15 Produkte, sechs weniger als die 21 Produkte im Korb von 2024. Wenn man jeden einzelnen Artikel (wie jede Dose grüne Bohnen) separat zählt, sind es in diesem Jahr 22 Artikel im Vergleich zu 29 Artikeln im letzten Jahr“, darunter Süßkartoffeln, „Mini-Marshmallows, Maismuffin-Backmischung, frische Zwiebeln und frische Selleriestangen“ sowie eine ganze frische Pekannusstorte, die in der Ausgabe für 2025 fehlt.
Aber der Streit über Artikel in einem Werbeangebot für Lebensmittel verschleiert das Gesamtbild: Die überwiegende Mehrheit der Amerikaner ist derzeit äußerst unzufrieden mit der Wirtschaftslage – und das in nahezu jeder Hinsicht, wie Bloomberg berichtet: „Eine Mehrheit von 62 Prozent der Befragten in der [Harris]-Umfrage vom 23. bis 25. Oktober gab an, dass die Kosten für ihre Alltagsartikel im letzten Monat gestiegen sind und fast die Hälfte dieser Personen sagte, dass die Erhöhungen schwer zu verkraften seien.“
Weiter heißt es: „55 Prozent der berufstätigen Amerikaner berichten, dass sie Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Diese Angst folgt auf eine Flut von Entlassungsankündigungen großer Arbeitgeber, darunter Amazon.com Inc., Target Corp. und Starbucks Corp. Die Outplacement-Firma Challenger, Gray & Christmas Inc. berechnete für diesen Oktober die seit mehr als zwei Jahrzehnten meisten Stellenstreichungs-Ankündigungen für diesen Monat.“
Trump weigert sich also anzuerkennen, dass es eine handfeste Bezahlbarkeitskrise gibt. Sein Vorgänger Joe Biden verbuchte für sich, dass sich die massiven Preissteigerungen in den ersten sechs Monaten des Jahres 2024 verlangsamten. Tatsächlich ging die Inflationsrate damals zurück, und die USA erholten sich besser von der Pandemie als fast alle anderen Länder der Welt.
Trotzdem hatten die meisten Amerikaner auch unter Bidens Präsidentschaft nicht das Gefühl, dass die Wirtschaft für sie funktionierte. Obwohl die Inflationsrate sich in die richtige Richtung bewegte und die Preissteigerungen nachließen, zahlten die Amerikaner immer noch viel mehr für weniger Güter und Dienstleistungen als zuvor. Und die obigen Zahlen zeigen, dass sich dieses Gefühl im vergangenen Jahr eher noch verschlimmert hat.
Eine neue Umfrage zeigt, dass Trumps Zustimmungsrate für seine Wirtschaftspolitik, die während seiner ersten Amtszeit und zu Beginn dieses Jahres sehr hoch war, nun katastrophale Tiefststände erreicht hat. Rund 78 Prozent der unabhängigen Wähler lehnen inzwischen Trumps Wirtschaftspolitik ab. Bezieht man alle Wähler, einschließlich der Republikaner, mit ein, liegt Trumps Gesamtablehnungsrate in Bezug auf die Wirtschaft mit 67 Prozent sehr weit unten. Schlechtere Ergebnisse von Präsidentschaftsumfragen sind kaum vorstellbar:
In seinem Newsletter Slow Boring versucht der Journalist Matt Yglesias zu analysieren, was dieses Gefühl bedeutet: „In der Wirtschafts- und Politikliteratur ist bekannt, dass Wähler eine Abneigung gegen Inflation haben, selbst wenn die Nominaleinkommen schneller steigen als die Nominalpreise. Das ist nicht rational, aber sehr real“. Und weiter schreibt Yglesias: „Wenn Ihr Einkommen steigt, führen Sie das auf Ihre eigenen Anstrengungen zurück, während Sie bei steigenden Preisen jemand anderem die Schuld geben. Die Tatsache, dass dies alles Teil eines großen, miteinander verbundenen makroökonomischen Systems ist, kommt den Menschen nicht wirklich in den Sinn.“
Yglesias trifft einen wahren Kern: Die Regierung sollte sich auf Maßnahmen konzentrieren, die die Preisbelastung unmittelbar verringern – durch eine Erhöhung der amerikanischen Löhne und Maßnahmen, die helfen, Wohnkosten und andere Aufwendungen zu senken. Und: Menschen, die auf dem sich abkühlenden Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden, müssen gefördert werden. Das alles kann den US-Amerikanern kurzfristig eine gewisse Erleichterung verschaffen.
Um in den nächsten Jahren und Jahrzehnten für eine strukturelle Entlastung zu sorgen, sind gleichwohl langfristige Maßnahmen nötig. Dazu gehören eine robuste Kartellpolitik, die Anhebung des bundesweiten Mindestlohns, die Reform der Unternehmensführung zur Beendigung von Missbräuchen wie Aktienrückkäufe und außer Kontrolle geratene CEO-Gehälter und eine umfassende Neufassung des Steuerrechts.
Die Teuerungskrise ist nicht so unüberwindbar, wie es scheinen mag. Dazu bedarf es neuer Ideen und neuer Wege, um diese Ideen den amerikanischen Wählern zu vermitteln. Wir haben solche Neuausrichtungen in der US-Geschichte schon oft erlebt – und die Voraussetzungen für eine weitere scheinen gegeben zu sein.
Adaptierte Übersetzung des am 13. November 2025 auf Substack veröffentlichten Textes von Zach Silk "Economic Frustrations Grow for Working Americans"