Reform, Alter!
Liebe Leserinnen und Leser,
die wievielte Auflage es ist, lässt sich nur noch schwer ermitteln. Aber die Republik streitet mal wieder über die Rente, als hinge das Schicksal der Zivilisation davon ab, ob wir das Rentenniveau bei 48 oder 49 Prozent festzurren. Und als hätten wir nicht genug echte Krisen, schießt die Junge Union plötzlich aus allen Rohren und tut so, als müsste sie die letzte Bastion jugendlicher Vernunft gegen ein übergriffiges Rentenmonster verteidigen. Ein bisschen Drama muss wohl sein, sonst merkt ja keiner, dass es in diesem Land noch Politik gibt.
Dabei wäre etwas Gelassenheit gar nicht verkehrt. Die aktuelle Rentenreform ist weder der große Wurf noch der Weltuntergang. Sie zeigt nur, was in Deutschland seit Jahren praktiziert wird: Reformen, die mehr versprechen als sie halten. Und dann wundert man sich, wenn alle unzufrieden sind – hier die Reichinneks, die die Altersarmut im Land anprangern, dort die Winkels, die ihre eigene Generation bereits bluten sehen.
Während die Junge Union die Barrikaden aufstellt, Friedrich Merz auf dem Deutschlandtag der JU fast wie gemäßigter Sozialdemokrat dasteht, verbreiten andere fröhlich Halbwahrheiten. Die Debatte ist ein einziger Basar der verzogenen Zahlen. In manchen Talkshows klingt es, als müssten die heutigen Schüler demnächst ihre gesamte Lebensarbeitszeit aufbringen, nur um die gesetzlichen Rentenpunkte der Babyboomer zu bezahlen. MAKROSKOP hat in dieser Ausgabe klargezogen, was Fakten sind und was einfach nur Schaufenster-Wut.
Und trotzdem: Die Grundfrage bleibt. Wie organisiert man ein Rentensystem, das nicht nur die Älteren absichert, sondern den Jüngeren das Gefühl gibt, nicht in einem Generationenkonflikt zu stehen? Ein Blick nach Österreich zeigt, dass man durchaus anständige Renten zahlen und ein stabiles System haben kann. Die Alpen haben anscheinend nicht nur bessere Pisten, sondern auch ein besseres Verständnis dafür, dass ein Sozialstaat nicht durch ständige Magerkuren gesünder wird.
Das eigentliche Problem? Wir diskutieren Rente wie eine kulturelle Sollbruchstelle: Alt gegen Jung, Leistung gegen Anspruch, Reform gegen „bloß nix verändern“. Dabei wäre es dringend an der Zeit, die Sache weniger ideologisch und mehr strategisch zu betrachten. Nicht jede Reform ist automatisch gut, aber Nichtstun ist garantiert schlecht. Und nicht alles, was diese Rentenreform will, ist falsch.
Vielleicht sollten die Fraktionen insgesamt weniger Klientelpolitik betreiben, und mehr darüber nachdenken, was für ein Land wir eigentlich sein wollen. Ein Land, in dem Sozialpolitik als lästige Pflichtübung gilt? Oder eines, das erkennt, dass es ohne Vertrauen zwischen den Generationen gar keinen Sozialstaat gibt?
Reform, Alter? Ja. Aber bitte, ohne den Verfassungsauftrag aus dem Blick zu verlieren.