Sind staatliche Zinszahlungen ein Problem?
Schuldenstand und Zinskosten dominieren die politische Debatte. Warum ökonomisch andere Kennwerte wichtig sind und welchen Effekt die Zinsen auf die Verteilung haben.
In unserer neuen Rubrik „Frag‘ den MAKROnauten“ können Leserinnen und Leser der Redaktion Löcher in den Bauch fragen.
Liebe Leserinnen und Leser,
vielen Dank für die Einsendungen Ihrer spannenden Fragen! In letzter Zeit haben uns verschiedene Fragen rund um die Zinsen der Staatsanleihen erreicht. Sind steigende Zinskosten ein Problem für den Staatshaushalt? Fördern diese Zinszahlungen die soziale Ungleichheit? Wer die aktuellen ökonomischen Debatten verfolgt, stößt schnell auf diese oder ähnliche Fragen. Mit seinem Raumschiff hat sich der MAKROnaut auf den Weg ins Wissensuniversum gemacht, um nach Antworten zu suchen.
Wenn der Staat neue Kredite aufnimmt, erhöht sich zum einen der Schuldenstand, zum anderen steigen in der Regel auch die Zinskosten, die er aus dem Haushalt jährlich an die Halter der Staatsanleihen zahlen muss. Um die Zinszahlungen bei konstanten sonstigen Ausgaben und Einnahmen leisten zu können, braucht es somit immer mehr Geld, was Schuldenstand und Zinskosten weiter in die Höhe treibt.
Die Folge des Ganzen nach weit verbreiteter Logik: Inflation und ein Vertrauensverlust in die „Tragfähigkeit“ der Staatsschulden, was die Zinskosten weiter erhöht und die Staatsfinanzierung gefährdet. Doch ist das immer so? Führen Staatsausgaben und steigende Schuldenstände zwangsläufig zu Inflation und einer erodierenden Staatsfinanzierung?
Im Kontrast zum traditionellen Ansatz nähert die Modern Monetary Theory (MMT) sich der Thematik mit einer anderen, funktionalen Logik. Nicht der Schuldenstand als solcher ist ökonomisch relevant, sondern Kennwerte wie Inflation oder Beschäftigung. Wichtige Fragen sind grundsätzlich: Fließt (zusätzliches) staatliches Geld nachfragewirksam in die Realwirtschaft und wie ausgelastet ist die Wirtschaft bereits –wofür wiederum der Beschäftigungsgrad als wichtiger Indikator dient.
Fließen zusätzliche Ausgaben als staatliche Nachfrage beispielsweise in eine realwirtschaftliche Branche, die bisher unter ihren Möglichkeiten produziert hat, ist eine Erweiterung der Produktion zu erwarten, kein Preisanstieg. Ist die Wirtschaft jedoch bereits ausgelastet, steigen bei erhöhter Nachfrage die Preise.
Nehmen wir an, die Baubranche läuft gerade unter ihren Möglichkeiten und der Staat erteilt einen weiteren Auftrag. Würde ein Unternehmen erhöhte Preise verlangen, würde ein anderes es mit dem ursprünglichen Preis unterbieten. Sind allerdings beide ausgelastet, besteht die Gefahr, dass ein neuer Nachfrager mit einem höheren Preis andere Nachfrage ablöst – staatliche Nachfrage ersetzt dann private.
Darüber hinaus kann ein währungssouveräner Staat in eigener Währung grundsätzlich nicht unfreiwillig bankrottgehen Auch wenn es anders erscheint: Ein solcher Staat bekommt sein Geld immer von der Zentralbank, wenn auch über Umwege. Seine Ausgaben erfolgen in Form einer Gutschrift der Zentralbank auf das Zentralbankkonto der Geschäftsbank des jeweiligen Zahlungsempfängers. Die Geschäftsbank schreibt dann einen Betrag gleicher Höhe auf dem Girokonto des Zahlungsempfängers gut.
Alle Ausgaben des Staates werden letztendlich so vorgenommen – durch Gutschriften auf Bankkonten. Die monetären Operationen, die damit einhergehen können (wie zum Beispiel die Emission von Anleihen), ändern nichts an der Fähigkeit eines währungssouveränen Staates, auf diese Weise Ausgaben zu tätigen.
Entsprechend stellen auch Zinszahlungen kein Problem dar: Ein souveräner Staat leistet seine Zinszahlungen so, wie er allgemein seine Ausgaben bestreitet – nämlich, indem er die erforderlichen Geldmittel von einem Konto bei der Zentralbank an das Geschäftsbankensystem überträgt. Eine intrinsische „Finanzierungsbeschränkung“ existiert dabei nicht.
Wenn die Käufer von Staatsanleihen die Sicherheit haben, dass die Zentralbank den Staat – und damit auch ihn, den Anleihebesitzer – nicht im Stich lässt und im Zweifel Anleihen aufkauft, ist das Vertrauen in diese Anleihen groß. Staaten, in denen es ein ungeschriebenes oder niedergeschriebenes Gesetz der guten Zusammenarbeit zwischen Zentralbank und Staat gibt, stehen stabil dar. Dazu gehört auch, dass der Staat bei seiner Ausgabenpolitik die Inflation im Auge hat.
Entgegen dem weit verbreiteten Vorurteil stellen die Zinszahlungen für einen währungssouveränen Staat mit einer verlässlichen Zentralbank an seiner Seite kein Problem dar. Er kann immer zahlen.
Aber Zentralbanken lassen Staaten auch mal im Regen stehen. So hat die britische Zentralbank gegen den Staat im Herbst 2022 agiert, als sie in einer kritischen Situation keine britischen Staatsanleihen aufkaufte. Und auch die EZB hat sich gegenüber Griechenland 2015 nicht mit Ruhm bekleckert. In der jüngeren Vergangenheit hat sich die EZB aber tendenziell verantwortungsvoller gegenüber den Euro-Staaten verhalten und bei Bedarf auch im großen Stil Anleihen aufgekauft.
Anders als Kritiker der Anleiheprogramme anmahnten, stieg die Inflation nicht an – die Programme standen also nicht im Konflikt mit dem Primärziel der Preisstabilität. Zum Gesamtbild gehört jedoch auch, dass die Zentralbank im Eurosystem grundsätzlich „unabhängig“ agiert.
Wie sich an der Debatte ablesen lässt, ist die Orientierung am Schuldenstand eher politisch gesetzt, statt ökonomisch begründet. Auch für die Maastricht-Kriterien der EU gibt es keine seriöse Grundlage. Wichtig ist eben nicht die Verschuldung, sondern die Inflationsrate oder Beschäftigungsquote. Praktisch gelten die gesetzten Schuldenregeln aber trotzdem und setzen den Staatshaushalt unter Druck – ein selbst gemachtes Problem.
Zu den Zinszahlungen gibt es in der MMT aber die Debatte, ob diese als zusätzliche Einkommensströme in die Privatwirtschaft zusätzliche Nachfrage und damit potenziell Inflation schaffen. Hierzu muss zunächst unterschieden werden, wer die Anleihen am Ende überhaupt hält. Zirkulieren diese innerhalb des Staates, werden sie also beispielsweise von der Zentralbank gekauft, landen die Zinsen am Ende wieder auf dem Konto des Staates und haben keine zusätzliche Wirkung.
Der Teil der Staatsanleihen, den der Privatsektor hält, könnte rein theoretisch durch die Ausschüttung der Zinseinkommen zusätzliche Nachfrage generieren. Dementgegen zeigt die Realität, dass Staatsanleihen vorrangig bei wohlhabenden Menschen beziehungsweise institutionellen Anlegern liegen. Diese Gruppen haben traditionell eine hohe Sparquote und werden dieses Geld seltener als die weniger wohlhabenden Schichten in die Geschäfte tragen.
Zu erwarten ist demnach eher eine Inflation der Vermögenspreise als der realen Güter. Dass die Staatsanleihen überwiegend in den Händen wohlhabender Gruppen liegen und diese auch die Zinszahlungen erhalten, bedeutet damit aber natürlich auch, dass vorrangig sie die Renditen der Papiere erhalten. Das nährt tendenziell die Ungleichheit.
Es könnte deswegen Sinn machen, die Zinsen auf Staatsanleihen niedrig zu halten, um ungewollte Effekte (Vermögenspreisinflation oder Inflation von Konsumgütern) zu vermeiden. Die Zentralbank kann den Zins niedrig halten. In der Eurozone bräuchte es dafür jedoch ein verändertes Mandat und eine politische Mehrheit für diese Änderung.
Zusammengefasst: Der Staat mit der Zentralbank an seiner Seite kann auch Zinszahlungen immer bedienen. Dennoch müssen staatliche Ausgaben wohl überlegt erfolgen. Ausgaben in nicht-ausgelastete Sektoren stabilisieren die Wirtschaft und verringern die Arbeitslosigkeit. Zu bedenken ist, ob staatliche Zinsen nicht niedrig gehalten werden sollten, um unerwünschte Nachfrageeffekte durch zusätzliche Zinseinnahmen oder eine Vergrößerung der Vermögensungleichheit zu vermeiden.
Stellen auch Sie uns Fragen, die Sie beschäftigen! Wir schauen, ob wir Antworten liefern können. Natürlich geht es um Ökonomie – aber die ist im Zweifel ein weites Feld. Vielleicht können wir, die Redaktion, Ihre Fragen direkt beantworten, vielleicht müssen wir einen unserer Autoren um Hilfe bitten. Und wenn die Frage von allgemeinem Interesse sein könnte, setzen wir uns in unsere MAKROnauten-Raumkapsel und suchen das wissenschaftliche Weltall nach einer Antwort ab. Die Frage und die Antwort werden wir im Magazin veröffentlichen (selbstverständlich wird Anonymität gewahrt).
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