Jung, faul, wehleidig

Hat die „Gen Z“ den Generationenvertrag gekündigt?

| 10. Dezember 2024
IMAGO / Funke Foto Services

Ständig krank, nur an Freizeit orientiert? Solche immer wieder bemühten Pauschalisierungen und Vorurteile gegenüber der Jugend sind wissenschaftlich kaum begründet.

Alt gegen Jung – vermeintliche Generationenkonflikte prägen immer wieder die Debatten um den Wohlfahrtsstaat: Bekommen Rentner zu viel? Leisten junge Generationen zu wenig? Sind Beiträge und Lasten fair verteilt oder ist der Generationenvertrag bedroht?

Eines vorweg: Wenn von einem Generationenkonflikt die Rede ist, wird es in der Regel ziemlich eindimensional. Denn bei sozialpolitischen Verteilungsfragen geht es längst nicht nur um den Ausgleich zwischen Generationen, sondern auch zwischen sowie innerhalb vieler anderer Gruppen. Und überhaupt: Wer genau sind die Jungen und wer die Alten?

Vermeintliche Konflikte um Generationengerechtigkeit können viele Facetten haben. Neben rein demografischen Größen und ökonomischen Verteilungsströmen und ihrer politischen Bewertung gibt es auch immer wieder Erzählungen über manifeste soziale oder kulturelle Unterschiede zwischen Generationen. Auch diesen wird sozialpolitische Bedeutung zugeschrieben und insofern besitzen sie viel Potenzial für soziale Spaltung und eine hohe politische Sprengkraft. Eine aktuell besonders prominent diskutierte Frage: Fehlen „den Jungen“ Leistungsbereitschaft und Arbeitsmoral und haben sie damit den Generationenvertrag aufgekündigt?

Immer wieder werden generationelle Unterschiede bei der Arbeitsleistung oder im Krankheits- bzw. Gesundheitsverhalten behauptet und die Jüngeren in ein schlechtes Licht gerückt: Ständig krank? Kein Bock auf Arbeit? Nur an Freizeit interessiert? Das alles soll gerade auf die „jungen“ Generationen zutreffen, die durch ihr Verhalten das Sozialmodell Deutschland gefährden. Insbesondere „Generation Z“, also die Geburtsjahrgänge 1995 bis 2010, stehen in der Kritik.

Allein: Derlei „Generationeneffekte“ gibt es gar nicht. Ein Blick in die Empirie.

Die „Generation“ als Analysekategorie

In den Sozialwissenschaften hat der Begriff der „Generation“ Tradition. Eine grundlegende und nach wie vor häufig verwendete Definition lieferte schon 1928 Karl Mannheim, der – vor allem, um den seinerzeit gängigen biologischen Gesellschaftstheorien etwas entgegenzusetzen – auf die sozialen Komponenten von „Generationen“ abstellte. Er definiert „Generation“ als ein soziales Gebilde, dessen nahezu gleichaltrige Mitglieder beruhend auf einem gemeinsamen und kollektiven historischen Erfahrungshorizont relativ stabile und ähnliche Einstellungen aufweisen.

Seither wird „Generation“ immer wieder als hoch aggregierende Ordnungskategorie verwendet: Eine durch eng beieinander liegender Geburtsjahrgänge miteinander verbundene (Schicksals-)Gemeinschaft von Individuen verweist auf Identifikation und Gemeinsamkeit.

Dass hieraus nicht selten auf kollektive Interessen geschlossen wird, die Ausweis eines „Generationencharakters“ sein sollen, zeigt etwa ein Artikel in der WirtschaftsWoche: Besonnene „Boomer“, die auf Sicherheit bedachte „Generation X“, die alles hinterfragenden und kritischen „Millennials“, die faule und nur an sich selbst interessierte „Gen Z“ und so weiter.

Dieses Denkmuster bietet sich vielleicht als Grundlage für zielgruppenspezifisches Marketing an – so verwenden Marktforschung und Werbeindustrie Generationen-Label immer wieder im Rahmen von Produkt- und Vermarktungsstrategien, wie etwa bei der „Generation Golf“. Doch derlei Kollektivzuschreibungen sind in der Regel nicht nur empirisch nicht haltbar, sie sind auch konzeptionell irreführend – denn wie Martin Schröder von der Universität des Saarlands treffend erklärt, werden bisweilen verschiedene Effekte miteinander vermischt:

„Stellt man Alters- und Periodeneffekte in Rechnung, bleiben kaum Generationeneffekte übrig. Man kann also Einstellungen von Menschen mit ihrem Alter erklären und man kann Einstellungen von Menschen damit erklären, wann sie befragt wurden. Aber man kann Einstellungen von Menschen kaum mit deren Geburtsjahr erklären. Und insofern gibt es keine Generationen.“

Als empirische Kategorie ist der Begriff der Generation unzureichend methodisch fundiert und eignet sich in den meisten Fällen nicht zur systematischen Analyse, wie etwa der Soziologe Martin Kohli zeigt.

Allenfalls gibt es so etwas wie Kohorteneffekte. Kohorten sind Teilpopulationen, die sich durch ein gemeinsames Startereignis auszeichnen, zum Beispiel das Geburtsjahr (aber auch andere Ereignisse kommen infrage, etwa bestimmte „Heiratskohorten“, „Berufseintrittskohorten“ etc.).

Von Generationseffekten (im Sinne von Geburtskohorten) kann man allerdings nur dann sprechen, wenn Menschen gleichen Alters zum gleichen Zeitpunkt je nach Geburtszeitpunkt unterschiedliche Einstellungen haben. Insbesondere die typischerweise auf Querschnittsbefragungen von Personen unterschiedlichen Alters basierenden Ergebnisse, die herangezogen werden, um Generationenunterschiede zu belegen, werden vor diesem Hintergrund regelmäßig falsch interpretiert.

Ständig krank?

Erstes Beispiel: Lassen sich Angehörige der „Gen Z“ öfter krankschreiben? Der Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse 2024 zeigt für das Jahr 2023, dass jüngere Erwerbspersonen zwischen 15 und 24 Jahren durchschnittlich aufgrund von knapp vier Krankheitsfällen insgesamt etwa fünf Fehltagen pro Person abwesend waren. Die Gruppe der ab 60-Jährigen wies nur etwa 1,5 Krankheitsfälle im Jahr auf – allerdings bei im Durchschnitt 20 Tagen Abwesenheit pro Fall.

Junge Menschen sind demnach tatsächlich öfter krank. Dass es sich hierbei um ein „generationelles“ und vor allem auf Mutwilligkeit beruhendes Phänomen handeln soll, ist jedoch falsch. Es war früher nämlich auch schon so: Dass jüngere Beschäftigte (im Durchschnitt) öfter arbeitsunfähig sind und ältere Beschäftigte weniger häufig arbeitsunfähig, dafür aber (im Durchschnitt) länger, ist ein gut belegter Befund der Arbeits- und Gesundheitsforschung. Das zeigen etwa Markus Mayer, Moritz Meinicke und Antje Schenkel für das Wissenschaftliche Institut der gesetzlichen Krankenkasse AOK.

Auch ein Blick in die Fehlzeitenstatistik zeigt: Über die Dekaden sind die Arbeitsunfähigkeitsfälle und -zeiträume stabil geblieben, was die Verteilung auf einzelne Altersgruppen angeht. Insofern sind Verbindungen zu einzelnen Generationen – wie aktuell etwa zur „Gen Z“ – prinzipiell konstruiert.

Tatsächlich handelt es sich schlicht um Lebensverlaufs- und Alterseffekte, wie die Soziologen Morten Wahrendorf und Tarani Chandola herausstellen: Während jüngere Menschen zwar öfter (geringfügig) erkranken, sich dafür jedoch schnell wieder erholen können, leiden ältere Menschen häufiger unter Krankheiten, die längere Ausfallzeiten mit sich bringen – etwa aufgrund körperlichen Verschleißes, verlangsamter Genesungszeit oder verminderter Bewältigungsressourcen, sodass mehr Erholungszeit erforderlich ist.

Das zeigt: Es geht nicht um mutwilligen Absentismus – über den einzelnen Lebensverlauf hinweg verändern sich nur die Krankheitsrisiken. Individuelle Ressourcen zur Genesung oder auch der körperliche Verschleiß haben einen Einfluss auf Anzahl und Dauer krankheitsbedingter Fehlzeiten.

Kein Bock auf Arbeit?

Und wie steht es um das Arbeitsengagement der „Gen Z“? Wenn es um das Erwirtschaften des Geldes für wohlfahrtsstaatliche Ausgaben geht, wird häufig angeführt, die jungen Generationen hätten – im Gegensatz zu älteren Generationen – zu wenig „Bock auf Arbeit“. Es steht der Vorwurf im Raum, junge Beschäftigte seien kaum leistungsbereit, ihr Interesse an Work-Life-Balance hingegen sei außerordentlich hoch.

Schaut man auf die Arbeitsmotivation von Beschäftigten, zeigt sich aber auch hier: ein Generationenunterschied liegt nicht vor. Wie der Soziologe Martin Schröder zeigt, wächst typischerweise die Bedeutung, die Menschen ihrer Arbeit beimessen, bis etwa zum 40. Lebensjahr an, bevor sie sukzessive wieder abnimmt – und zwar unabhängig von individueller Kohortenzugehörigkeit oder Periodeneffekten. Insofern ist es ein Alterseffekt, wenn jüngere Beschäftigte im Gegensatz zu den früher geborenen, mittelalten Beschäftigten ihrer Tätigkeit noch keine vergleichbare Bedeutung beimessen.

Zudem spielt der Befragungszeitpunkt eine Rolle:  Jüngere Kohorten befragt man erst zu einem späteren Zeitpunkt als die älteren Kohorten. Das wird als generationelles Problem verminderter Arbeitsmotivation gedeutet, obgleich alle Beschäftigten mit der Zeit über widerwilliger werdende Einstellungen zur Arbeit berichten. Auch dieser Periodeneffekt lässt sich etwa daran ablesen, dass tatsächliche und gewünschte Arbeitszeiten im historischen Zeitverlauf abgenommen haben, beziehungsweise weiter abnehmen.

Auch hinsichtlich des realen Arbeitsengagements lassen sich keine Differenzen nach Geburtsjahrgängen erkennen. Wie Michael Göschl, Philipp Grunau, Enzo Weber und Stefanie Wolter vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung   (IAB) zeigen, bewegen sich Ausprägungen eines verminderten Arbeitsengagements –  etwa vermittelt über innere Kündigung oder „Dienst nach Vorschrift“ – seit vielen Jahren auf einem stabilen Niveau und haben mit Eintritt der „Gen Z“ in den Arbeitsmarkt keine Zunahme erfahren.

Ob Beschäftigte Mehrarbeit übernehmen oder Überstunden machen wollen, ist unabhängig von der jeweiligen Work-Life-Balance-Präferenz. Das heißt: Es gibt keinen systematischen Unterschied zwischen Personen mit hoher oder niedriger WLB-Präferenz beim Leisten von Mehrarbeit und Überstunden. Insofern liegen keine Hinweise für spezifische generationelle Einflüsse auf das Engagement am Arbeitsplatz vor.

Nur Freizeit im Kopf?

Und auch, was die Arbeitszeitinteressen angeht, wird der „Generation Z“ häufig unterstellt, sie wolle im Wesentlichen Freizeit und Arbeitszeitverkürzung, speziell die Vier-Tage-Woche.

Der IAB-Forschungsbericht 16/2023 zeigt jedoch: Die Arbeitszeitpräferenzen in Deutschland weisen über alle Altersgruppen hinweg eine Tendenz zur Verringerung von Wochenstunden auf und sind nicht spezifisch für junge Menschen oder die „Gen Z“. Wie der Arbeitszeitreport 2022 der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zeigt, ist dieser Wunsch vor allem bei Personen ab 30 Jahren und aufwärts zunehmend ausgeprägt – also gerade nicht bei den jüngeren Geburtskohorten.

Die Vier-Tage-Woche als mögliche Arbeitszeitverkürzung kommt laut Selbstauskunft nicht nur für junge Beschäftigte infrage. Insgesamt können sich weit über 80 Prozent der Beschäftigten in Deutschland aller Altersklassen eine Umsetzung der Vier-Tage-Woche (bei vollem Lohnausgleich) vorstellen, wie die Soziologin Yvonne Lott herausstellt.

Indes variiert der Wunsch, die Kinderbetreuung oder Pflege besser mit dem Beruf vereinbaren zu können, noch leicht nach Altersklassen. Die Frage der Kinderbetreuung beschäftigt stärker die Altersklasse der Ende 20- bis Ende 30-Jährigen, die Pflege von Angehörigen gewinnt eher in der zweiten Lebenshälfte an Bedeutung, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zeigt. Jedoch sind die zentralen Gründe für den Wunsch nach Arbeitszeitverkürzung – „mehr Zeit für mich selbst“ und „mehr Zeit für Regeneration zu haben“ – über alle Altersklassen hinweg dominant.

Insofern betrifft der Wunsch nach mehr Autonomie sowie Selbstbestimmung únd weniger wöchentlicher Arbeitszeit nicht spezifisch die Generation Z, sondern alle Beschäftigtengruppen. Laut WSI-Report von Juni 2023 und dem Altersübergang-Report vom Institut für Arbeit und Qualifikation liegt das daran, dass viele Beschäftigte nicht erwarten, bis zur Rente durchzuhalten beziehungsweise bereits faktisch die Regelaltersgrenze nicht erreichen.

Gefährliche sozialpolitische Schlussfolgerungen

Die Befunde zeigen: Es ist fundamental wichtig, den Begriff der „Generation“ sehr genau von Alters- beziehungsweise Periodeneffekten zu unterscheiden. Ersterer eignet sich prinzipiell wenig, um als Grundlage evidenzbasierter Sozialpolitik zu dienen. Letztere hingegen lassen Schlüsse zu, die sich etwa auf Altersgerechtigkeit von Sozialleistungen, Gesundheitsprävention oder Arbeitsgestaltung anwenden lassen.

Zudem werden nicht selten Ergebnisse aus Querschnittsbefragungen dazu verwendet, verallgemeinernde Generationencharakteristika zu konstruieren – aktuell insbesondere für die „Gen Z“. So schreibt eine Studie der gesetzlichen Betriebskrankenkasse Pronova BKK später geborenen Personen eine größere gesundheitliche Achtsamkeit oder berufliche Reflektiertheit zu.

Ob sich solche Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen für eine bestimmte Generation verallgemeinern lassen, ist jedoch nur mithilfe eines Interkohortenvergleichs zuverlässig zu sagen. Heißt, die Befragungs- beziehungsweise Messzeitpunkte müssen in den jeweiligen Altersstufen der Kohortenmitglieder kongruent sein. In der Regel bleibt dieser systematische Vergleich jedoch aus. Man weiß also nicht: Haben früher geborene Personen früher vielleicht genauso gedacht?

Insofern liegen den immer wieder bemühten Vorurteilen und Verallgemeinerungen gegenüber Generationen (im Sinne von Geburtskohorten) regelmäßig keine oder nur unzureichende empirische Beweise zugrunde. Problematisch ist, wenn daraus dennoch sozialpolitische Schlussfolgerungen abgeleitet werden – wie zum Beispiel ein „Gegensteuern“ über eine pauschale Ausweitung beziehungsweise Anreize zur Verlängerung von Arbeitszeiten.

Diese stehen dann in Widerspruch zu arbeits- und gesundheitswissenschaftlich gut belegten Alterseffekten, wie etwa im Zeitverlauf variierenden Vereinbarkeits- und Regenerationsbedarfen, und blockieren dafür wichtige Zeiträume. Das wiederum führt überhaupt erst zu gravierenden Auswirkungen auf die Fachkräftesituation und die Finanzierung sozialer Kassen insgesamt.

Der Artikel ist zuerst auf dem Blog der Work in Progress des gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung erschienen.