Syrien: Umsturz von innen und von außen
Liebe Leserinnen und Leser,
manchmal dauert es nur wenige Tage, bis Diktaturen fallen, unter denen Generationen lebten. Der jüngste Umsturz in Syrien wird auf diese Weise in die Geschichte eingehen. Erst Hafiz al-Assad, dann Bashar al-Assad – mehr als 50 Jahre haben Vater und Sohn Syriens Politik brutal und autokratisch gelenkt. Und nicht einmal zwei Wochen dauerte es, bis verschiedene islamistische Rebellenoffensiven unter Führung von Haiʾat Tahrir asch-Scham (HTS) die Herrscherfamilie vertrieb und die Hauptstadt Damaskus einnahm – handstreichartig und fast kampflos.
Ein letzter verzweifelter Versuch von Assad, an der Macht zu bleiben, scheiterte. Laut verschiedener Quellen bestand dieser darin, Israel vom Angriff auf die islamistischen Rebellen zu überzeugen. Im Gegenzug versprach Assad, die Revolutionsgarden aus Syrien zu vertreiben und sich von der antiwestlichen „Achse des Widerstands“ um den Iran zu lösen.
Nach dem spektakulären Sturz des „Schlächters von Aleppo“ wird das eine Fußnote der Geschichte bleiben. Doch die Frage bleibt, wieso der Umsturz so schnell und plötzlich passierte. Erklärungsversuche der von den Ereignissen ebenso überrumpelten westlichen Beobachter bleiben bisher lückenhaft. Auch sie vergessen in der Euphorie des Sieges über Putins Vasallen gerne, dass es sich bei den „Rebellen“ um Islamisten und nicht um Freunde der Demokratie handelt. Auch schweigen sie sich über die Rolle der Türkei, Israels und den USA bei der Unterstützung dieser hochgerüsteten Dschihadisten aus. Westliche Staaten haben sich „aktiv eingemischt“ und versuchen nun, „Profit aus der neuen Lage zu schlagen“, so unser „Mann in Brüssel“, Eric Bonse.
Aber es wäre falsch, nur dem Westen für die Machtergreifung von HTS und Co. zu „gratulieren“. Entscheidend für den Umsturz seien innenpolitische Faktoren gewesen, schreibt der Nahostexperte Barak Barfi. Das Regime Bashar al-Assad habe jahrelang die Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung vernachlässigt, während es sich mit mafiösen Methoden in die eigenen Taschen wirtschaftete.
Doch ob Syrien nun eine bessere Zukunft erwartet, ist fraglich. Das Einzige, was die verschiedenen Rebellengruppen einte, ist die Feindschaft zu Assad. Das ethnisch fragmentierte Land ist ein politisches Pulverfass, der Streit um die Pfründe der Macht kann zur Zündschnur eines neuen Bürgerkriegs werden. Doch auch Israel, die Türkei und die USA wollen einen Teil des Kuchens. Endgültig vorbei ist in der Levante nun allein die Ära funktionierender Nationalstaaten unter säkularer Herrschaft. Gewaltsame Übergriffe, Folter und Hinrichtungen durch die neuen islamistischen Machthaber lassen erahnen, dass das neue Syrien nicht weniger grausam wird als das alte.
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