Flottengrenzwerte

Grüne Klima-Auto-Politik: ohne Rückgrat

| 17. Dezember 2024
IMAGO / Chris Emil Janßen

Die Grünen waren mal die Klimapartei, sind gerade aber mehr am Wohlergehen der Autokonzerne interessiert. Statt deren Eigentümer noch mehr zu hätscheln, könnte man – mit vielen Vorteilen – die anstehenden Strafzahlungen für das Reißen der EU-Klimaziele auch diesen statt den Unternehmen selbst auferlegen.

Früher, als die politische Farbe Grün noch mehr für den Wunsch nach gesunden Wäldern stand und weniger für derart angestrichenes Kriegsgerät, da hätte man einen führenden Parteivertreter für eine solche Aussage wohl in die Wüste gejagt: „Ich finde es in Ordnung, wenn man in dieser schwierigen Situation für die Automobilindustrie nicht noch zusätzlich eine Milliardensumme aus den Konzernen herausnimmt“, so Robert Habeck am 10.12.2024. Heute macht man ihn stattdessen zu einem der sogenannten Kanzlerkandidaten, wie es in Deutschland bei Parteien bescheidener Größenordnungen mittler Weise üblich geworden ist.

Worum geht es? Um die sogenannten Flottengrenzwerte der EU in Bezug auf deren CO2-Belastung. Europa hatte in den 2000er Jahren enttäuscht feststellen müssen, dass die vollmundigen Versprechungen der Automobilindustrie, den durchschnittlichen Klima-Verbrauchswert ihrer neuen Kraftfahrzeuge bis 2008 freiwillig auf einen bestimmten Wert zu senken, das Papier dieser Zusage nicht wert war. Und so beantragte die Kommission und beschloss schließlich die EU, dass spätestens ab 2021 Grenzwerte regulatorisch festgelegt und sukzessive verschärft werden würden (parallele Vorschriften gelten für leichte und schwere Nutzfahrzeuge). Dabei folgte man einem bereits in den USA seit den späten 70er Jahren etablierten Verfahren, das bis heute in Kraft ist und deren Zielwerte ebenfalls regelmäßig abgesenkt werden.

Dabei wird für die Hersteller (bzw. Importeure) ein einzuhaltender Durchschnittswert für ihre gesamte Flotte festgelegt, was weitgefasste unternehmerische Freiräume lässt. Das heißt, jede Firma darf auch große Verbrennerautos bauen, die beim Fahren viel CO2/km emittieren, wenn sie nur genügend kleine, sparsame Verbrenner und/oder E-Autos dazu verkauft. Letztere gehen sogar mit einer Null-Belastung in die Bilanz ein. Ein Unternehmen kann auch den Grenzwert überschreiten, aber dann fallen Strafzahlungen an, und zwar je mehr, je weiter vom Zielwert entfernt.

Eigentlich war man in Deutschland auf diese Konstruktion sehr stolz. So kann man beim BMUV bis heute auf der Homepage lesen:

„Das Fit-for-55-Paket steht für einen nie dagewesenen Fortschritt für den Klimaschutz in der EU. Das zentrale Instrument für mehr Klimaschutz im Verkehr ist die Weiterentwicklung der CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Deutschland hat aktiv an der Gestaltung und Verabschiedung der Neuregelung mitgearbeitet (…)“.

Auch für marktorientierte Ökonomen hatte das Verfahren seinen Charme. Denn die Pläne der EU mit den Werten wurden langfristig bekannt gegeben, so dass den Unternehmen genügend Zeit blieb, sich darauf einzustellen – also vor allem neue, sparsame Modelle zu entwickeln und zu vermarkten. Und dass die EU schon für 2035 einen endgültigen Flottenwert von Null beschlossen hatte, war wahrlich auch kein Geheimnis. Noch einmal in den Worten des BMUV über die Vorteile eines schrittweisen Verbrenner-Aus mit Ansage:

„Die CO2-Flottengrenzwerte geben dieser Transformation die notwendigen Leitplanken. Die Automobilhersteller benötigen Planungssicherheit um ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit zu bewahren damit Arbeitsplätze geschaffen und erhalten werden können.“

Erpressbare Politik

Aber, dachten sich wohl manche Vorstände und Aufsichtsräte, warum sich an solche Petitessen wie EU-Vorschriften halten, wenn überdimensionierte CO2-Schleudern doch mehr Gewinne versprechen und die Politik im Zweifelsfall sich bestimmt als erpressbar zeigen würde. Und so gab sich ein Teil der deutschen Automobilindustrie – obwohl die neuen Grenzwerte für 2025 seit 2019 (!) bekannt sind – jetzt ganz erstaunt und empört, dass sie ab nächstem Jahr tatsächlich Strafzahlungen in beträchtlicher Höhe zu erwarten hätten.

Dabei gilt das auch nicht für alle: so verlautbarten in Deutschland BMW wie Opel (mittlerweile Teil des Stellantis-Konzerns), sie hätten sich auf die angesagte Verschärfung der Grenzwerte eingestellt und sähen kein Problem damit diese zu erfüllen. Obwohl damit für alle sichtbar also gezeigt wurde, dass die Firmen es selbst in der Hand hatten, den Vorgaben fristgerecht zu genügen, springt prompt den anderen die ganze etablierte Politik zur Seite. Von den Grünen sind es Habeck und Kretschmann, von der SPD ganz vorne Scholz, von der CDU/CSU viele von Merz hier bis Weber in Brüssel.

Allerdings müssten zur Vermeidung von Strafzahlungen ab 2025 eigentlich neue, aufgeweichte Regeln verabschiedet werden, was die Zustimmung der Kommission, des Europäischen Parlaments wie des Rats bedingte. Eine solche breite Bereitschaft dazu ist überhaupt nicht sicher, weil eben nicht jeder Mitgliedsstaat eine nennenswerte Automobilindustrie hat und wiederum manche Autobauer einfach ihre Hausaufgaben gemacht haben. Viele Länder haben dazu in den letzten Jahren gelernt – etwa durch exzessive Fluten, Dürren, Brände –, dass verfehlte Klimaziele schon heute ziemliche Kosten mit sich bringen können. Und natürlich sind Einnahmen aus Strafzahlungen in nicht geringer Milliardenhöhe, wie sie aktuell für möglich gehalten werden, in einem knapp kalkulierten EU-Haushalt auch hoch willkommen. Dazu brauchte eine Revision der Grenzwerte in der kompliziert organisierten EU seine übliche, also geraume Zeit.

Zu lange hin und im Ergebnis zu ungewiss wohl für die deutsche frühere Klima- und heutige Auto-Partei. Die Grünen schlagen deshalb vor, dieses lästige eurodemokratische Prozedere einfach zu umgehen. Mit Datum 9.12 ist auf deren Homepage zu lesen:

„Die Europäische Kommission sollte entsprechend prüfen, ob Übererfüllungen in den beiden Folgejahren mögliche Grenzwertwertverfehlungen im Jahr 2025 ausgleichen können, ohne dass dabei die beschlossene Verordnung geändert werden muss. In diesem Kontext sollte ebenfalls geprüft werden, ob mögliche Strafgelder gezielt dazu verwendet werden können, um die Umstellung der Automobilwirtschaft auf die Elektromobilität zu unterstützen.“

Diese harmlos daherkommenden – es soll ja nur ‚geprüft‘ werden, obwohl die Hoffnung auf ein positives Ergebnis unverkennbar ist – Aussagen verdienen es, genau gelesen zu werden.

Erstens wird darin eine Umgehung geltenden Rechts gefordert. Eine offensichtlich als zu risikoreich, langwierig und für die Grünen in ganz Europa natürlich auch als extrem rufschädigend anzusehende Aufweichung der verpflichtenden CO2-Werte der beschlossenen Verordnung soll tunlichst vermieden werden. Vor allem, wenn gar noch eine so wichtige Landespartei wie die in Deutschland ihre wenigstens implizite Zustimmung dazu signalisieren würde.

Zweitens wird, zumindest scheinbar, blauäugig davon ausgegangen, dass eine zunächst sanktionsfreie Übertretung der Grenzwerte in 2025 schon in 2026 und 2027 radikal in ihr Gegenteil verwandelt werden würde. Warum aber sollen erfolgreiche Erpresser von ihrem Geschäftsmodell Abstand nehmen? 2026 und 2027 würden doch sicher wieder willfährige Politiker zu ihrer Hilfe eilen und hätten dann noch das schöne Argument zur Hand: jetzt seien die kumulierten Strafen für mehrere Jahre wirklich geschäftlich untragbar. Und somit verschöben sich Strafzahlungen auf Sankt Nimmerlein.

Drittens will man die Schuldigen der Automobilindustrie sogar belohnen. Denn eventuell doch anfallende Strafzahlungen sollen gleich wieder in Subventionen für diese verwandelt werden. Das ist, wie wenn die Polizei einem alkoholisierten Autofahrer zwar einen saftigen Strafzettel ausstellt, aber zugleich einen Gutschein für alkoholfreie Getränke in gleicher Höhe überreicht. Das würde man im Verkehrsrecht wohl für völlig unvereinbar sowohl mit dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden wie mit der Lenkungswirkung von Strafandrohungen erklären.

Aber dass ein Gerechtigkeitsempfinden bei dem grünen Positionspapier definitiv keine Rolle spielt, lässt sich noch an anderer Stelle beobachten. Von einer etwaigen Beteiligung der bisher exzellent verdient habenden Eigentümer an solchen Rettungsaktionen ist darin nichts zu lesen. Das kann man aber ändern, wie nachstehend gezeigt wird. Wenn man denn bereit ist, über den Tellerrand der gerne die Interessen der Besitzenden bevorzugenden Standardökonomie zu schauen und in der Konsequenz auch vor den Mächtigen nicht einfach einknickt, sondern ‚Männerstolz vor Königsthronen‘ zeigt.

Eine Alternative mit Biss

Auf den ersten Blick hört es sich nachvollziehbar an: milliardenschwere Strafzahlungen für eine Branche in erkennbaren wirtschaftlichen Schwierigkeiten machen wenig Sinn. Aber es lohnt sich ein zweiter, tiefer gehender Blick. Und der nimmt eine wichtige ökonomische und juristische Unterscheidung in den Fokus, nämlich die zwischen dem Unternehmen und seinen Eigentümern. Diese Differenz findet sich bei allen großen Automobilherstellern, es sind Kapitalgesellschaften. Der darauf beruhende, hier unterbreitete Vorschlag ist letztlich ein einfacher: Strafzahlungen sollen nicht ausgesetzt, verschoben, gestrichen werden, sollen aber nicht von dem Unternehmen, sondern von seinen Besitzern zu zahlen sein.

Organisatorisch lässt sich das folgender Maßen umsetzen. Sagen wir, der VW-Konzern – eine AG natürlich – muss 2025 einige Milliarden Euro Strafe wegen Überschreitens der Flottengrenzwerte zahlen. Die EU sollte nun anbieten, dass dieser Betrag nicht per Überweisung von der Firma, sondern in Form von neuemittierten Aktien mit den unten angeführten Spezifikationen geleistet wird. Und wenn Volkswagen dabei nicht mitspielen will, dann wird eben die Strafzahlung doch direkt eingefordert.

Dieses Angebot ist die erste Spezifikation der Überlegung. Ob man eine Zahlung in Form von Aktien auch erzwingen könnte, das müssen Europarechtler entscheiden. Aber auf jeden Fall wäre der Reputationsverlust der Besitzer in Politik wie Öffentlichkeit überaus groß, würden sie sich einer solchen Lösung verweigern. Und dadurch vergrätzte nationale wie regionale Regierungen hätten doch einige Optionen der Vergeltung bei so offensiver Nicht-Kooperation zur Verfügung.

Als zweite Spezifikation könnte man festlegen, dass die neuemittierten Aktien zum Nennwert angerechnet werden. Das verhindert zum einen, dass ein vermutlich vor Gerichten landendender Streit über den angemessenen Kurs ausbricht, zum anderen, dass bei einem Rückkauf die Union eventuell Verluste erleidet. Natürlich wären hier auch andere Verfahren denkbar. Zum Beispiel ein aktueller Markt-Kurs und die spätere Zurücknahme der in EU-Besitz befindlichen Aktien wieder zum gleichen Kurs, wobei man dann zur Sicherung der Vermögensposition der Union zusätzlich festlegen könnte, dass Dividenden erst gezahlt werden dürfen, wenn alle Straf-Aktien vorher wieder zurückgekauft wurden.

Es soll weiter untersagt sein, dass die EU diesen neuen Aktienbesitz am Markt veräußert und dem Unternehmen wegen der – in der Regel hochpositiven – Differenz zwischen Nennwert und Kurs dadurch unangemessene Verluste zugefügt werden. Solches dürfte ebenfalls sicher vor Gerichten landen. Dritte Spezifikation ist deshalb, die EU verkauft ihre Aktien ausschließlich und auf deren Anforderung an die jeweiligen Konzerne wieder zurück und dann ebenfalls wieder zum Ausgabenwert.

Neuemissionen von Aktien ohne entsprechende zusätzliche Einnahmen bedeuten auf jeden Fall eine Kapitalverwässerung. Und bei der Variante zum Nennwert würden diese sogar überproportional von etwaigen Dividendenzahlungen profitieren. Die Eigentümer hätten also großes Interesse daran, aus Gewinnen des Unternehmens zuvörderst diese im EU-Besitz befindlichen Aktienpakete zurück zu kaufen. Damit wäre man aber wieder genau in der Situation, die es zu vermeiden gilt, nämlich dass Gewinne nicht in Investitionen, sondern direkt oder indirekt in Strafzahlungen fließen. Als vierte Spezifikation muss deshalb zwingend gelten: Straf-Aktien dürfen erst dann zurückgekauft werden, wenn die CO2-Flottengrenzwerte erfüllt sind. Schön wäre natürlich noch, wenn bis zur Erreichung dieses Ziels auch alle Dividendenzahlungen ausgesetzt werden könnten. Aber dafür benötigte man vermutlich eine zusätzliche Rechtsgrundlage.

Mit der oben skizzierten Lösung von Strafen in Form von Aktien statt direkter Zahlungen sind wichtige Bedingungen für eine gerechte wie effektive Klima-Auto-Politik erfüllt. Die Eigentümer erfahren angemessen schmerzhaft in ihrer Vermögensposition, dass sich die Europäische Union von ihnen nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Es wird dadurch aber keine „Milliardensumme aus den Konzernen herausgenommen“, wie Habeck befürchtet. Sondern diese Mittel verbleiben dort und werden stattdessen, so gut es im aktuell gegebenem Rechtsrahmen geht, zu Investitionen umgelenkt, was auch dem schwächelnden Autostandort Deutschland zu Gute kommt. Und im Ergebnis haben sich die Investitionen an der realen Senkung des durchschnittlichen CO2-Gehalts der Fahrzeuge bis hin zum gesetzten Grenzwert zu orientieren – was wiederum dem Klima hilft.