Spotlight

Export – nicht nur unser Bier

| 15. Januar 2021
istock.com/anmbph

Liebe Leserinnen und Leser,

eingefleischte MAKROSKOP-Leser kennen das Thema aus dem Effeff – das vermeintliche Erfolgsmodell »Exportüberschuss« ist ein Problem. Genauer, Deutschland ist ein Problem – besonders für die Eurozone. Doch auch in den USA eckt der »Exportweltmeister« zunehmend an. Immer deutlicher wird: Ein Wachstumsmodell, dass sich vor allem auf ausländische Absatzmärkte verlässt und Handelsungleichgewichte verursacht, ist weder ökonomisch noch politisch nachhaltig.

Das zeigte für einen kurzen Augenblick auch die Corona-Krise, als die deutschen Exporte im Zuge des europäischen Shutdowns während der ersten Welle signifikant einbrachen. Trotzdem hat Deutschland auch in der Krise durchgehend Überschüsse im Warenhandel mit dem Ausland erzielt, wie Friederike Spiecker zeigt. Und einige Monate später scheint wieder fast alles in Butter: Nicht einmal die Corona-Krise konnte dem deutschen Exportmodell auf Dauer etwas anhaben. Die Auslandsaufträge nehmen wieder zu und überflügeln erneut die Inlandsaufträge deutlich.

Doch wieso hält sich das deutsche Modell schon seit Jahrzehnten gegen alle Widerstände derart hartnäckig? Andreas Nölke erklärt die historische Herausbildung und die bis heute weitgehend stabile Dominanz des exportorientierten Wirtschaftsmodells in der Bundesrepublik vor dem Hintergrund der ungebrochenen kulturellen Hegemonie einer exportistischen Ideologie, die als Bindemittel für ihre disparate gesellschaftliche Basis dient.

Die Bedeutung von Ideologien zur Etablierung und Aufrechterhaltung von Wirtschaftsmodellen – insbesondere solchen mit einem hohen Maß an Ungleichheiten – ist jüngst von Thomas Piketty wieder zurück in die öffentliche Debatte gebracht worden.

Die Ideologie des Exportismus, so Nölke weiter, identifiziert also nicht nur die gemeinsamen Interessen der einzelnen sozialen Gruppen, die von der extremen Exportorientierung profitieren, sondern liefert vor allem Argumente, warum deren Kernmerkmale vorgeblich im Interesse aller gesellschaftlicher Gruppen in Deutschland sein sollten.

Lucio Baccaro führt vor allem ökonomische Gründe ins Feld. Bis etwa 1990 basierte das Wachstum der großen europäischen Länder auf stetem Lohnwachstum. Heißt, die Reallöhne wuchsen im gleichen Maße oder sogar schneller als die Arbeitsproduktivität, beförderten damit den Konsum privater Haushalte und stärkten vor allem den Konsum auf dem Binnenmarkt.

Doch dieses lohnorientierte Wachstumsmodell wurde sowohl durch nationale als auch durch internationale Entwicklungen untergraben. Die Liberalisierung der Arbeitsmärkte führte zu einem Rückgang der Lohnquote, was wiederum die Nachfrage nach Konsumgütern und Dienstleistungen auf Finanzanlagen umlenkt und so das Renditestreben erhöht. Diese Entwicklungen, so Baccaro, beeinflussen die Wachstumsmodelle kapitalistischer Volkswirtschaften erheblich, da sie die Tragfähigkeit des lohnorientierten Wachstumsmodells schwächen.

Um dem Problem einer unzureichenden Gesamtnachfrage zu begegnen, werden auf nationaler Ebene alternative Nachfragetreiber gesucht. Hierbei sind die heute aus der Eurozone bekannten Strategien zu beobachten: In den Südländern wird die Wirtschaft weiterhin wie im alten lohnorientierten Modell vom Konsum der Haushalte angetrieben, der jedoch durch einen leichteren Zugang der Haushalte zur Verschuldung finanziert wird. Bei der zweiten Alternative wird die Nachfrage aus dem Ausland zum Wachstumstreiber, was die Exporte stimuliert und häufig zu hohen Handelsüberschüssen führt – wie in Deutschland.

Ergo, Export ist nicht allein unser Bier, denn unsere Überschüsse sind die Defizite der anderen. Und dieses Problem verschärft sich nicht nur weiter, sondern avanciert auch zum Spaltpilz der Eurozone.

Doch es kommt noch schlimmer. Einige Ökonomen stellen das Problem dieser Ungleichgewichte zu allem Überfluss auf den Kopf, indem sie Exportüberschüsse als Abfluss von Ersparnissen an ausländische Kreditnehmer darstellen, deren Bonität zweifelhaft sei (vielleicht wissen Sie schon, wen wir meinen). So drohe nicht nur der Verlust unseres Geldes, es fehle auch für Investitionen in hierzulande. Deutschland wird zum ökonomischen Opfer verklärt, die Defizitländer zu Tätern, die sich auf unserem ersparten Geld ausruhen.

Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt, weiß Paul Steinhardt: Wer mehr Geld in seinen Händen hält, sind allein die deutschen Exporteure. Was im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung als »Nettokapitalexport« bezeichnet wird, steht für das genaue Gegenteil von dem, was die einschlägigen Exponenten von den abfließenden Ersparnissen im Sinn haben. Das Geld, mit dem man auf Einkaufstour gehen könnte, ist keineswegs im Land des Käufers – dem Importeur -, sondern im Land des Verkäufers – des Exporteurs.

Sie sehen, lieben Leserinnen und Leser, die Sache ist vertrackt und scheint hoffnungslos. Wir hoffen trotzdem, mit diesem Spotlight einen ganz winzigen Beitrag zur Entideologisierung und Entmystifizierung leisten zu können.