Für die eine oder den anderen ist es vielleicht überraschend, aber Soziale Marktwirtschaft und Sozialstaat sind zwei verschiedene Konzepte. Während in der Sozialen Marktwirtschaft angestrebt wird, eine regulierte Wettbewerbswirtschaft zu ermöglichen, die für eine leistungsorientierte Einkommensverteilung sorgt, dient der Sozialstaat der Absicherung sozialer Risiken und einer sozial gerechten Teilhabe aller am gesellschaftlichen Fortschritt. Von seinen Gegnern wird er als unbezahlbar und „soziale Hängematte“ dargestellt. Private Versicherungen könnten Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit und Alterung effektiver absichern als die träge öffentliche Sozialbürokratie mit ihrem aufgeblähten Verwaltungsapparat.
Harmut Reiners sieht es in seinem in der Edition MAKROSKOP neu erschienenen Buch "Die ökonomische Vernunft der Solidarität" dezidiert anders und zeigt das genaue Gegenteil auf, nämlich dass die Sozialversicherungen ihre Aufgaben effektiver und effizienter erledigen als private Alternativen.
Im Gespräch mit der Journalistin Eva Roth erläutert er, wieso die Privatisierung von Sozialversicherungsleistungen ein ökonomischer Holzweg und der moderne Sozialstaat kein unproduktiver Kostenfaktor, sondern eine potenzielle Jobmaschine ist.
Die Gesprächspartner
Eva Roth ist Redakteurin für nd.DieWoche. Ihre Schwerpunkte dort sind Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Verteilungsfragen. Vor ihrem Wechsel zum "nd" hat die Politikwissenschaftlerin unter anderem für das Öko-Test-Magazin, die Frankfurter Rundschau und die Berliner Zeitung gearbeitet. Für eine Serie über das digitale Proletariat wurde sie 2015 mit dem Helmut-Schmidt-Journalistenpreis und dem Preis der Friedrich-und-Isabel-Vogel-Stiftung ausgezeichnet.
Hartmut Reiners ist Volkswirt und kennt sich mit dem deutschen Sozialversicherungssystem bestens aus. Er war viele Jahre in verantwortlichen Positionen in den Gesundheitsministerien der Länder tätig und maßgeblich an allen Reformen der gesetzlichen Krankenversicherung zwischen 1988 und 2009 beteiligt. Seit 2009 ist er freier Publizist im Bereich Gesundheitsökonomie. Im März erscheint sein neues Buch "Die ökonomische Vernunft der Solidarität. Perspektiven einer demokratischen Sozialpolitik“